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Inklusionshelfer*innen für das Digitale

Ob Rechnen und Schreiben üben mit ANTON und Scoyo oder Online-Kurse auf Moodle: Digitales Lernen wird an Schulen zunehmend zur Normalität – besonders jetzt während der Coronapandemie. Aber wie zugänglich sind solche digitalen Lernangebote für Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf? Und welche Möglichkeiten bieten sie für den inklusiven Unterricht? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das neue Projekt DILBi hoch hundert der Universität Bielefeld: Studierende begleiten den Schulunterricht und unterstützen als Digital Scouts Schüler*innen mit und ohne festgestellten Förderbedarf beim digitalen Lernen. Das Projekt kooperiert mit Gesamtschulen im Kreis der Bezirksregierung Detmold. Gefördert wird DILBi hoch hundert vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.

DILBi hoch hundert – das steht für Digitale inklusionssensible Lehrer*innenbildung Bielefeld hoch hundert. „Unsere Idee hinter dem Projekt ist es, allen Schüler*innen eine gleichberechtigte Teilhabe an digitaler Bildung zu ermöglichen“, sagt die Professorin Dr. Anna-Maria Kamin von der Fakultät für Erziehungswissenschaft. Die Bildungsforscherin leitet das Projekt zusammen mit Dr. Claudia Mertens. „Gleichberechtigte Teilhabe ist nur dann möglich, wenn Lernplattformen, Lern-Apps und andere Lernressourcen im sogenannten Universal Design konzipiert sind – also so, dass alle sie uneingeschränkt nutzen können“, so Claudia Mertens, die ebenfalls an der Fakultät für Erziehungswissenschaft forscht.

Das ist aber nicht bei allen digitalen Lernangeboten der Fall – etwa weil die Schrift zu klein, die Sprache zu kompliziert, die Bedienung nicht intuitiv ist oder aber weil Hilfestellungen wie Untertitel und Sprachausgabe fehlen. Schüler*innen fällt es mitunter schwer, solche Angebote zu nutzen – das gilt zum Beispiel für Kinder und Jugendliche, die eine Lese- und Rechtschreibschwäche haben, die nur vermindert sehen oder hören können oder die aufgrund motorischer Einschränkungen Schwierigkeiten haben, auf einem Display zu tippen. „Dabei haben digitale Lernmedien prinzipiell ein hohes Potenzial, Schülerinnen mit Förderbedarf bei der Bearbeitung von Lerninhalten zu unterstützen“, so Kamin.

Sie leiten DILBi hoch hundert: Dr. Claudia Mertens (li.) und Prof’in Dr. Anna-Maria Kamin (re.). Foto links: Hilla Südhaus, Foto rechts: Universität Bielefeld

Studierende prüfen digitale Lernangebote auf Zugänglichkeit

Wie müssen digitale Lernangebote also gestaltet sein, damit sie für alle Schüler*innen barrierefrei zugänglich sind und chancengerechtes Lernen unterstützen? „Das ist die Ausgangsfrage unseres Basisprojekts DILBi, auf dem DILBi hoch hundert aufbaut“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Claudia Mertens. „Hierzu bieten wir seit Herbst 2020 ein Seminar an, in dem wir Studierende zu Digital Scouts ausbilden.“ Die Teilnehmer*innen des Seminars prüfen, wie barrierefrei digitale Angebote sind – und entwickeln darauf aufbauend eigene inklusive digitale Lernmaterialien. Zielgruppe sind dabei Schüler*innen mit den Förderschwerpunkten „Lernen“ und „geistige Entwicklung“.

Digitale Lernwerkzeuge für individuelle Förderung nutzbar machen

Bei der Bearbeitung haben die Studierenden die Wahl: Entweder entwickeln sie Tools, die Schüler*innen mit und ohne festgestellten Förderbedarf dabei helfen, digitale Kompetenzen zu erwerben. Beispiele sind etwa Lern- und Erklärvideos zu Themen wie dem Schreiben von E-Mails, dem Einloggen bei Videotelefonie-Diensten wie Zoom oder der Verwendung von Lern-Apps. Oder sie erarbeiten Materialien, die fachliches Wissen in den Fächern Mathe, Deutsch und Deutsch als Fremdsprache vermitteln.

„Den Praxistransfer stellen wir dann in diesem Jahr mit DILBi hoch hundert her“, sagt Mertens. Die Studierenden erproben die Materialien, die sie erarbeitet haben, in kooperierenden Schulen im Regierungsbezirk Detmold. Quereinsteiger*innen können ebenfalls auf die digitalen Tools aus dem Seminar zurückgreifen. Geplant ist, dass die Seminarteilnehmer*innen im Sommersemester 2021 die Praxisphase zum Seminar an den Schulen absolvieren. Je nachdem, wie sich die Coronapandemie entwickelt, soll es Präsenztermine vor Ort und Onlinetermine geben.

Die Studierenden haben so die Möglichkeit, ihre theoretischen Kompetenzen als Digital Scouts in der Schulpraxis anzuwenden und die erarbeiteten Lernmedien mit einer Schulklasse zu erproben. Ziel dabei ist, für Schüler*innen mit Förderbedarf Teilhabemöglichkeiten beim gemeinsamen Lernen zu schaffen. „Im Idealfall bedeutet Inklusion, dass alle Schüler*innen – ob mit oder ohne Förderbedarf – zusammenarbeiten“, erklärt Mertens. „Digitale Medien können dabei helfen. Das heißt: Alle lernen am gemeinsamen Unterrichtsgegenstand. Wer Hilfestellungen, wie zum Beispiel eine leichtere Sprache oder Rechtschreibstrategien, braucht, kann diese individuell anfordern – zum Beispiel durch bestimmte Funktionen in einer Lern-App.“

Indem die Digital Scouts ihre Ideen in den Unterricht einbringen, sollen außerdem Lehrkräfte für das Thema digitale Teilhabe sensibilisiert werden. Sie bekommen von den Studierenden außerdem Methoden, Tools und Materialien an die Hand, die sie wiederum für den Unterricht verwenden können. Das Projekt hilft, ein bestehendes Betreuungsproblem zu lösen: „Schüler*innen mit Unterstützungsbedarf benötigen idealerweise eine Eins-zu-eins-Betreuung, gerade wenn es darum geht, Medienkompetenzen zu erwerben“, sagt Mertens. „Das können Lehrkräfte im Schulalltag kaum leisten – erst recht nicht in der aktuellen Pandemielage. Diese Betreuung übernehmen dann zum Teil die Digital Scouts.“ Die Erfahrungen, die Digital Scouts und Lehrkräfte im gegenseitigen Austausch sammeln, können schließlich ins Fort- und Weiterbildungssystem für Lehrkräfte zurückgespiegelt werden.

Wirkung hoch 100

Die Jubiläumsinitiative Wirkung hoch 100 des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft e.V. fördert in einem mehrstufigen Prozess herausragende Projekte aus den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Innovation. In der ersten Förderphase wurden nun aus über 500 Bewerbungen die hundert besten ausgewählt – darunter das Projekt DILBi hoch hundert. Außer mit einer finanziellen Förderung – 5.000 Euro für das Bielefelder Projekt – unterstützt der Stifterverband die Projekte praktisch, indem er sie mit Expert*innen und Partner*innen aus ihrem jeweiligen Wirkungsfeld zusammenbringt und vernetzt.

Bielefelder Gleichstellungspreis geht an vier Nachwuchsforschende

Für ihre genderbezogene Forschung haben Ende 2020 vier Nachwuchswissenschaftlerinnen der Universität Bielefeld den Bielefelder Gleichstellungspreis erhalten: Patricia Bollschweiler, Oleksandra Tarkhanova, Johanna Pangritz und Greta Wienkamp wurden in der Kategorie „Genderforschung“ prämiert. Das Rektorat der Universität Bielefeld würdigt in dieser Sparte herausragende Abschlussarbeiten, die ein für die Geschlechterforschung besonders relevantes Thema bearbeiten. Der Gleichstellungspreis wird jährlich vom Rektorat in einer von drei Kategorien vergeben.

„Ich freue mich mit den vier Preisträgerinnen und gratuliere ihnen herzlich zu ihrer Auszeichnung“, sagt Professorin Dr. Marie I. Kaiser, Prorektorin für Personalentwicklung und Gleichstellung. „Der Preis ist eine Wertschätzung für ihre herausragende wissenschaftliche Leistung und ihren Beitrag zur Gleichstellungsarbeit an der Universität Bielefeld.“

Die Abschlussarbeiten der Nachwuchswissenschaftlerinnen zeichnen sich durch einen interdisziplinären und innovativen Blick auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse aus. In ihrer Begründung hebt die Jury zudem die hohe gesellschaftliche Relevanz der behandelten Fragestellungen hervor. „Damit entwickeln die Wissenschaftlerinnen nicht nur die bestehende erfolgreiche Forschung zu Genderaspekten an der Universität Bielefeld weiter“, so Kaiser. „Ihre Ergebnisse liefern auch wichtige Impulse und Erkenntnisse für die universitären Gleichstellungsbemühungen.“

Ausgezeichnet: Oleksandra Tarkhanova, Johanna Pangritz, Greta Wienkamp und Patricia Bollschweiler (v.l.) erhalten den Bielefelder Gleichstellungspreis 2020 in der Kategorie „Genderforschung“. Fotos: Privat

Die Preisträgerinnen und ihre Abschlussarbeiten

  • Patricia Bollschweiler (Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft) beschäftigt sich in ihrer Masterarbeit am Beispiel von zwei ausgewählten literarischen Werken mit den narrativen Mitteln, die eingesetzt werden, um queere Geschlechteridentitäten zu konstruieren. Ihre Untersuchung heißt „keine Wahl, als zu gestehen – er war eine Frau. Queere Identitäten in Honoré de Balzacs Sarrasine und Virginia Woolfs Orlando“.
  • Oleksandra Tarkhanova (Fakultät für Soziologie) untersucht in ihrer Dissertation Veränderungen in der ukrainischen Geschlechterpolitik in den vergangenen 30 Jahren im Hinblick auf Geschlechternormen und die Rolle der Frau. Die Studie trägt den Titel „Ukrainian gender politics from the dissolution of the Soviet Union to the post-Maidan state: The subject posi-tion of woman”.
  • Johanna Pangritz (Fakultät für Erziehungswissenschaft) betitelt ihre Dissertation „Strafende Pädagogen – fürsorglich und doch hegemonial? Brauchen wir wirklich mehr Männlichkeit? Ein kritischer, quantitativer Beitrag zum Verhältnis von hegemonialer Männlichkeitsvorstellung, Feminisierung und Punitivität“. In ihrer Arbeit befasst sie sich mit dem Zusammenhang von fürsorgender und hegemonialer Männlichkeit bei männlichen Fachkräften in Erziehungs- und Bildungseinrichtungen.
  • Greta Wienkamp (Fakultät für Soziologie) untersucht in ihrer Bachelorarbeit, wie heranwachsende junge Frauen beziehungsweise Mädchen mit den widersprüchlichen Erwartungen an ihr Geschlecht umgehen und sich selbst in diesem Spannungsfeld verorten. Die Arbeit trägt den Titel: „Zwischen Emanzipation und Tradition? Eine Untersuchung der Geschlechtervorstellungen aktuell heranwachsender junger Frauen mithilfe des Gruppendiskussionsverfahrens“.

Der Bielefelder Gleichstellungspreis

Der Gleichstellungspreis wird in drei Kategorien vergeben. In der Kategorie „Genderforschung“ ist er dieses Mal mit insgesamt 3.600 Euro dotiert und wird unter den vier ausgezeichneten Nachwuchsforschenden aufgeteilt. Der Preis soll Akzente in der personellen, strukturellen und inhaltlichen Gleichstellungsförderung setzen – angelehnt an die Systematik der Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Der Preis der Universität Bielefeld wurde erstmals 2013 vergeben. Er wird abwechselnd in den Kategorien Genderforschung, Quantitative Erfolge bei der Professorinnengewinnung sowie Strukturelle Gleichstellungsmaßnahmen vergeben.

Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt strukturell zu verwirklichen ist ein zentrales Anliegen der Universität Bielefeld. In ihrem universitätsweit entwickelten Gleichstellungskonzept setzt sie sich einen Kulturwandel hin zu einer geschlechtergerechten Wissenschafts- und Universitätskultur zum Ziel. Für ihren Einsatz für Chancengleichheit und Vielfalt hat sie im November zum fünften Mal das Total E-Quality-Prädikat erhalten.

Auf der Suche nach Plan B – Thementag Studienzweifel in OWL

Zentrale Studienberatungen und Kooperationspartner aus der regionalen Wirtschaft informieren beim gemeinsamen digitalen Thementag.

Wer überlegt, seinen Studiengang zu wechseln oder sein Studium abzubrechen, bleibt an den Hochschulen in Ostwestfalen-Lippe nicht allein: Im Rahmen des Verbundprojektes „Campus OWL – Chancen bei Studienzweifel und Studienausstieg“ laden die Fachhochschule Bielefeld, die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe sowie die Universitäten Bielefeld und Paderborn am 12. Januar zum digitalen Thementag Studienzweifel in OWL – Auf der Suche nach Plan B ein.

Die Studienberatungen und Career Services der Hochschulen kooperieren dabei mit den Agenturen für Arbeit Bielefeld, Paderborn und Detmold, den Industrie- und Handelskammern Ostwestfalen zu Bielefeld und Lippe zu Detmold, der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe oder Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe und weiteren Akteuren. Angesprochen sind Studierende der vier Hochschulen, die an ihrem Studium oder Studiengang zweifeln oder bereits über einen Studienabbruch nachdenken.

Da die Gründe, die einem Studienzweifel zugrunde liegen, häufig sehr vielfältig sind, kommen die Angebote auch aus verschiedenen Bereichen: Die digitalen Info-Veranstaltungen beantworten Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven und zeigen eine Vielfalt von Lösungen und Alternativen auf. So werden neben unterstützenden Angeboten im Studium auch die Möglichkeiten eines Ausstiegs oder Umstiegs in die Berufsausbildung thematisiert. Ziel des Angebotes ist es, in einer scheinbar festgefahrenen Situation verschiedene Lösungswege zu entdecken.

Weitere Informationen unter: go.upb.de/planb

Große Kräne, große Aufgaben

Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) informiert:

Bielefeld. Mit einer Masthöhe von rund 90 Metern und einer Auslegerlänge von 80 Metern steht einer der imposantesten Kräne in Ostwestfalen jetzt an der Universität Bielefeld. Ihm werden weitere folgen. Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) braucht die Riesen für die Sanierung des Universitätshauptgebäudes.

Für die Sanierung des Hauptgebäudes der Universität rückt der Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen (BLB NRW) jetzt mit beeindruckenden technischen Helfern an. Vier Kräne, bis zu 90 Meter hoch und bis zu 80 Meter lang, werden helfen, den größten Bauabschnitt des Bielefelder Großprojektes zu bewältigen. „Sie bilden das logistische Rückgrat für die Modernisierung des Hauptgebäudes und werden voraussichtlich für die gesamte Bauzeit benötigt“, berichtet Andreas Belke, Projektverantwortlicher des BLB NRW.

Zahlreiche Tieflader transportierten die bis zu 20 Tonnen schweren Bauteile der Kräne zu ihren Plätzen auf der Baustelle. Für den Aufbau brachte eine Kölner Spezialfirma besondere Technik zum Einsatz. Allein um den größten Baustellenkran zu errichten, waren zwei weitere Autokräne notwendig. Zunächst baute ein fünfachsiges Fahrzeug einen deutlich größeren 500-Tonnen-Autokran mit insgesamt acht Achsen auf. Erst mit diesem gewaltigen Gerät war es – aufgrund einer Auslegerhöhe von mehr als 100 Meter – möglich, den eigentlichen Baustellenkran auf dem ehemaligen Frauenparkplatz der Universität zu errichten.

Oberhalb des Gebäudekomplexes entstand neben dem Gebäudeteil S des Hauptgebäudes der zweite Kran mit einer Höhe von 55 Meter und einer maximalen Tragkraft von rund 15 Tonnen. Mit diesen beiden baugleichen und nur in der Höhe unterschiedlichen Drehkränen werden in wenigen Tagen die Fassadenplatten an den Gebäudeteilen im ersten Bauabschnitt entfernt.

  • Neben dem Haupteingang der Universität Bielefeld steht mit einer Masthöhe von rund 90m und einer Auslegerlänge von rund 80 m der größte der vier Baustellenkräne zur Modernisierung des Universitätshauptgebäudes. Foto: BLB NRW
  • Ein 500-Tonnen-Autokran mit einer Auslegerhöhe von rund 100m ist notwendig, um die Baustellenkräne für die Universitätsmodernisierung aufzustellen. Foto: BLB NRW
  • Der rund 90m hohe Mast des höchsten Baustellenkrans an der Universität Bielefeld ist etwa doppelt so hoch wie das Universitätshauptgebäude.Der zweite Kran im Vordergrund hat eine Masthöhe von rund 65m. Foto: BLB NRW
  • Der Kran mit der Nr. 4 hat eine Masthöhe von rund 65m und deckt den südlichen Baustrellenbereich ab. Foto: BLB NRW

Zusätzlich werden auf der Baustelle noch zwei kleinere Kräne im Bereich des ehemaligen Frauenparkplatzes aufgestellt. Diese benötigen die Bauherren, um hier einen U-förmigen Neubau mit einer Fläche von rund 14.000 Quadratmetern zu errichten, der an zwei Stellen mit dem Hauptgebäude verbunden sein wird. Er wird dem Eingangsbereich der Universität zukünftig ein neues Erscheinungsbild verleihen. In diesem Bauteil werden überwiegend Büro- und Seminarräume sowie ein Servicebereich für Studierende entstehen.

Der erste Bauabschnitt am Universitätshauptgebäude in Bielefeld umfasst insgesamt eine Bruttogrundfläche von 75.300 Quadratmetern und umfasst die Gebäudeteile A, B, K, R, S und J. Überwiegend handelt es sich um Flächen, die als Seminar- oder Büroräume genutzt werden. Zu den bis zu elf oberirdischen und drei unterirdischen Geschossen gehören neben den Verkehrsflächen auch Bereiche für Lager, Archiv, Technik und Sanitär. Verantwortlich für die baulichen Maßnahmen ist die Ed. Züblin AG, ein weltweit agierendes Bauunternehmen mit fast 15.000 Beschäftigten. Der BLB NRW beauftragte das Unternehmen im Sommer 2019 mit der Bauausführung des ersten Bauabschnitts. Der BLB NRW selbst ist Bauherr bei der Modernisierung des Hauptgebäudes an der Universität Bielefeld.

Über den BLB NRW

Der BLB NRW ist Eigentümer und Vermieter fast aller Immobilien des Landes Nordrhein-Westfalen. Mit rund 4.250 Gebäuden, einer Mietfläche von etwa 10,3 Millionen Quadratmetern und jährlichen Mieterlösen von rund 1,4 Milliarden Euro verwaltet der BLB NRW eines der größten Immobilienportfolios Europas. Seine Dienstleistung umfasst unter anderem die Bereiche Entwicklung und Planung, Bau und Modernisierung sowie Bewirtschaftung und Verkauf von technisch und architektonisch hoch komplexen Immobilien. Der BLB NRW beschäftigt rund 2.350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sieben Niederlassungen. Mehr Informationen unter www.blb.nrw.de

ZiF-Konferenz 2020: Welche Energie für die Zukunft?

Noch immer deckt die Menschheit ihren Energiebedarf zum größten Teil mit Kohle, Gas und Öl. Und beschleunigt damit den Klimawandel. Aber was sind die Alternativen? Auf der ZiF-Konferenz 2020, der großen öffentlichen Jahrestagung des Zentrums für interdisziplinäre Forschung (ZiF), stellen Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen ihre Antworten auf diese Frage vor. Die zehnte ZiF-Konferenz trägt den Titel „Herausforderung Energiewende“ und findet am Dienstag, 1. Dezember, als Online-Tagung statt.

Produzieren, Wohnen, Reisen, Essen, Kommunizieren: Der Energieverbrauch der Menschen nimmt ständig zu. Gedeckt wird er seit der Industriellen Revolution vor allem durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas. Inzwischen ist längst klar, dass die damit verbundenen Emissionen an Treibhausgasen massiv dazu beitragen, das Klima aufzuheizen. Um die Klimaschutzziele, die Deutschland sich gesetzt hat, zu erreichen, müssen diese Emissionen massiv gesenkt werden. Doch wie kann das gelingen? Können Wind und Sonne die fossilen Energieträger ersetzen? Oder brauchen wir ganz neue, synthetische Kraftstoffe?

Sie leiten die ZiF-Konferenz 2020 (v.li.): Prof. Dr. Robert Schlögl, Direktor des Max-Planck-Instituts für chemische Energiekonversion, und die ZiF-Direktoren Prof. Dr. Carsten Reinhardt und Prof. Dr. Gernot Akemann. Foto 1: MPI CEC, Foto 2: Conrad Erb Photography, Foto 3: Universität Bielefeld/M.-D. Müller

„Was technisch möglich ist, ist dabei die erste und zentrale, aber nicht die einzige Frage“, sagt ZiF-Direktor Professor Dr. Gernot Akemann. Professor Dr. Carsten Reinhardt, ebenfalls ZiF-Direktor, ergänzt: „Wir müssen auch fragen: Welche Alternativen sind realistisch umsetzbar? Was sind die Auswirkungen? Wie funktionieren komplexe Entscheidungen wie der Wechsel zu neuen Energieträgern in einer Gesellschaft? Und wie stellt sich die Lage international dar? Diese Fragen zu beantworten, gehört zu den dringendsten Herausforderungen der Gegenwart.“ Akemann und Reinhardt leiten die Tagung mit Professor Dr. Robert Schlögl, Direktor am Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr und Koordinator des Projekts „Energiesysteme der Zukunft“ der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Zusammen haben sie hochkarätige Referent*innen aus der Energieforschung, aber auch aus der Geschichte und der Wissenschaftsgeschichte, der Umwelt- und Planungswissenschaft und der Umwelt- und Klimapolitik eingeladen. Eine Podiumsdiskussion mit Teilnehmenden aus Wirtschaft, Politik und Umweltverbänden steht ebenfalls auf dem Programm.

„Eine einfache Antwort auf die Frage nach den Energiesystemen der Zukunft ist nicht in Sicht“, so die Tagungsleiter. „Aber eine breite und realistische Perspektive kann die Diskussion versachlichen und die Suche erleichtern.“

Die ZiF-Konferenz richtet sich wie immer an die Öffentlichkeit. Sie findet wegen der aktuellen Lage in diesem Jahr als Online-Veranstaltung via Zoom statt. Die Teilnahme ist kostenlos. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Journalist*innen sind herzlich eingeladen, über die Tagung zu berichten. Die Tagungssprache ist Deutsch.

Weitere Informationen:
• Link zur Teilnahme an der ZiF-Konferenz
• Programm der Tagung

Universität erhält Graduiertenkolleg zu Geschlechterforschung

Ein neues Graduiertenkolleg an der Universität Bielefeld soll die Geschlechterforschung fächerübergreifend weiterentwickeln. Welche Erfahrungen machen Menschen mit ihrem Geschlecht? Wie fühlt es sich an, ein bestimmtes Geschlecht sein zu müssen oder sein zu wollen? Und welche Bedeutung haben diese Erfahrungen für den Wandel von Geschlechterverhältnissen und von Lebensweisen als Frau, als Mann oder als ein anderes Geschlecht? Diesen und ähnlichen Fragen geht das Graduiertenkolleg ab Mai 2021 nach. Über zunächst viereinhalb Jahre forschen zehn Doktorand*innen und eine Postdoktorandin aus unterschiedlichen Disziplinen in der neuen Einrichtung. Der Name des Kollegs: „Geschlecht als Erfahrung. Konstitution und Transformation gesellschaftlicher Existenzweisen“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat das Kolleg jetzt bewilligt und fördert es mit 3,8 Millionen Euro. Sprecherin ist die Geschlechtersoziologin Professorin Dr. Tomke König.

Die Geschlechtersoziologin Prof’in Dr. Tomke König leitet das neue Graduiertenkolleg „Geschlecht als Erfahrung“. Foto: Universität Bielefeld

Für das Graduiertenkolleg arbeiten zehn Wissenschaftler*innen aus sechs Disziplinen zusammen: American Studies, Germanistische Literaturwissenschaft, Gesundheitswissenschaften, Politikwissenschaft, Soziologie und Sportwissenschaft. „Wir erforschen, welche Erfahrungen Menschen mit Geschlecht machen, wie sich diese Erfahrungen in ihrem Körper niederschlagen und auch, wie körperliche Erfahrungen zu Widerstand und Protest führen können“, sagt Tomke König von der Fakultät für Soziologie. „Wie es sich anfühlt, eine Frau, ein Mann oder ein anderes Geschlecht zu sein, ist von den jeweiligen Erfahrungen der Menschen abhängig. Das Ziel des Kollegs ist es, ein präzises Vokabular zu entwickeln für das, was in der gegenwärtigen Ordnung der Geschlechter nicht gesagt, gedacht und gefühlt werden kann, sodass es auch für alle verständlich wird, die diese Erfahrungen nicht machen.“

Die Forschenden des Graduiertenkollegs verbinden ihre Analysen von Geschlecht als Erfahrung mit anderen Erfahrungsdimensionen. „Wie Menschen ein Geschlecht erleben und sich aneignen, das hängt mit einer Reihe von Dimensionen zusammen – zum Beispiel mit Klasse, Ethnizität, Staatsbürgerschaft, Sexualität, Gesundheit, Alter oder auch Religion“, erklärt König.

Zusammenführung gegensätzlicher Forschungsansätze

Mit dem Programm ihres Kollegs schlagen die Wissenschaftler*innen eine Brücke zwischen Forschungsansätzen, die Geschlecht einerseits als vorgegeben und andererseits als sozialisiert und anerzogen untersuchen. Die beiden Herangehensweisen werden in der Geschlechterforschung als essentialistische und dekonstruktivistische Ansätze unterschieden. Gemäß dem Essentialismus werden Menschen hauptsächlich oder überwiegend von ihrer biologischen Natur bestimmt und kaum von ihrer sozialen Umwelt. Der Dekonstruktivismus geht hingegen davon aus, dass Geschlechtsidentitäten und -rollen im sozialen Miteinander erlernt werden. So werden häufig unterschiedliche Verhaltensweisen bei weiblichen und männlichen Kindern und Erwachsenen gefördert: etwa, wenn einerseits aggressives Verhalten geduldet und andererseits selbstloses Verhalten eingefordert wird.

Nachwuchsforschende können sich bis Anfang des kommenden Jahres mit Dissertations- und Habilitationsthemen an dem Graduiertenkolleg bewerben. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht kommt zum Beispiel eine Dissertation in Frage, die untersucht, welche unterschiedlichen Verhaltenslehren Romane und Kurzgeschichten für weibliche und männliche Körper vorgeben und welche Körpererfahrungen die Autorinnen je nach Geschlecht schildern. Soziologisch kann es beispielsweise um Menschen in Machtpositionen gehen und darum, welche Denk-, Gefühls- und Handlungsweisen notwendig sind, um Macht auszuüben. Wie erleben sich Inhaber*innen von Machtpositionen selbst als Frau oder als Mann? Ein mögliches Forschungsthema aus der Gesundheitswissenschaft betrifft zum Beispiel vorzeitige Wechseljahre und wie diese sich darauf auswirken, wie Frauen ihre Weiblichkeit wahrnehmen und mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Alter zusammenbringen. Solche und ähnliche Themen will das Graduiertenkolleg im interdisziplinären Austausch bearbeiten und damit die Perspektive der Einzeldisziplinen überschreiten.

DFG fördert neue Kollegs mit rund 48 Millionen Euro

Das Kolleg ist eins von zehn neuen Graduiertenkollegs (GRK), die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zur weiteren Stärkung des wissenschaftlichen Nachwuchses einrichtet. Die neuen GRK werden ab Frühjahr 2021 zunächst viereinhalb Jahre mit insgesamt rund 48 Millionen Euro gefördert. Nach der ersten Förderphase können die Kollegs eine Förderung für weitere viereinhalb Jahre beantragen. Graduiertenkollegs bieten Doktorand*innen die Möglichkeit, in einem strukturierten Forschungs- und Qualifizierungsprogramm auf hohem fachlichem Niveau zu promovieren. Aktuell fördert die DFG insgesamt 222 GRK, darunter 34 Internationale Graduiertenkollegs (IGK).

Langjährige Erfahrung in der Geschlechterforschung

Die Universität Bielefeld ist seit Jahrzehnten für ihre Geschlechterforschung bekannt. Das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung (IZG) an der Universität Bielefeld ist eines der ersten Zentren im deutschsprachigen Raum, das Geschlecht und Geschlechterverhältnisse in den Mittelpunkt seiner Forschungen gestellt hat. Es ging aus der 1982 eingerichteten Interdisziplinären Forschungsgruppe Frauenforschung (IFF) hervor. Ebenfalls ein Beispiel für die Geschlechterforschung ist die neue ZiF-Forschungsgruppe am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld. Unter Leitung von drei Bielefelder Wissenschaftler*innen befasst sie sich seit Oktober mit weltweiten Anfechtungen von Frauen- und Geschlechterrechten.

Weitere Informationen:
• Pressemitteilung der Deutschen Forschungsgemeinschaft: „DFG fördert zehn neue Graduiertenkollegs“
• Website des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung (IZG)

Andreas Voßkuhle in die Jury für den Bielefelder Wissenschaftspreis berufen

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Prof. Dr. Dres. h. c. Andreas Voßkuhle, wird Mitglied der Jury für den Bielefelder Wissenschaftspreis. Er tritt die Nachfolge von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Dieter Grimm an, der der Jury seit der ersten Preisverleihung im Jahr 2004 angehörte und sein Amt mit Ablauf der Preisverleihung 2020 aus Altersgründen aufgibt.

Andreas Voßkuhle wird Mitglied der Jury für den Bielefelder Wissenschaftspreis. Das Foto entstand auf dem Jahresempfang der Universität Bielefeld 2019. Foto: Universität Bielefeld/ Stefan Sättele

Die Entscheidung für Andreas Voßkuhle fiel in einer Sitzung des Stiftungsbeirates der Stiftung der Sparkasse Bielefeld, die den mit 25.000 Euro dotierten Bielefelder Wissenschaftspreis im Gedenken an den Soziologen Niklas Luhmann vergibt. Oberbürgermeister Pit Clausen, der Vorsitzende des Stiftungsbeirates, zeigte sich sehr erfreut über die Entscheidung des Gremiums: „Es ist für uns eine große Ehre, dass Herr Professor Voßkuhle bereit ist, das Amt eines Jurymitgliedes für den Bielefelder Wissenschaftspreis zu übernehmen. Wie Professor Grimm, der ja nicht nur lange Professor in Bielefeld, sondern ebenfalls Bundesverfassungsrichter war, verbindet Herr Professor Voßkuhle herausragende wissenschaftliche Expertise mit großer juristischer Praxiskenntnis auf höchstem Niveau.“

Auch der Vorsitzende der Jury für den Wissenschaftspreis, Prof. Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, freut sich auf die Zusammenarbeit mit dem aus Detmold stammenden Andreas Voßkuhle und verweist auf die großen Verdienste von Dieter Grimm um den Preis: „Professor Grimm hat unseren Wissenschaftspreis nachhaltig geprägt. Sein umfassendes Wissen um die Exzellenz des wissenschaftlichen Werkes der möglichen Preisträger hat oftmals den Ausschlag bei der Auswahl der hochkarätigen Persönlichkeiten gegeben, die den Wissenschaftspreis verliehen bekommen haben. Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet.“

Letztmalig hat Dieter Grimm an der Entscheidung für die diesjährige Preisträgerin des Bielefelder Wissenschaftspreises mitgewirkt, die Münsteraner Medizinethikerin Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert. Die Preisverleihung findet voraussichtlich im Frühsommer 2021 statt.

Zur Person von Prof. Dr. Dres. h. c. Andreas Voßkuhle

• Geb. 1963 in Detmold
• Studium in Bayreuth und München
• 1993: Promotion an der Universität Augsburg
• 1998: Habilitation an der Universität Augsburg
• Seit 1999: ordentlicher Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
• Direktor des Instituts für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie
• 2008: Rektor der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
• 2008: Ernennung zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichtes und Vorsitzenden des Zweiten Senats
• 2010: Präsident des Bundesverfassungsgerichtes
• Juni 2020: Ausscheiden aus dem Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes
• 2020: Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
• Ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften

Staaten uneins über Klimaschutz

Wie verändert sich das Klima in den Amerikas? Wie gut gelingt es der Politik, Naturkatastrophen zu managen – und wer leidet besonders darunter? Mit solchen Fragen befasst sich Professorin Dr. Eleonora Rohland. Sie ist Direktorin des Center for InterAmerican Studies und Professorin für Verflechtungsgeschichte der Amerikas in der Vormoderne.

Mehr Starkregen, mehr Wirbelstürme, mehr Dürren

Das Klima in den Amerikas unterliegt starken Schwankungen, die insbesondere mit der Meeresströmung vor der Westküste Südamerikas und den jeweiligen Wassertemperaturen zusammenhängen. In manchen Phasen steigt die Wassertemperatur vor der Westküste Südamerikas an. Man bezeichnet dieses Phänomen auch als El Niño. „Das verändert atmosphärische Strömungen, die unter anderem zu starken Regenfällen in Ländern wie Peru und Chile führen“, sagt Rohland. Das umgekehrte Phänomen, bei dem das Wasser vor der Küste kälter als sonst ist, wird als La Niña bezeichnet – und bedingt in der Folge unter anderem eine starke Trockenheit in Ländern wie Peru und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für aktive Hurrikansaisons im Atlantik.

Eleonora Rohland befasst sich mit der Umwelt-und Klimageschichte der Amerikas. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller

„Wir wissen, dass es solche Schwankungen seit mehreren Tausend Jahren gibt“, sagt die Professorin. Wissenschaftler*innen gehen allerdings davon aus, dass der Klimawandel diese eigentlich natürlichen Effekte verstärkt – mit weitreichenden Folgen. „Damit hängen zum Beispiel die heftigen Waldbrände im Westen der USA in diesem Jahr zusammen, weil es dort extrem trocken war“, sagt Professorin Rohland. Es ist darüber hinaus davon auszugehen, dass extreme Wetterereignisse in den Amerikas zunehmen werden – also zum Beispiel Starkregen, Stürme oder Dürren. „Es deutet zudem alles darauf hin, dass Wirbelstürme stärker werden.“

Unterschiedliche Bestrebungen zum Klimaschutz

Spätestens seit dem UN Earth Summit von Rio im Jahr 1992 haben sich die meisten Staaten in den Amerikas dazu verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Die Ziele wurden im 1997 beschlossenen Kyoto-Protokoll festgehalten. Der damalige US-Präsident Bill Clinton unterschrieb das Protokoll – der US-Senat weigerte sich allerdings, es zu ratifizieren. Auf Clinton folgte Präsident George W. Bush, der sich ebenfalls gegen das Kyoto-Protokoll aussprach. Präsident Barack Obama setzte sich schließlich 2015 stark für das Klimaabkommen von Paris ein, das als Meilenstein für den Klimaschutz galt. Präsident Donald Trump kündigte wiederum 2017 an, aus dem Abkommen austreten zu wollen.

Insbesondere in Lateinamerika waren viele Länder empört über diesen Schritt von Trump – viele von ihnen hatten sich über Jahre für ein globales Klimaabkommen eingesetzt. „Allerdings sind die Länder in Bezug auf ihre Klimapolitiken natürlich extrem heterogen“, sagt Eleonora Rohland. So gilt beispielsweise Costa Rica als Vorreiter – das Land hatte angekündigt, bis 2021 klimaneutral sein zu wollen und die Elektromobilität auszubauen. „Brasilien setzt hingegen seit dem Wahlsieg von Jair Bolsonaro wieder deutlich stärker auf fossile Energien“, sagt Rohland. Insgesamt sei darüber hinaus in einigen Ländern in den Amerikas, allen voran Venezuela und Brasilien, zu beobachten, dass sie stark darauf setzten, Rohstoffe wie Öl zu exportieren, um damit ihre Sozialsysteme auszubauen – dies allerdings auf Kosten der Umwelt und indigener Bevölkerungen.

Unterschiedliche historische Verantwortung

In vielen Staaten in den Amerikas haben sich zivilgesellschaftliche und indigene Gruppierungen wie auch NGOs zum Kampf gegen den Klimawandel und für Klimagerechtigkeit zusammengeschlossen. Trotzdem hat die internationale Schüler*innenbewegung Fridays for Future laut Rohland bislang weder in Nord- noch in Südamerika eine ähnliche Schubkraft entwickelt wie in Europa. Das hängt zum einen mit dem extrem unterschiedlichen Status der einzelnen Länder im Hinblick auf den Ausstoß von CO2 und die historische Verantwortung für den globalen Klimawandel zusammen. „Und zum anderen liegt es auch daran, dass in den lateinamerikanischen Ländern andere Fragen häufig drängender für Menschen sind.“ Zum Beispiel: Armut, Gewalt, gesellschaftliche Ungleichheit oder Konflikte rund um Drogen- und Bandenkriminalität.

Auch in den USA sind zum Beispiel die NGOs 350.org und Aavaz stark, die sich für Klimaschutz einsetzen. „Eine Bewegung ähnlich wie die Fridays for Future bei uns nehme ich allerdings auch dort bislang nicht wahr“, sagt Eleonora Rohland, Mitgründerin und -organisatorin der Lectures for Future Bielefeld. Bei der interdisziplinären Vortragsreihe geht es um das Thema „Der Mensch in einer begrenzten Umwelt.“

Nicht alle leiden gleich stark unter Naturkatastrophen

Wenn sich Naturkatastrophen in den Amerikas ereignen, sind nicht alle Menschen gleichermaßen davon betroffen. Rohland hat sich mit der US-amerikanischen Stadt New Orleans von ihrer Gründung 1718 bis zum Hurrikan Katrina beschäftigt, der die Stadt 2005 teils zerstörte und überflutete. In Louisiana wurde 2004 von der staatlichen Katastrophenbehörde FEMA eine Katastrophenübung mit dem Namen „Hurricane Pam“ durchgeführt – und trotzdem versagte das Management 2005. „DieAuswirkungen des Sturms wurden durch die zu späte und ungenügende Reaktion verschiedener Behörden erheblich verschlimmert“, sagt Rohland.

Einige Bevölkerungsgruppen traf die Katastrophe stark. „Unter den Überflutungen litten insbesondere die in den USA durch systemischen Rassismus benachteiligten People of Color“, sagt die Historikerin. Einer der Gründe: Die Stadtteile, in denen hauptsächlich Afro-Amerikaner*innen leben, befinden sich oft in geografisch tiefer liegenden und somit hochwassergefährdeten Teilen der Stadt. „Ein Teil der schwarzen Bevölkerung besaß kein Auto und konnte deshalb nicht aus der Stadt flüchten“, sagt Rohland. Nach der Überflutung fehlte vielen zudem das Geld, um die beschädigten Häuser wieder instand zu setzen. „Es sind somit meist historisch gewachsene, sozioökonomische Faktoren, die insbesondere People of Color und indigene Bevölkerungen in den Amerikas besonders für Naturkatastrophen verwundbar machen.“

Dieser Artikel stammt aus „BI.research“, dem Forschungsmagazin der Universität Bielefeld. Hier gibt es die neue Ausgabe des Magazins.

Vorabveröffentlichung aus BI.research: Vorwärts ins Mittelalter

Weiß, männlich, milliardenschwer – in lateinamerikanischen Staaten sieht die politische Elite immer seltener aus wie die Bürger*innen in den Ländern. Dafür ähneln die Mächtigen denen im reichen Nordamerika. Geschichtswissenschaftler Olaf Kaltmeier beschreibt diese neue, alte politische Kultur in seinem aktuellen Essay als Refeudalisierung und Rechtsruck.

Stellen Sie sich mal ein Lateinamerika vor, wo so viele Frauen Präsidentinnen, Parlamentarierinnen und Richterinnen sind wie in keiner anderen Weltregion. Wo Staatschefs vorher Busfahrer, Bauern oder Stahlarbeiter waren. Wo eine indigene Herkunft kein Nachteil ist. Wo Sozialprogramme Millionen Menschen aus der absoluten Armut heben und lesen lernen lassen. Wo Regierungen Umweltschutz mit wirtschaftlichen Interessen vereinbaren wollen.

Klingt utopisch? Das war in den vergangenen 30 Jahren aber Realität: in Argentinien, Bolivien und Chile, in Brasilien oder Ecuador, in El Salvador, Nicaragua, Paraguay, Mexiko, Venezuela und Uruguay und, wenn die Karibikstaaten dazugezählt werden, in Kuba und der Dominikanischen Republik.

Protestbewegungen Lateinamerikas reichen bis nach Bielefeld: Olaf Kaltmeier vor einer Reproduktion des Chile-Wandbildes in der Uni-Halle. Das Original istderzeit wegen der Bauarbeiten im Hauptgebäude hinter einer Schutzwand ver-borgen. Es wurde 1976 heimlich von Exilchilen*innen angebracht – aus Protestgegen die damalige Pinochet-Diktatur. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller

Soziale Ungleichheit als Ursache für Krisen

Heute erscheinen viele dieser Staaten weniger vorbildlich und demokratisch. Wir sehen den Amazonaswald brennen, Protestierende auf Chiles Straßen sterben, Millionen aus Venezuela fliehen. In der Corona-Pandemie wird deutlich, wie unterfinanziert das öffentliche Gesundheitswesen in der Weltregion ist. In Lateinamerika und der Karibik gibt es laut der Nachrichtenagentur AFP mehr als 300.000 registrierte Todesopfer der Pandemie, davon rund 130.000 in Brasilien (Anfang September 2020). Wähler*innen bringen einen Typus in Ämter, mit dem sich politische Kultur und Moral wandeln.

Refeudalisierung nennt Professor Dr. Olaf Kaltmeier diese Verschiebung. Der Historiker forscht am Center for InterAmerican Studies (CIAS) der Universität Bielefeld und ist Direktor des Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies (CALAS). Er betont im Gespräch mit BI.research, dass sich der Prozess nicht nur innerhalb von lateinamerikanischen Gesellschaften abspielt, sondern weltweit. Insbesondere sehen wir Refeudalisierung ihm zufolge auch zwischen den Amerikas: auf der einen Seite der reiche Norden, auf der anderen das ärmere Mittel- und Südamerika, dazwischen Abschottung.

Gesellschaften sind extrem polarisiert

Der Begriff offenbart das soziale Grauen des Mittelalters: Schon der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas und der deutsche Soziologe Sighard Neckel benutzten „Refeudalisierung“ für die Folgen des Turbokapitalismus in unserem Jahrhundert – wegen Parallelen zum Feudalismus, der Gesellschafts- und Wirtschaftsform bis zur Aufklärung und Französischen Revolution in Europa.

Der Sozialwissenschaftler Kaltmeier beschreibt mit Refeudalisierung verschiedene Dimensionen einer „extremen sozialen Polarisierung“. Eine Dimension ist die Verteilung von Besitz: Im Mittelalter gehörten wenigen Feudalherren Land und Untertanen. Heute zeigen laut Kaltmeier Analysen wie der Oxfam-Report ähnliche Strukturen, nämlich „dass 1 Prozent der Weltbevölkerung genauso viel Reichtum besitzt wie 99 Prozent der restlichen Weltbevölkerung.“ Daraus entstehe eine undemokratische Abhängigkeit, in der sozialer Aufstieg unwahrscheinlicher werde.

Die Direktorin und der Direktor des CALAS, Sarah Corona Berkin aus Mexiko und Olaf Kaltmeier, erhoffen sich von der gemeinsamen Krisenforschung, dass sie zur politischen Debatte in den lateinamerikanischen Ländern beiträgt und den transregionalen Austausch fördert. Foto: Olvia A. Maisterra Sierra

Denn dem milliardenschweren einen Prozent gehören die Häuser, in denen die restlichen 99 leben; außerdem ihr Land, die Medien, die sie zu Meinung und demokratischem Handeln befähigen sollen, ihr Wasser, ihre Drogen, ihre Kredite – und immer öfter ihre politische Repräsentation.

Dass Superreiche Regierungsämter erobern, kennen wir aus Europa durch Silvio Berlusconi (Italien), Petro Poroschenko (Ukraine) oder Andrej Babiš (Tschechien). In den USA ist hier Donald Trump zu nennen. Diese Prozesse gehen oft mit einer autoritären Verhärtung an der Spitze der politischen Macht einher.

„Damit verschwindet das urdemokratische Prinzip von Gleichheit“

In Lateinamerika wiederholt sich dieses Prinzip. Beispiel Chile: Hier ist seit zwei Jahren Milliardär Sebastián Piñera Präsident. Gewählt von Menschen, die lateinamerikaweit am meisten Privatschulden haben, sagt Kaltmeier. Problematischer könnte der soziale Gegensatz zwischen Volk und Repräsentant kaum sein. Für Kaltmeier verschwindet damit „das urdemokratische Prinzip von Gleichheit oder wie in Lateinamerika gesagt wird ‚equidad‘ – Chancengleichheit.“ Nach einer Untersuchung der Nichtregierungsorganisation Oxfam verstärkt sich dieses soziale Auseinanderdriften in der Corona-Pandemie. Zwischen März und Juni 2020 sei laut der Studie das Vermögen der lateinamerikanischen Geldaristokratie um 18 Prozent gestiegen, berichtet Kaltmeier. Dagegen sei gerade der informelle Sektor, in dem die unteren Schichten ihren Lebensunterhalt verdienen, massiv geschrumpft.

Mittelalterliche Abhängigkeiten paaren sich in lateinamerikanischen Staaten – ebenso wie in den USA – mit einem Rechtsruck. Beispiel Brasilien: 2018 wird der Rechtsextreme Jair Bolsonaro Präsident, ein Mann, der Frauen den gleichen Lohn wie Männern abspricht, der offen Homosexuelle diskriminiert, die Rechte von Indigenen beschneidet und mutmaßlich den Amazonaswald abbrennen lässt, um Rohstoffe und Ackerland zu gewinnen.

Weiß sein bedeutet reich sein – seit der Kolonialzeit

Kaltmeier interpretiert das als eine Art „Rache von Personen, die sich einer männlichen, weißen Elite zugehörig fühlen“ und soziale Errungenschaften zurückdrehen wollen. Dabei werde die Elite vom Aufstiegswunsch der Wähler*innen befeuert, denn „je weiter man aufsteigenmöchte, desto mehr scheint sich das Kriterium Weißsein durchzusetzen.“ Ein Kriterium, das sich seit der Kolonialzeit in Lateinamerika durchgezogen habe, so Kaltmeier.

Der Sozialwissenschaftler beobachtet aber auch ermutigende Prozesse, von denen andere Weltregionen lernen sollten. Zum Beispiel habe es die politische Debatte in Lateinamerika ermöglicht, eine diverse, plurikulturelle Gesellschaft verfassungsmäßig festzuschreiben. Und er erlebe dort eine lebendige, breite Zivilgesellschaft, die gegen Ungerechtigkeiten mobilisiere und in der Solidarität zum Alltag gehöre – trotz aller feudalen und rechten Tendenzen. „Mal ehrlich“, sagt Kaltmeier noch, „das würde ich mir für Deutschland auch mehr wünschen.“

Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung aus „BI.research“, dem Forschungsmagazin der Universität Bielefeld. Die neue Ausgabe des Magazins erscheint im Oktober 2020.

Erste Digital Academy befasst sich mit Visualisierung von Daten in Geistes- und Kulturwissenschaften

Welche Chancen bieten Visualisierungen für die digitalen Geisteswissenschaften? Dieser Frage widmen sich die Teilnehmer*innen der ersten Digital Academy der Universität Bielefeld. Die Tagung trägt den Titel „Visualisieren und Vergleichen“ und wird vom 20. bis zum 23. Oktober vom Arbeitsbereich Digital History der Abteilung Geschichtswissenschaft und dem Sonderforschungsbereich „Praktiken des Vergleichens. Die Welt ordnen und verändern“ (SFB 1288) ausgerichtet.

Prof’in Dr. Silke Schwandt organisiert mit ihrem Team die Digital Academy 2020. Foto: Universität Bielefeld/P. Ottendörfer

Ob animierte Fallzahlenentwicklungen zu Corona, Netzwerkgrafiken oder Karten: Grafische Darstellungen können helfen, riesige Datenmengen übersichtlich und verständlich zu machen. „Für viele wissenschaftliche Disziplinen ist es eine gängige Praxis, Informationen aus einer Visualisierung zu entnehmen oder eine Visualisierung zu erstellen – und so Vergleiche anzustellen“, sagt Professorin Dr. Silke Schwandt, Leiterin des Arbeitsbereichs Digital History. Die Initiatorin der Digital Academy leitet im SFB 1288 das Projekt „Dateninfrastruktur und Digital Humanities“, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die Methodik zur Erforschung von Vergleichspraktiken für die Geisteswissenschaften weiterzuentwickeln. Mit der Veranstaltung möchte sie Nachwuchswissenschaftler*innen die Gele-genheit bieten, ihre eigenen Projekte vorzustellen und die in Visualisierungen angelegten Vergleiche zu untersuchen.

Doch Visualisierungen können täuschen, denn weder sie selbst noch die Praktiken ihrer Erstellung sind neutrale Übertragungen von Informationen. Die theoretische Reflexion dieser Praktiken wird mit der Exploration neuer Techniken verbunden. Dies schließt die Diskussion von digitalen Methoden für die Geisteswissenschaften genauso ein wie die Exploration innovativer digitaler Austauschformate wie Virtual Reality Umgebungen und digitale Pinnwände.

Die Teilnehmenden der Digital Academy erproben interaktive digitale Formate, darunter die Virtual-Reality-Plattform AltspaceVR. Dort kam das Organisationsteam zur Vorbereitung zusammen. Foto: Universität Bielefeld

Am 22. Oktober berichten drei renommierte Expert*innen, die Sozioinformatikerin Professorin Dr. Katharina Zweig, der Historiker Professor Dr. Andreas Fickers und der Computerlinguist Professor Dr. Noah Bubenhofer, von ihren Erfahrungen mit Visualisierungen und stellen sich den Fragen der Nachwuchswissenschaftler*innen. Ein Theoriegespräch am 23. Oktober rundet die Veranstaltung ab. Interessierte sind herzlich eingeladen, an beiden Tagen teilzunehmen, um Anmeldung (https://digital-history.uni-bielefeld.de/digital-academy/anmeldung/) wird jedoch gebeten. Die Tagungssprache ist Deutsch.

Weitere Informationen:
Website der Digital Academy

Der Zweck heiligt die Mittel

Amtsmissbrauch, Vergewaltigung, Unterschlagung, dann die Tonaufnahmen, auf denen er sagt, er habe das Coronavirus zu Jahresbeginn bewusst heruntergespielt, um eine Panik zu verhindern: Die Liste der Vorwürfe gegen den amtierenden US-Präsidenten Donald Trump ist lang. In den meisten Fällen schaden sie ihm politisch kaum. Dass Trump nach zahlreichen fragwürdigen Manövern von einem großen Teil der US-Amerikaner*innen unterstützt wird, hat er ausgerechnet den Evangelikalen in den USA zu verdanken – „trotz seines ‚amoralischen‘ Lebenswandels“, wie Professor Dr. Dr. Heinrich Wilhelm Schäfer betont. Der Religionssoziologe ist Mitglied des Center for InterAmerican Studies (CIAS) und des Center for the Research on Religion and Society (CIRRuS) der Universität Bielefeld. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Freikirchen in den USA und Lateinamerika, deren Einfluss auf die Politik er seit Langem untersucht.

Auch wenn er beide Lager erforscht: Dem Religionssoziologen Heinrich Wilhelm Schäfer sind die linken Evangelikalen deutlich näher als die religiöse Rechte. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller

Andere Werte

Evangelikale sind Christ*innen. Ihre Werte unterscheiden sich jedoch deutlich von denen der eher säkular geprägten Christ*innen in Europa. „Wenn wir uns die Wurzeln der Evangelikalen anschauen, wird klar, warum: Die Pilger-Väter, in Europa verfolgt, haben auf dem neuen Kontinent ihr Reich Gottes auf Erden gefunden. Dieses neue Jerusalem, das in ihrer Vorstellung von Gott selbst initiiert wurde, beanspruchen sie für sich allein“, erklärt Schäfer.

In einer solchen Wertewelt ist die Bibel eine irrtumsfreie und unumstößliche Autorität. Und es lässt sich gut in „wir“ und „die“ unterschieden. Schäfer führt hierfür ein Beispiel an: „Wer für Abtreibung ist, tötet. Dahinter verbirgt sich eine kategorische, pauschale Abqualifizierung von politischen Gegner*innen.“ Und genau an diesem Punkt hat Trump die Evangelikalen gepackt – vor allem die religiöse Rechte.

Republikaner*innen und die religiöse Rechte

„Trump symbolisiert die Werte der religiösen Rechten beziehungsweise nutzt diese Werte gezielt, um Stimmen von Wählerinnen für sich zu generieren. Dabei ist die Person im Amt quasi irrelevant. Wichtig ist nur, wofür sie steht“, betont Schäfer. Ein augenscheinliches Beispiel dafür, wie Trump vorgeht, um seine evangelikalen Wähler zu mobilisieren, war die Szene im Juni vor der Kirche St. John’s in Washington, D.C. Der Präsident ließ sich dort während einer Demonstration gegen Rassismus mit einer Bibel in der Hand fotografieren. Um vor die Kirche zu gelangen, hatte er Beteiligte der „Black lives matter“-Demonstration mit Tränengas vertreiben lassen. In diesem Fall waren die Reaktionen der Evangelikalen gemischt. Die symbolische Geste sei völlig angemessen gewesen, sagte zum Beispiel Robert Jeffress, Leiter der „First Baptist“-Kirche in Dallas und enger Berater des Präsidenten. Die örtliche Bischöfin zeigte sich wiederum empört. Trumps Botschaft stehe im Gegensatz zur kirchlichen Lehre, sagte sie.

Donald Trump ist bei Weitem nicht der erste Präsident, der sich als „von Gottes Gnaden“ inszeniert. Die enge Verflechtung zwischen der republikanischen Partei in den USA und der religiösen Rechten besteht seit vielen Jahrzehnten. Angehörige der religiösen Rechten haben innerhalb der Partei nicht nur wichtige Ämter besetzt, sondern zählen auch viele namhafte Politiker*innen zu ihrem Lager, wie Schäfer zu berichten weiß. Deutlich wird die direkte Ansprache religiöser Wähler*innen schon bei der Wortwahl vieler Republikaner*innen. Ein Beispiel ist die berühmte „Achse des Bösen“, mit der Präsident George W. Bush 2002 zahlreiche Länder regelrecht verteufelte.

Auch am Beispiel von Trumps Herausforderer Joe Biden von den Demokraten zeigt sich, wie bedeutsam das evangelikale Lager in US Präsidentschaftswahlen ist. So engagierte Biden für seine Wahlkampagne den evangelikalen Berater und früheren Republikaner Josh Dickson als Koordinator zu Glaubensfragen. In einer evangelischen Kirche in der Stadt Kenosha hielt Biden im September eine Rede gegen Rassismus. In Kenosha war es zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, nachdem ein schwarzer Amerikaner bei einem Polizeieinsatz lebensgefährlich verletzt worden war.

Exportschlager Freikirchen

Die Verflechtung zwischen Politik und Kirche wird aber nicht nur in den USA immer enger. Wer den Wahlkampf des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro verfolgt hat, erkennt Parallelen, im evangelikalen Lager um Wähler*innenstimmen zu werben. Bolsonaro fiel mit rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Äußerungen auf. Sein direkter Draht nach oben: der Pfingstler Silas Malafaia. Der Prediger hat sich schon im Wahlkampf hinter Bolsonaro gestellt, man teile dieselben Werte. Abtreibung sei ein Verbrechen, die Familie heilig. Dass Bolsonaro eigentlich Katholik und bereits zum dritten Mal verheiratet ist – nebensächlich.

Auf Lateinamerika übergeschwappt ist der Protestantismus durch amerikanische Einwanderer*innen und Missionar*innen – beginnend in den 1830er-Jahren zur Zeit des Unabhängigkeitskampfes gegen die spanische Krone. Der Missionsprotestantismus hat sich in Lateinamerika allerdings gemäß den dort geltenden Lebensformen stark verändert.

„Neben der religiösen Rechten gibt es auch ein linksliberales Spektrum, für das – obwohl religiös sehr konservativ – vor allem soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt steht. Während die religiöse Rechte die Demokratie regelrecht untergräbt, wird sie von linken Freikirchen gefördert“, sagt Schäfer. Das schlägt sich auch im Rückfluss des Protestantismus aus Lateinamerika in die USA nieder. Die teils katholischen, teils pfingstlichen Migrant*innen aus Lateinamerika bringen das religiöse Feld in den USA in Bewegung.

Und das dürften auch Trump und künftige republikanische Präsidentschaftskandidat*innen spüren. „2016 wurde Trump nochmit 81 Prozent der Stimmen weißer Evangelikaler ins Amt gewählt. In Zukunft dürfte das nicht mehr reichen, da sich das Gewicht der weißen Evangelikalen verringert. Es gibt Berechnungen, dass den Republikaner*innen schon 2024 selbst mit 100 Prozent der Stimmen aller weißen Evangelikalen mindestens drei Prozent zur Mehrheit fehlen“, erklärt Schäfer. „Dank der linksliberalen Strömungen aus Lateinamerika besteht also Hoffnung, dass sich die Plutokratie USA dem demokratischen Wertesystem in Zukunft wieder etwas annähert.“

Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung aus „BI.research“, dem Forschungsmagazin der Universität Bielefeld. Die neue Ausgabe des Magazins erscheint im Oktober 2020.

Die EU zwischen Konfusion und Vision

Die längste Zeit ihrer Geschichte zielte die EU auf Erweiterung und Vertiefung: Mehr Mitglieder sollten gewonnen, die Einigung vorangetrieben werden. Aktuell haben sich für die EU viele andere Probleme in den Vordergrund geschoben. Diese Entwicklung ist Thema der Tagung „Die EU zwischen Konfusion und Vision“, die am 26. und 27. Oktober am ZiF stattfindet. Hier werden Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen die aktuelle Lage der EU analysieren und solche Fehlentwicklungen benennen, die sich kurieren lassen. Ein öffentliche Online-Lesung am Montagabend, 26. Oktober, richtet sich auch an interessierte Bürger*innen.

„Die Leistungen der zunächst westeuropäischen, dann gesamteuropäischen Staaten im nunmehr sieben Jahrzehnte dauernden kontinentalen Friedens- und Integrationsprozess sind erstaunlich“, konstatiert der deutsch-amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaftler Paul Michael Lützeler, der die Tagung leitet. Die Bemühungen um mehr Integration seien aber inzwischen durch Krisen finanzieller, wirtschaftlicher, politischer, kultureller, juristischer und militärischer Art an ihre Grenzen gestoßen. Auch die Hinwendung zum autoritären Staat, Fremdenhass und Flüchtlingsfeindlichkeit, Infragestellung von Menschenrechtspositionen und Nato-Verlässlichkeit in Teilen der EU belaste die Gemeinschaft. Zudem habe die EU mit Großbritannien ein wichtiges Mitglied verloren. „Zurzeit beherrscht der Eindruck von Konfusion und Ratlosigkeit die Szene. Unser Workshop wird nach den Gründen für diese Krise fragen und versuchen, positive Tendenzen auszumachen, die die Integration wieder befördern können“, so der Europa-Experte.

Dazu hat er Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Geschichte, Literaturwissenschaft, Politologie, Soziologie, Volkswirtschaft, Jura und Kommunikationswissenschaft ans ZiF eingeladen. „Die Forschung zu Europa ist inzwischen stark spezialisiert. Dabei ist es wichtig, den disziplinären Tunnelblick zu erweitern und zu sehen, ob unsere Analysen und Vorschläge zusammenpassen und sich ergänzen. Nur so bekommen wir die nötige komplexe Sicht auf die aktuelle Krisenkonstellation“, so Lützeler. „Dabei geht es nicht um utopische Visionen, sondern um konkrete, kurierbare Fehlentwick-lungen, um Zukunftschancen.“

Europäische Grundwerte werden dabei ebenso Thema sein, wie der Umgang mit Migration und Flüchtlingen, die EU-Außenpolitik und ihr Verhältnis zu China ebenso wie die Verteidigungspolitik und die Zukunft des Euro.

Am Montag, 26. Oktober, findet im Kontext der Tagung um 20 Uhr eine öffentliche Lesung über Zoom statt: Friedrich Christian Delius liest aus seinem Buch: „Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich“. Der vielfach ausgezeichnete Autor nimmt in seinem Roman die aktuellen Ent-wicklungen in Europa aufs Korn. Die Teilnahme am digitalen Vortrag ist kostenlos.

Für Interessierte ist eine Online-Teilnahme an der Tagung möglich. Dazu wird um Anmeldung im ZiF-Tagungsbüro bei marina.hoffmann@uni-bielefeld.de gebeten. Journalist*innen sind herzlich eingeladen, über die Tagung zu berichten. Die Tagungssprache ist Deutsch.

Weitere Informationen:
• Website der Tagung
• Der öffentliche Vortrag mit Zugangslink zur Veranstaltung (über Zoom)

Hunger macht draufgängerisch

Neue Lebensräume in unbekanntem Gelände erkunden, auf die Suche nach neuen Nahrungsquellen gehen und dabei Gefahr zu laufen, von einem Fressfeind erwischt zu werden: Für Tiere in der freien Wildbahn steckt das Leben voller riskanter Situationen mit ungewissen Ausgang. Nicht selten hängt von einer Entscheidung sogar das eigene Überleben ab. Wie sich das Tier entscheidet, ob es ein Risiko eingeht oder der Gefahr eher ausweicht, ist individuell ganz unterschiedlich. Ein Forschungsteam der Universitäten Bielefeld und Jena zeigt in einer Meta-Studie, dass schwierige Lebensverhältnisse Tieren im späteren Leben eine höhere Risikobereitschaft verleihen.

Die Gefahr von einem Fressfeind erwischt zu werden, gehört zu den Risiken, die wildlebende Tiere bei der Nahrungssuche eingehen. Hier trifft ein Fischschwarm auf einen Schwarzspitzen-Riffhai. Foto: Universität Bielefeld/Oliver Krüger

„So wie es unter uns Menschen eher vorsichtige und eher draufgängerische Zeitgenossen gibt, so finden sich auch unter Tieren einer Art Individuen mit geringer oder höherer Risikobereitschaft“, sagt Professor Dr. Holger Schielzeth von der Universität Jena. Diese Unterschiede seien zu einem gewissen Grad angeboren, zu einem nicht unerheblichen Teil aber auch der individuellen Entwicklung geschuldet, so der Populationsökologe. Wie Schielzeth und sein Kollege Professor Dr. Klaus Reinhold von der Universität Bielefeld mit ihren Forschungsteams jetzt in einer umfangreichen Meta-Studie zeigen, wird die Risikobereitschaft eines Tieres in entscheidendem Maße von den Ernährungsbedingungen während des Aufwachsens geprägt. Das berichten die Forschenden in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Biological Reviews“.

Studienergebnisse von über 100 Tierarten verglichen

Für ihre Untersuchung haben die Forschenden um Erstautor Nicholas Moran über 120 experimentelle Studien mit mehr als 100 Tierarten ausgewertet und deren Ergebnisse analysiert, darunter beispielsweise Untersuchungen an Spinnen, Insekten, Krebsen, Fischen, Amphibien und Vögeln. Allen Einzelstudien gemein war, dass die Tiere Phasen guter oder schlechter Nahrungsversorgung durchlebt hatten und später im Leben ihre Risikobereitschaft gemessen wurde. Dazu gab es zwei gegensätzliche Hypothesen: „Zum einen konnte man annehmen, dass Tiere, denen es immer gut ging und die daher in besserem Zustand sind, mehr zu verlieren haben und sie deshalb weniger risikobereit sind“, sagt Klaus Reinhold. Zum anderen, so setzt der Bielefelder Evolutionsbiologe fort, könne aber umgekehrt ein besserer Ernährungsstatus dazu führen, dass sie einer riskanten Situation leichter entkommen und sie ein Risiko deswegen eher eingehen können.

Die Auswertung der Ergebnisse aller untersuchten Studien brachte nun Klarheit. Ein schlechter Versorgungszustand bringt die Tiere dazu, höhere Risiken einzugehen: Um durchschnittlich 26 Prozent steigt die Risikobereitschaft an, wenn die Tiere zu einem früheren Zeitpunkt hungern mussten. „Dieses Ergebnis hat uns in seiner Deutlichkeit überrascht“, sagt Holger Schielzeth. Der Zusammenhang gelte praktisch für alle untersuchten Verhaltenskontexte, wie Explorationsverhalten, Abwanderung, Nahrungssuche mit Risiko quer durch alle untersuchten Arten. Natürlich gäbe es auch Variation in der Stärke des Effektes. Dennoch vermutet Schielzeth, dass dieser Zusammenhang zumindest zu einem gewissen Teil auch beim Menschen bestehen könnte, immerhin sei er auch eine „Tierspezies“.

Die vorgelegte Meta-Analyse ist im Rahmen des Sonderforschungsbereichs Transregio 212 „Eine neue Synthese zur Individualisation für die Verhaltensforschung, Ökologie und Evolution: Nischenwahl, Nischenkonformität, Nischenkonstruktion (NC³)“ entstanden, der an den Universitäten Bielefeld und Münster angesiedelt und an dem die Universität Jena beteiligt ist. In dem Sonderforschungsbereich verknüpfen 40 Forschende der Universitäten Bielefeld, Münster und Jena
Verhaltensbiologie und Evolutionsforschung mit theoretischer Biologie und Philosophie. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert NC³ seit Januar 2018.

Universitätsklinikum OWL ist Teil des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu Covid-19

Das Universitätsklinikum OWL (UK OWL), d.h. das Evangelische Klinikum Bethel, das Klinikum Bielefeld und das Klinikum Lippe, ist dem Netzwerk Universitätsmedizin zu Covid-19 beigetreten. Priv.-Doz. Dr. med. Johannes-Josef Tebbe vom Klinikum Lippe übernimmt für das UK OWL die Projektleitung in diesem nationalen Netzwerk. Im Rahmen des Covid-19-Projektes hat sich eine Arbeitsgruppe aus Vertreter*innen des Universitätsklinikums OWL und der Medizinischen Fakultät OWL gebildet, welche die Forschungsaktivitäten bündelt und koordiniert. Damit nutzt das UK OWL die Chance, sich im Verbund mit den anderen Universitätskliniken auf das Pandemiemanagement strukturell vorzubereiten.

Um die Forschungsaktivitäten zu Covid-19 bundesweit zu bündeln und zu stärken, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Aufbau des von der Charité koordinierten Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) mit 150 Mio. EUR für ein Jahr (Laufzeit: 01.04.2020 bis 31.03.2021). Das NUM verfolgt das Ziel, die Corona-Pandemie durch eine optimale Zusammenarbeit schneller und effektiver bekämpfen zu können. Alle Aktivitäten sollen dazu beitragen, auf Pandemien besser eingestellt zu sein.

Durch den kontinuierlichen Austausch sowie das Lernen von- und miteinander möchten die Partner*innen gesicherte Erkenntnisse dazu liefern, wie die Bedingungen und Abläufe in den Krankenhäusern und die Versorgung in den Regionen verbessert werden können. Innerhalb kürzester Zeit haben sich sämtliche Universitätskliniken dem Netzwerk angeschlossen – das ist in der biomedizinischen Forschung in Deutschland in dieser übergreifenden Form bisher einmalig.

Professorin Dr. med. Claudia Hornberg, Gründungsdekanin der Medizinischen Fakultät OWL, sieht in dieser Kooperation eine große Chance: „Wir freuen uns, dass wir zu einem frühen Zeitpunkt während des Aufbaus des Universitätsklinikums OWL Mitglied des NUM geworden sind. Die Zusammenarbeit kann dazu beitragen, Erkenntnislücken in der Pandemieforschung zu schließen.“

Gemeinsames Ziel ist es, die Corona-Pandemie schneller und effektiver bekämpfen zu können. Priv.-Doz. Dr. med. Johannes-Josef Tebbe sagt: „Mit der Einbindung in das Netzwerk Universitätsmedizin bietet sich für das UK OWL die Gelegenheit, durch einen kontinuierlichen wissenschaftlichen Austausch gesicherte Erkenntnisse für die Versorgung der Bevölkerung umzusetzen. Darüber hinaus bewirkt die intensive Zusammenarbeit zwischen UK OWL und der Medizinischen Fakultät OWL einen deutlichen Schub zum weiteren Aufbau der Forschungsstrukturen, auch weit über das Thema COVID-19 hinaus.“

Das Netzwerk Universitätsmedizin möchte dazu beitragen, Wissen über ein effektives Pandemiemanagement für die Region OWL zu gewinnen. Im Mittelpunkt steht die Frage nach angepassten Versorgungsstrukturen, Prozessen sowie Organisationsformen, aber auch Formen und Verfahren der Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft sowie Merkmale einer zielführenden Krisenkommunikation.

Weitere Informationen:
Website des Netzwerks Universitätsmedizin

Die neuen Anfechtungen der Frauen- und Geschlechterrechte

Gleiche Rechte für alle Menschen aller Geschlechter: Das galt lange als ein zwar noch nicht erreichtes, aber unumstrittenes Ziel. Doch diese Einigkeit ist in letzter Zeit brüchig geworden – der Einsatz für Gleichheit wird als „Gender-Ideologie“ kritisiert. Warum und auf welche Weisen sind Frauen- und Geschlechterrechte in verschiedenen Ländern weltweit zu einem umstrittenen Feld geworden? Damit befasst sich ab Oktober die neue ZiF-Forschungsgruppe „Global Contestations of Women’s and Gender Rights“ (Weltweite Anfechtungen von Frauen*- und Geschlechterrechten) im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld. Die Forschungsgruppe startet ihre Arbeit mit einer vor Ort und online abgehaltenen internationalen Eröffnungstagung vom 7. bis zum 9. Oktober am ZiF.

Die Organsisatorinnen der ZiF-Forschungsgruppe
Sie organisieren die Auftaktkonferenz der neuen ZiF-Forschungsgruppe (v.li.): PD Dr. Alexandra Scheele, Prof’in Dr. Heidemarie Winkel, Prof’in Dr. Julia Roth und Anna Efremowa. Foto: Universität Bielefeld/M. Richter

„Menschen- und Gleichheitsrechte waren niemals wirklich universell und inklusiv“, sagt die Soziologin Privatdozentin Dr. Alexandra Scheele von der Universität Bielefeld. Sie leitet die Forschungsgruppe zusammen mit Professorin Dr. Julia Roth (Amerika-Studien und Gender-Forschung) und Professorin Dr. Heidemarie Winkel (Soziologie), ebenfalls beide von der Universität Bielefeld. „Ein neues Phänomen ist, dass die bisherige Einigkeit über die Wichtigkeit von Gleichheit seit einiger Zeit strittig ist“, berichtet Julia Roth. „Das beobachten wir zum Beispiel in Ungarn, Polen, Russland, Brasilien und den USA, aber auch in Deutschland.“

Häufig gehe die Infragestellung von Gleichheitsrechten mit einer Dämonisierung von Geschlechterpolitiken und -rechten als „Gender-Ideologie“ einher, sagt Heidemarie Winkel. Damit werde versucht, Stimmung gegen Gleichheitsstandards und Geschlechterrechte zu machen. Dies führe dazu, Grenzen zwischen Bevölkerungsgruppen zu ziehen und gefährde so den sozialen Zusammenhalt.

Um eine interdisziplinäre und internationale Perspektive auf diese Vorgänge zu gewinnen, haben die Bielefelder Forscherinnen 17 renommierte Wissenschaftler*innen eingeladen: unter anderem aus Kolumbien, Pakistan, Israel, Palästina, Nigeria, Ungarn, Großbritannien und den USA. Beginnend mit der Eröffnungskonferenz werden sie von Oktober 2020 bis Juli 2021 für zehn Monate gemeinsam am ZiF forschen.

„Wir möchten klären, was Gleichheit unter den aktuellen Bedingungen überhaupt bedeuten kann“, sagt Julia Roth. Dazu werden die Teilnehmer*innen nach den strukturellen, institutionellen und
sozio-kulturellen Ursachen der weltweit zunehmenden Anfechtungen von Gleichheitsprinzipien fragen. Außerdem untersuchen sie die Gemeinsamkeiten und wechselseitigen Abhängigkeiten dieser Prozesse. Dabei stehen vor allem drei Themen im Vordergrund: Staatsbürgerschaft und sexuelle Rechte, geschlechtliche Arbeitsteilung sowie die Instrumentalisierung von Religion.

Die Eröffnungstagung der ZiF-Forschungsgruppe trägt den Titel „Mapping Women’s and Gender Rights as a Globally Contested Arena“. An der Tagung werden die Fellows (Mitglieder) der Forschungsgruppe und darüber hinaus weitere international renommierte Forscher*innen teilnehmen. Zudem sind zum ersten Mal Stipendiatinnen des neuen Norbert-Elias-Förderprogramms für afrikanische Forscher*innen an der Forschungsgruppe beteiligt.

Das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld ist eine unabhängige, thematisch ungebundene Forschungseinrichtung und steht Wissenschaftler*innen aller Länder und aller Disziplinen offen. ZiF-Forschungsgruppen sind längerfristige, interdisziplinäre Projekte und stehen im Mittelpunkt der Arbeit des ZiF. Neben regelmäßigen Arbeitstreffen veranstalten die Forschungsgruppen Konferenzen, Workshops und Vorträge.

Für Interessierte ist eine Online-Teilnahme möglich. Dazu wird um Anmeldung im ZiF-Tagungsbüro bei Marina Hoffmann (marina.hoffmann@uni-bielefeld.de) gebeten. Journalist*innen sind herzlich eingeladen, über die Tagung zu berichten. Die Tagungssprache ist Englisch.

Weitere Informationen:
Website der Forschungsgruppe

Hilfe für Studierende in Not: Universitätsgesellschaft und Universitätsmitarbeitende spendeten

Im Juli initiierte der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Universität Bielefeld gemeinsam mit der Universitätsgesellschaft Bielefeld und dem Rektorat eine Spendenaktion für Studierende, die in Corona-Zeiten in Not geraten sind. Angeschrieben wurden alle Mitglieder der Universitätsgesellschaft sowie die Beschäftigten der Universität. Bisher sind auf dem Spendenkonto rund 36.000 Euro eingegangen. Ab dem 1. September können sich Studierende der Universität Bielefeld für eine einmalige Unterstützung in Höhe von 500 Euro bewerben. „Der Bedarf an unkomplizierter finanzieller Hilfe ist groß. Wir können daher noch weitere Spenden gebrauchen, damit möglichst viele Studierende ihr Studium weiterhin fortführen können“, betont Julius Troles, der AStA-Verantwortliche für die Aktion, „denn aktuell ist ein Ende der Krise nicht absehbar.“

Haben den Corona-Hilfsfonds der Universität Bielefeld ins Leben gerufen: (v.l.) Dr. Rainer Wend, Geschäftsführer der Universitätsgesellschaft Bielefeld, Julius Troles, AStA Uni Bielefeld und Prof. Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, Rektor der Uni Bielefeld. Foto: Universität Bielefeld/Sarah Jonek

Die Corona-Krise hat auch die Universität Bielefeld vor große Herausforderungen gestellt. Für einen Teil der Studierenden kommen neben der Umstellung des Lern- und Studienalltags große finanzielle Sorgen und Nöte hinzu. Sie können ihre Nebenjobs nicht mehr ausüben und damit ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren. Hinzu kommt, da unter anderem die Mensen nur teilweise geöffnet sind, dass die Versorgung ohne Studierendenwerk teurer wird und die Unterstützung durch die Eltern durch die veränderte wirtschaftliche Lage teilweise wegfällt. Studierende mit Kindern und internationale Studierende sind besonders stark betroffen.

Mit der Initiierung des Notfallfonds setzen sich AStA, Universitätsgesellschaft und Rektorat der Universität Bielefeld dafür ein, dass niemand aufgrund der Corona-Krise das Studium aufgeben muss. „Es gibt zwar staatliche Hilfe, doch reicht diese nicht immer aus – teilweise wollen oder können Studierende diese auch nicht beantragen“, so Professor Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, Rektor der Universität Bielefeld. Insbesondere sollen daher jene Studierende unterstützt werden, für die das Bundeshil-feprogramm nicht greift. Diese können sich über den AStA für den Notfallfond bewerben, der anhand eines den Studierenden zugewandten Kriterienkatalogs die Auswahl für die Förderung übernimmt.

Das Spendenkonto ist weiterhin offen. „Wir möchten auch Firmen und Privatpersonen außerhalb der Universitätsgesellschaft gewinnen, zu unterstützen“, erklärt Dr. Rainer Wend, Geschäftsführer der Universitätsgesellschaft Bielefeld. Spenden werden entgegen genommen unter Angabe des Verwendungszweckes „Corona-Hilfsfonds 2020“ auf folgendes Konto:

Empfänger: Universitätsgesellschaft Bielefeld
IBAN: DE90 4805 0161 0000 0522 09
BIC: SPBIDE3BXXX
Sparkasse Bielefeld

Weitere Informationen:

  • für Spender*innen  
  • für Studierende zur Antragsstellung
  • weitere Statements des AStA zur Situation der Studierenden in Corona-Zeiten

Universität Bielefeld: Tag für Absolvent*innen 2020 online

Der Tag für Absolvent*innen der Universität Bielefeld, eines der größten Events des Studienjahres, findet auch 2020 statt. „Zwar können wir in diesem Jahr nicht wie gewohnt im großen Rahmen auf dem Campus feiern“, erklärt Rektor Professor Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, „aber wir wollen dieses bedeutende Ereignis im Leben der Studierenden nicht verstreichen lassen. Wir bringen den Tag zu den Absolvent*innen nach Hause.“ Am 4. Dezember, erwartet die Absolvent*innen des Jahres 2020 ein Online-Event mit einigen Überraschungen.

Der Tag für Absolvent*innen findet in diesem Jahr als Online-Event statt. Foto: Universität Bielefeld

Wie genau das aussehen wird, wird nach und nach in den nächsten Wochen auf der Website veröffentlicht. Ab sofort können sich Absolvent*innen dort anmelden und ein Überraschungspaket vorbestellen. Dieses Paket wird kurz vor dem 4. Dezember zu ihnen nach Hause geschickt, so dass es ihnen dann zur Verfügung steht, wenn sie zu Hause mit ihren engsten Freunden oder der Familie das Online-Event verfolgen. Auch die Fakultäten sind in den Vorbereitungen für den diesjährigen Tag für Absolvent*innen beteiligt und werden über die Website ihre Informationen bekanntgeben.

Traditionell am ersten Freitag im Dezember feiert die Universität Bielefeld in einem großen Event die Studienabschlüsse des Jahres. Seit 2012 empfängt sie jährlich rund 5.000 Gäste – Absolvent*innen mit ihren Familien und Freunden. Rund 3.000 Menschen schließen jährlich ein Studium an der Universität Bielefeld ab.

Stromnetz der Zukunft soll sich selbst steuern

Für die Energiewende ist es zentral, dass die erneuerbaren Energien in die elektrischen Netze integriert werden. Dafür müssen Stromerzeugung und -verbrauch optimal aufeinander abgestimmt werden. In dem Verbundprojekt KI-Grid arbeiten Forscher*innen mit künstlicher Intelligenz an einer Lösung. Dafür kooperieren die Universität Bielefeld, die Fachhochschule Bielefeld und die Westaflex GmbH in Gütersloh sowie als assoziierter Partner die Stadtwerke Bielefeld.

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Universität und Fachhochschule organisieren 14. Open-Access-Tage

Die Open-Access-Tage werden in diesem Jahr erstmals von Bielefeld aus organisiert. Auf der deutschsprachigen Konferenz diskutieren Bibliothekar*innen, Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der Wissenschaftsadministration über den freien Zugang (Open Access) zu wissenschaftlichen Ergebnissen und über Technologien und Strategien dafür. Die Tagung vom 15. bis 17. September wird erstmals von der Universität Bielefeld und der Fachhochschule Bielefeld veranstaltet, in Kooperation mit der Informationsplattform open-access.net. In den Vorjahren war die Konferenz zum Beispiel zu Gast an der Leibniz Universität Hannover, der österreichischen Universität Graz, der Technischen Universität Dresden und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die inzwischen 14. Auflage der Open-Access-Tage findet coronabedingt online statt. Sie stehen unter dem Motto „Open Access 2020 – Wege, Akteurinnen, Effekte“.

Sie haben die Open-Access-Tage 2020 zusammen mit ihren Teams nach Bielefeld geholt: Barbara Knorn (li.) von der Bibliothek der Universität Bielefeld und Dr. Karin Ilg von der Bibliothek der Fachhochschule Bielefeld. Foto links: Universität Bielefeld, Foto rechts: fm-fotomanufaktur

„Wir freuen uns, dass wir die bedeutendste deutschsprachige Konferenz zu Open Access bei uns zu Gast haben“, sagt Barbara Knorn, Leiterin der Universitätsbibliothek Bielefeld. Die Universität Bielefeld beschloss 2005 als erste deutsche Hochschule, Open Access zu unterstützen, also den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und Forschungsdaten. „Heute sind die Universität Bielefeld und die Fachhochschule Bielefeld in ihren Sparten führend bei den Angeboten zu Open Access“, sagt Barbara Knorn. Sie ist gemeinsam mit Dr. Karin Ilg, Leiterin der Bibliothek der Fachhochschule Bielefeld, verantwortlich für die lokale Organisation der Open-Access-Tage. Bei der Programmgestaltung kooperierten beide Bibliotheken mit weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

„Die freie Veröffentlichung von wissenschaftlicher Information ist eine wichtige Grundlage, um Forschung transparent zu machen und dafür zu sorgen, dass Ergebnisse für Wissenschaftler*innen weltweit problemlos verfügbar sind“, erklärt Karin Ilg. „Aktuell in der Pandemie zeigt sich deutlich, wie entscheidend es sein kann, Forschungserkenntnisse leicht zugänglich und frühzeitig zu kommunizieren.“ Grundsätzlich ist es für Wissenschaftlerinnen zunehmend üblich geworden, ihre
Forschungsergebnisse frei verfügbar zu machen. So müssen künftig alle Ergebnisse von EU-Projekten im Open Access veröffentlicht werden.

Die Konferenz beschäftigt sich zusätzlich zu Open Access auch mit Open Science (offene Wissenschaft). Dem Open-Science-Konzept zufolge sollen nicht nur Forschungspublikationen und -daten, sondern alle Teile des Forschungsprozesses offen zugänglich, nachvollziehbar und nachnutzbar sein.

Das Organisationsteam der Open-Access-Tage erwartet mehrere hundert Teilnehmende zu der Konferenz. „Das Netzwerk von Akteur*innen rund um Open Access und Open Science ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. So kamen 2019 mehr als 400 Teilnehmende zu den
Open-Access-Tagen“, berichtet Barbara Knorn. Die Teilnehmenden kommen überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum. Auf dem Programm stehen rund 60 Vorträge und Workshops. Im Eröffnungsvortrag am Dienstag, 15. September, spricht Pierre Mounier über die Vielfalt der Publikationskulturen (Bibliodiversität) innerhalb von Open Science. Pierre Mounier ist Koordinator von OPERAS, der europäischen Infrastruktur für offene Wissenschaftskommunikation in den Geistes- und Spezialwissenschaften, sowie stellve-tretender Direktor der elektronischen Publikationsplattform OpenEdition. Er ist am EHESS, der französischen Elite-Hochschule für Sozialwissenschaften in Paris tätig.

Die Keynote am Mittwoch hält Professorin Arianna Becerril García PhD von der Autonomous University of the State of Mexico. Die Sozialwissenschaftlerin thematisiert Open Access als Ansatz für nachhaltige und beteiligungsorientierte Wissenschaftskommunikation.

In der Keynote am Donnerstag befasst sich Professorin Sabina Leonelli PhD von der University of Exeter in Großbritannien mit der Frage, wie sich die Öffnung der Wissenschaft auf Forschungsprozesse auswirkt und welche Herausforderungen sich dabei in unterschiedlichen
Wissenschaftsbereichen stellen.

Die Teilnahme an dieser Online-Konferenz ist kostenlos und läuft über die Videokonferenz-Software Zoom. Grundsätzlich ist für die Tagung keine Registrierung notwendig. Für die Teilnahme an Workshops wird jedoch um Anmeldung gebeten. Die Zugänge für die Online-Konferenz werden im
Tagungsprogramm veröffentlicht. Die Open-Access-Tage werden seit 2007 von der Informationsplattform open-access.net in Kooperation mit lokalen Partnern jährlich an wechselnden Orten ausgerichtet. Die Konferenz richtet sich an alle, die sich intensiv mit den Möglichkeiten, Bedingungen und Perspektiven des wissenschaftlichen Publizierens befassen. Dazu gehören Mitarbeiter*innen von Bibliotheken und anderen Einrichtungen der Wissenschaftsinfrastruktur und von Verlagen ebenso wie Wissenschaftler*innen und Mitglieder der Wissenschaftsadministration. Die Plattform open-access.net wurde als Teil eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kooperativ von der Freien Universität Berlin und den Universitäten Göttingen, Konstanz und Bielefeld aufgebaut.

Weitere Informationen:
• Website der Open-Access-Tage 2020 inklusive Tagungsprogramm
• Anmeldung für die Workshops der Konferenz

Zwei europäische Spitzenförderungen für junge Forschende der Universität Bielefeld

Der Europäische Forschungsrat (ERC) zeichnet eine Wissenschaftlerin und einen Wissenschaftler der Universität Bielefeld mit dem ERC Starting Grant aus. Sie erhalten jeweils 1,5 Millionen Euro für Spitzenforschung in ihren Disziplinen. Professorin Dr. Martina Hofmanová von der Fakultät für Mathematik beschäftigt sich in ihrem Projekt mit den Strömungen von Flüssigkeiten und berechnet, wie diese vom Zufall beeinflusst werden. Dr. Toni Goßmann von der Fakultät für Biologie befasst sich in seinem Projekt mit der epigenetischen Programmierung, untersucht also flexible Erbgutveränderungen, die zum Beispiel steuern, welche Gene in Körperzellen aktiviert werden. Als Empfänger*innen dieser Forschungsförderung zählen Hofmanová und Goßmann jetzt zu Europas besten Nachwuchswissenschaftler*innen.

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Universität trauert um Professor Bernd Fischer

Die Universität Bielefeld trauert um den emeritierten Mathematik-Professor Dr. Dr. h.c. Bernd Fischer, der am 13. August 2020 im Alter von 84 Jahren verstorben ist. Fischer galt als herausragender Vertreter der Algebra des 20. Jahrhunderts.

Internationale Aufmerksamkeit erlangte der Forscher auf dem Gebiet der Gruppentheorie durch die Entdeckung von drei sogenannten sporadischen Gruppen, die – nach ihrem Entdecker – als „Fischergruppen F22, F23 und F24“ bezeichnet werden. Unter dem mathematischen Begriff der Gruppe wird das Zusammenspiel von Symmetrien, wie etwa Spiegelungen und Drehungen, beschrieben. Die Suche nach den – wie man heute weiß – insgesamt 26 sporadischen Gruppen zählte zu den größten mathematischen Forschungsprojekten im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Weltweit waren über 100 Mathematiker*innen daran beteiligt.

Fischer war seit 1970 Professor an der Fakultät für Mathematik und leitete dort von 1991 bis 1993 den Sonderforschungsbereich „Diskrete Strukturen in der Mathematik“. Er war einer der Gründungsprofessoren und mehrfacher Dekan der Mathematischen Fakultät der Universität Bielefeld.

Professor Dr. Dr. h.c. Bernd Fischer. Foto: Universität Bielefeld

Nachruf auf der Seite der Fakultät für Mathemathik

Studienorientierung in OWL auf einen Blick

Ein wesentlicher Faktor für den erfolgreichen Übergang von der Schule zur Hochschule ist die frühzeitige Orientierung sowie das Kennenlernen und Erkunden der vielfältigen Studienmöglichkeiten. Hochschulen bieten Schülerinnen und Schülern zahlreiche Angebote zum Orientieren, Informieren und Ausprobieren an. Auch die ostwestfälischen Hochschulen unterstützen den Entscheidungsprozess durch ein breites Angebot an Beratungs-, Informations- und Orientierungsmöglichkeiten. Im Handbuch zur Studienorientierung OWL haben die Zentralen Studienberatungen der Universitäten Bielefeld und Paderborn sowie der Fachhochschule Bielefeld und der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe die vielen Angebote zur Studienorientierung in OWL übersichtlich zusammengefasst und Grundbegriffe aus der Welt der Hochschulen erklärt.

Das Handbuch richtet sich an Lehrerinnen und Lehrer, die sich damit einen Überblick über das große Angebot verschaffen und die schulischen Aktivitäten zur Studienorientierung gezielter planen können. Aber auch Schülerinnen und Schüler profitieren von der gemeinsamen Übersicht. Denn das Handbuch umfasst neben den Angeboten für Schulen auch die Formate, die Studieninteressierte außerhalb der Schule zum Kennenlernen von Hochschulen und Studiengängen nutzen können.

Das Handbuch ist auf den Seiten der Hochschulen abrufbar:
– Universität Bielefeld
– Fachhochschule Bielefeld
– Universität Paderborn
– Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe

Digitale Thementage: Unterstützung bei Zweifeln im Studium

Wer im Studium die Orientierung verloren hat und sich die Frage stellt, wie oder ob es weiter gehen kann, erhält von der Universität Bielefeld und der Fachhochschule Bielefeld ein umfangreiches Unterstützungsangebot: Die digitalen Thementage „Auf der Suche nach Plan B?“ richten sich an alle Studierenden, die aktuell Zweifel im Studium erleben. Vom 31. August bis zum 2. September erwartet die Teilnehmenden ein breites Online-Programm aus Informationsveranstaltungen, Beratungsangeboten und Workshops rund um das Thema Studienzweifel.

Die Studienberatungen und Career Services der Universität und der Fachhochschule Bielefeld haben dabei auch Informations- und Beratungsangebote der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld, der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld und der Agenturen für Arbeit Bielefeld und Minden in das Programm mit aufgenommen. Angesprochen sind Studierende, die an ihrem Studium oder Studiengang zweifeln, über einen Hochschulwechsel nachdenken, oder sich nach einem Studienabbruch neu orientieren möchten.

Da die Gründe für Studienzweifel und Ausstiegsgedanken vielfältig sein können, kommen die Angebote aus verschiedenen Bereichen: So bieten die unterschiedlichen Formate zum einen Entscheidungs- und Orientierungshilfen bei Studienzweifeln an. Sie geben Tipps und Tools für einen erfolgreichen und motivierten Verbleib im Studium oder für einen Fach- oder Hochschulwechsel. Zum anderen werden auch Möglichkeiten eines Ausstiegs oder Umstiegs in die Berufsausbildung thematisiert. Dabei berichten Studienaussteiger*innen von ihren eigenen Erfahrungen. In individuellen Gesprächen können die Teilnehmenden den Berater*innen außerdem während und nach den Thementagen Fragen stellen und sich austauschen. Ziel ist es, den Studierenden zu zeigen, dass es auch in scheinbar festgefahrenen Situationen verschiedene Lösungswege zu entdecken gibt.

Die Thementage finden online statt. Interessierte melden sich vorab per Mail an neustart@fh-bielefeld.de für eine Veranstaltung an und bekommen die Zugangsdaten zugeschickt.

Weitere Informationen:
Zu Programm und Anmeldung informieren die Einrichtungen auch auf ihren Seiten:
• Universität Bielefeld
• Fachhochschule Bielefeld

Studierende erleben Probleme mit Gesundheitshinweisen zu Corona

Fast 15.000 Studierende haben sich deutschlandweit an einer Onlinebefragung zur digitalen Gesundheitskompetenz in Zeiten von Corona beteiligt. Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld und der Hochschule Fulda fragten nach Informationssuche und -zufriedenheit, dem Umgang mit den digitalen Informationen sowie der psychischen Gesundheit während der Pandemie. Der Großteil der Studierenden verfügt der Studie zufolge über ausreichend digitale Gesundheitskompetenz. Doch mehr als 42 Prozent der Befragten berichten von Schwierigkeiten, die Qualität der Gesundheitsinformationen zum Coronavirus zu bewerten.

Wie suchen und finden Studierende digitale Gesundheitsinformationen im Kontext der Corona-Pandemie? Wie gehen sie mit der Masse an Gesundheitsinformationen um, auch mit dem Nebeneinander von vertrauenswürdigen Informationen und Desinformation im Internet? Und welche Belastungen resultieren für sie aus dem Informationsangebot? Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler*innen des Interdisziplinären Zentrums für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK) der Universität Bielefeld und des Public Health Zentrums (PHZF) der Hochschule Fulda von Ende März bis Mitte April Studierende in ganz Deutschland online befragt. Nun liegen erste ausgewählte Ergebnisse von 14.895 Studierenden aus 130 Hochschulen vor.

„Studierende mit einer hohen digitalen Gesundheitskompetenz fühlen sich psychisch wohler als solcher mit geringerer Kompetenz“, sagt Dr. Orkan Okan von der Universität Bielefeld. Foto: privat

Wie zu erwarten war, informieren sich die Studierenden zur Corona-Pandemie vor allem im Internet. Etwa 95 Prozent geben an, in den vier Wochen vor der Befragung Informationen zum Coronavirus im Netz gesucht zu haben. Jeweils über 80 Prozent der Befragten recherchieren über Suchmaschinen, Nachrichtenportale und Webseiten von Behörden wie zum Beispiel das Robert Koch-Institut. Fast 40 Prozent suchen in sozialen Medien. Die häufigsten Suchanfragen betreffen die Ausbreitung des Virus, die Einschränkungen des Lebensalltags, aktuelle Situationseinschätzungen sowie Verhaltensempfehlungen zum Schutz vor dem Virus. Mehr als die Hälfte der Studierenden zeigt sich mit der Informationslage sehr zufrieden oder zufrieden. Dabei weisen Frauen eine geringere Zufriedenheit auf als Männer.

Insgesamt hohes Maß an Gesundheitskompetenz

Den meisten Studierenden fällt der Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen zum Thema Coronavirus leicht. Sie finden die gesuchten Informationen, verstehen sie, können sie bewerten und anwenden, also auf dieser Basis Entscheidungen für die Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung im Lebensalltag treffen. „In der aktuellen Pandemie ist eine ausreichende Gesundheitskompetenz entscheidend“, betont Professor Dr. Kevin Dadaczynski von der Hochschule Fulda. „In den sozialen Medien – und nicht nur dort – gibt es eine Fülle von qualitativ unterschiedlichen Informationen zum Virus. Für Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz kann diese Menge an oft widersprüchlichen Informationen psychosozial belastend und damit riskant für die Gesundheit sein“, sagt Dadaczynski.

Hinweise auf Unterstützungsbedarf

Am häufigsten berichten Studierende über Schwierigkeiten, die Zuverlässigkeit digitaler Gesundheitsinformationen zu beurteilen (42,3 Prozent) oder zu bewerten, ob mögliche kommerzielle Interessen hinter den recherchierten Informationen stehen. Neben Schwierigkeiten, die gesuchte Infor-mation im Internet ausfindig zu machen, hat ein Teil der Studierenden Probleme, das eigene Anliegen passgenau und verständlich zu formulieren, wenn sie selbst Nachrichten zum Coronavirus verfassen, und zu beurteilen, welche Personen die in sozialen Netzwerken oder Foren geposteten Nachrichten mitlesen können. Im Internet gefundene Informationen im Lebensalltag anzuwenden, bewerten 80 Prozent der Studierenden als (sehr) einfach, während 20 Prozent angeben, dass ihnen dies schwer oder sehr schwer fällt.

Geringere digitale Gesundheitskompetenz bei Frauen

Bedeutsam erscheinen den Wissenschaftler*innen die festgestellten Geschlechterunterschiede. Insgesamt weisen Frauen gegenüber Männern eine geringere digitale Gesundheitskompetenz auf, die sich insbesondere in den Handlungsbereichen Suchen und Finden sowie Beurteilung der Qualität von digitalen Gesundheitsinformationen zeigt. Diese könnte laut den Forschenden damit zusammenhängen, dass weibliche Studierende sich durch Informationen zum Thema Coronavirus möglicherweise stärker verunsichern lassen, dass sie ein höheres Gesundheitsbewusstsein aufweisen, aber vielleicht auch kritischer gegenüber den verfügbaren Informationen sind.

„Viele Studierende mit geringer Gesundheitskompetenz erleben die oft widersprüchlichen Informationen zu Corona als psychische Belastung“, sagt Professor Dr. Kevin Dadaczynski von der Hochschule Fulda. Foto: HPS Conference

Gesundheitskompetenz beeinflusst psychisches Wohlbefinden

Die Studie liefert zudem Hinweise für den Zusammenhang von Gesundheitskompetenz und psychischem Wohlbefinden: Studierende mit einer hohen digitalen Gesundheitskompetenz weisen auch ein höheres psychisches Wohlbefinden auf. Rund 20 Prozent der Studierenden geben an, schon einmal nach Informationen zum Umgang mit psychischen Belastungen gesucht zu haben. „Dies steht im Einklang mit internationalen Studien bei Studierenden und der Allgemeinbevölkerung in der Coronakrise, die bereits die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit aufzeigen konnten“, sagt Dr. Orkan Okan von der Universität Bielefeld.

Die Onlinebefragung zeigt die Selbsteinschätzung der Studierenden und deutet auf ihre selbst wahrgenommenen Herausforderungen und Belastungen hin. Rückschlüsse auf ihr tatsächliches Verhalten können daraus nicht gezogen werden. Doch eine hohe digitale Gesundheitskompetenz hilft nach Ansicht der Wissenschaftler*innen dabei, proaktiv mit gesundheitsrelevanten Informationen umzugehen und informierte Entscheidungen zu treffen. Die Wissenschaftler*innen raten dazu, bestehende hochschulische Beratungs- und Unterstützungsstrukturen zu stärken, um Studierende, deren Gesundheit belastet ist, im Umgang mit Gesundheitsinformationen und weiteren Belastungen aufzufangen. Sie sehen auch die Informationsanbieter*innen und Betreiber*innen von sozialen Medien in der Pflicht. Diese müssten aufgefordert werden, vertrauenswürdige Informationen bereitzustellen und Maßnahmen gegen die Verbreitung von Des- und Fehlinformationen über ihre Webseiten und Portale zu unternehmen. Denkbar und im Einklang mit bestehenden Empfehlungen sei eine Art „Digital Detox“ – also ein zurückhaltender Gebrauch digitaler Medien, um so auch die Konfrontation mit widersprüchlichen Inhalten zu begrenzen.

Zu dem Studienteam gehören Professor Dr. Kevin Dadaczynski und Professorin Dr. Katharina Rathmann (Hochschule Fulda, Public Health Zentrum Fulda), Dr. Melanie Messer (externe Lehrende an der APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft, Bremen) und Dr. Orkan Okan (Universität Bielefeld, Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung).

Jessica Koch erhält den Karl Peter Grotemeyer-Preis für hervorragende Lehre

Mit gleich fünf Einreichungen haben Studierende die Anglistin Jessica Koch für den Karl Peter Grotemeyer-Preis 2020 für hervorragende Leistungen und persönliches Engagement in der Lehre nominiert. Sie waren sich einig: Die 32-jährige Dozentin aus der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft erklärt auch schwierige Themen verständlich und begeistert Studierende mit einer Mischung aus fachlicher Kompetenz, Humor und Einfühlungsvermögen. Das überzeugte auch die Jury. Der Preis wird von der Universitätsgesellschaft Bielefeld gestiftet und ist mit 3.000 Euro dotiert.

Jessica Koch erhält den Karl Peter Grotemeyer-Preis für hervorragende Lehre. Foto: Universität Bielefeld

Die Studierenden beschreiben Jessica Koch als didaktisch und fachlich kompetente Dozentin, die es schafft, auch vermeintlich „trockene“ oder komplexe Sachverhalte mit alltagsnahen Beispielen und kreativen Lehrmethoden anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln. Mit abwechslungsreichen Aufgaben und Spontaneität regt sie zum Mitmachen an und unterstützt die Studierenden in ihrem Selbstverständnis als Wissenschaftler*innen. Zugleich schafft sie eine angenehme und offene
Atmosphäre für Gespräche und kritische Diskussionen. „Wenn ich den Enthusiasmus für meine Forschungsthemen vermitteln kann, dann haben auch die Studierenden Spaß daran und wir können uns auch mit schwierigen Inhalten gemeinsam auseinandersetzen“, erklärt Jessica Koch. Studierende erleben und loben diese authentische Begeisterung ihrer Dozentin als überaus motivierend.

Neben ihrer kreativen Lehre schätzen die Studierenden Jessica Kochs engagierten Einsatz. Für Probleme und Sorgen der Studierenden nimmt sie sich viel Zeit – ihre stets offene Bürotür versteht sie nicht nur symbolisch. „Viele Studierende kämpfen während des Studiums mit dem Thema Mentale Gesundheit – nicht nur in Zeiten von Corona“, sagt Jessica Koch. „Mir ist es wichtig, zuzuhören und die Studierenden wenn nötig an Hilfsangebote weiterzuleiten.“ Viel Wert legt sie deshalb auch auf regelmäßiges studentisches Feedback: „Was braucht Ihr gerade? Was soll ich anders machen? Was interessiert Euch? Das frage ich meine Studierenden immer wieder“, sagt Koch. „Aus den Rückmeldungen lerne ich selbst natürlich auch und kann mich und meinen Unterricht so gemeinsam mit den Studierenden weiterentwickeln.“

Jessica Koch ist seit 2016 Lehrbeauftragte im Fachbereich British Studies. Sie studierte selbst an der Universität Bielefeld und schloss das Studium der British and American Studies 2014 mit dem Master of Arts ab. Während ihres Studiums war sie sowohl als studentische und wissenschaftliche Hilfskraft sowie als Tutorin in der Abteilung für Anglistik tätig. Danach war sie drei Jahre lang wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt Narrating Migration unter der Leitung von Professor Dr. Ralf Schneider. Sie promoviert im Fachbereich British and American Studies bei Professor Dr. Ralf Schneider und Professor Dr. Wilfried Raussert. Ihre Dissertation hat sie bereits eingereicht.

Der Karl Peter Grotemeyer-Preis für hervorragende Leistungen und persönliches Engagement in der Lehre wird seit 1997 jährlich von der Universitätsgesellschaft Bielefeld an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (nicht älter als 45 Jahre) verliehen. Über die Vergabe des Preises entscheidet eine Jury. Zu ihr gehören fünf Studierende, drei Lehrende, eine Vertreterin oder ein Vertreter der Universitätsgesellschaft sowie die Prorektorin für Studium und Lehre. Der Namensgeber, Professor Dr. Karl Peter Grotemeyer, war mehr als 20 Jahre lang Rektor der Universität Bielefeld und ein begeisterter und begeisternder Hochschullehrer.

Den Mittelweg zwischen Infektionsrisiko und Rezession berechnen

Wie wirken sich die Einschränkungen durch die Coronakrise auf die Wirtschaft aus? Welche Maßnahmen sind geeignet, um die Zahl der Infizierten und Toten durch Sars-CoV-2 möglichst niedrig zu halten? Und wie hängen beide Dynamiken miteinander zusammen? Das haben Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld erforscht und nun in einer Studie veröffentlicht. Dazu haben sie in einem Computermodell mit hoher Voraussagekraft simuliert, wie sich das Virus verbreitet und wie sich zugleich unterschiedliche Eindämmungsmaßnahmen auswirken – und zwar sowohl auf das Bruttoinlandsprodukt und die Arbeitslosenzahlen als auch auf die Zahl der Infizierten und der an Covid-19 Verstorbenen.

Der Ökonom Prof. Dr. Herbert Dawid hat mit seiner Arbeitsgruppe ein Modell entwickelt, dass die Folgen unterschiedlicher Eindämmungsmaßnahmen in der Coronakrise auf die Wirtschaft und auf die Fallzahlen untersucht. Foto: Universität Bielefeld/Philipp Ottendörfer

Professor Dr. Herbert Dawid von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften forscht seit Jahrzehnten an Computer-gestützten Modellen, mit denen er die dynamischen Auswirkungen untersucht, die ganz unterschiedliche Veränderungen und politische Maßnahmen auf die Wirtschaft haben – da war es für ihn nur logisch, auch ein Modell für die Corona-Krise auszuarbeiten. Damit füllt er zugleich eine Leerstelle: Es gibt viele Modelle, mit denen man die Auswirkungen unterschiedlicher Eindämmungsmaßnahmen auf die Wirtschaft simulieren kann – und Untersuchungen, die sich mit der Ausbreitung von Sars-CoV-2 befassen. „Es gibt aber kaum Studien, die beide Aspekte miteinander verbinden“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Dabei ist es wichtig, dies kombiniert zu betrachten: „Es ist nicht nur so, dass viele Eindämmungsmaßnahmen wirtschaftliche Folgen haben“, sagt Dawid. „Umgekehrt können auch wirtschaftliche Aktivitäten dazu beitragen, dass sich das Virus weiterverbreitet.“

Für die Modellierung der Ausbreitung des Virus stützten sich die Forscher*innen auf etablierte epidemiologische Modelle. Auf Seiten der Wirtschaft sind im Modell ein öffentlicher und drei private Sektoren sowie Haushalte mit einer unterschiedlichen Altersstruktur angelegt. Berücksichtigt wird zudem individuelles Verhalten. Als Verbreitungskanäle des Virus sind Arbeit, Einkaufen und private Treffen vorgesehen.

In ihrem Modell haben die Wissenschaftler*innen zunächst Maßnahmen simuliert, um die Verbreitung des Virus unter Kontrolle zu bekommen. Dabei stehen unterschiedliche Stellschrauben zur Verfügung, darunter auch solche, die zumindest im Modell keine Auswirkungen auf die Wirtschaftsaktivität haben. Dazu zählt zum Beispiel, dass mehr Menschen im Homeoffice arbeiten. Ziel der Simulation ist dabei immer, dass die Zahl der Infizierten nicht über einen Schwellwert steigt, bei dem die vorhandene Zahl an Intensivbetten nicht mehr ausreicht.

Das ließ sich in der Studie alleine mit solchen „weichen“ Maßnahmen allerdings kaum erreichen. Als notwendig zeigte sich hingegen ein recht harter Lockdown, der – ähnlich wie es in Deutschland geschehen ist – zum Beispiel mit der Schließung von Geschäften einhergeht. Dies hat natürlich entsprechende Auswirkungen auf die Wirtschaft. „Bezüglich der Intensität des Lockdowns ist es so, dass die Politik einen Kompromiss eingehen muss zwischen einem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität und der Sterblichkeit infolge des Virus“, sagt Dawid. Als günstig unter diesen Bedingungen hat sich im Modell jedenfalls ein frühzeitiger Lockdown über mehrere Wochen erwiesen, durch den die Infektionszahlen stark sinken. „Werden die Maßnahmen hingegen nur kurz durchgeführt, besteht immer die Gefahr, dass es zu einer zweiten Infektionswelle kommt und erneut alles geschlossen wird“, sagt Dawid. Das würde nicht nur die Anzahl der Menschen erhöhen, die durch das Virus sterben, sondern auch die wirtschaftlichen Verluste, die insgesamt entstehen.

Das Modell simuliert außerdem die Öffnungsphase nach einem Lockdown. Dabei stellen sich der Politik Fragen: Wann soll sie einen Lockdown beenden? Welche Beschränkungen sollten sofort aufgehoben werden, welche Verbote zunächst weiter gelten? Welche individuellen Maßnahmen sind zudem sinnvoll, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen? Die Autor*innen der Studie empfehlen, nach einem langen Lockdown wie in Deutschland schnell umfassende Lockerungen zuzulassen – sofern die Zahl der Infizierten pro Woche nicht über 5 pro 100.000 steigt. „Dies gilt aber nur, wenn individuelle Maßnahmen die Lockerungen flankieren“, sagt Dawid. Falls es nicht möglich ist, Maßnahmen wie zum Beispiel Abstand halten oder das Tragen von Masken weiterhin im gleichen Ausmaß wie während des Lockdowns aufrecht zu erhalten, rät Dawid eher zu vorsichtigen Lockerungen. „Wir gehen davon aus, dass alles – von Geschäften bis zu Sportvereinen – schnell wieder öffnen sollte, wenn die ergänzenden Maßnahmen die Ansteckungsgefahr bei einem Treffen mit Infizierten im Schnitt um rund 60 Prozent reduzieren“, sagt Dawid. „Andernfalls ist eine langsame Öffnung günstiger.“ Denn sonst besteht auch hier die Gefahr, dass das Virus wiederkehrt und ein zweiter Lockdown notwendig wird – nicht nur mit mehr Todesfällen, sondern auch mit entsprechenden wirtschaftlichen Folgen.

Als wichtig haben sich zudem wirtschaftliche Hilfen erwiesen. „Unabhängig von der Gestaltung der Einschränkungen haben unsere Simulationen gezeigt, dass ergänzende wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen sinnvoll sind“, sagt Dawid. „Sie verringern den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts erheblich, erhöhen aber auf lange Sicht nicht die Staatsverschuldung.“ Zu den möglichen Maßnahmen gehört es zum Beispiel, Kurzarbeit zu ermöglichen, Arbeitslosengeld zu zahlen und Unternehmen zu unterstützen, die durch die Eindämmungsmaßnahmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.

Die Wissenschaftler*innen haben das Modell mit den Daten zur bisherigen Entwicklung in Deutschland abgeglichen. Das Modell war in der Lage, die deutschen Zahlen für die 63 Tage zwischen dem 9. März und dem 10. Mai 2020 in Bezug auf die wirtschaftlichen und virologischen Daten zu reproduzieren. Dieser Vergleich mit den deutschen Zahlen zeigt, dass das Modell valide ist. „Das Modell erscheint uns sehr geeignet, um die Ausbreitung eines infektiösen und potenziell tödlichen Virus mit seinen Folgen auf die Wirtschaft nachzuvollziehen und vorauszusagen“, sagt Dawid.

Das Modell ist darüber hinaus grundsätzlich übertragbar auf andere Länder. „Man muss dann natürlich einige Parameter ändern, die man schnell einarbeiten könnte“, sagt Dawid. Dazu zählt zum Beispiel die Altersstruktur der Bevölkerung, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und insbesondere auch die Zahl der Intensivbetten. Sollte es einmal eine Pandemie mit einem anderen Virus geben, könnte das Modell ebenfalls hilfreich sein, um die Folgen politischer Maßnahmen vorauszuberechnen. „In dem Fall müssten wir die Infektionswahrscheinlichkeiten und altersabhängigen Todesraten entsprechend modifizieren“, sagt Dawid.

Weitere Informationen:
Website des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie und Computational Economics

Neue Fahrradstellplätze und Reparaturstationen

In den vergangenen Wochen wurden auf dem Campus an verschiedenen Stellen neue Fahrradstellplätze eingerichtet. Im Parkhaus 3 wurde eine Reihe ehemaliger PKW-Stellplätze zu einer überdachten Abstellmöglichkeit für Fahrräder umgewidmet. In der Tiefgarage des X-Gebäudes (momentan coronabedingt geschlossen) wurde die bestehende Abstellfläche für Fahrräder um neue Halterungen und eine eigene Spur zur Ein- und Ausfahrt ergänzt. Diese ist für mehr Sicherheit mit Pollern von der Fahrbahn für PKW abgegrenzt.

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Anschubfonds Medizinische Forschung: erste sechs Kooperationsprojekte bewilligt

Bis April konnten die Anträge zum Anschubfonds Medizinische Forschung (AMF) der Universität Bielefeld gestellt werden. Jetzt hat das Rektorat der Universität Bielefeld die Empfehlungen der Auswahlkommission gesichtet und über die Anträge entschieden. Der AMF unterstützt in der ersten Förderrunde sechs Kooperationsprojekte. Die neuen Projekte befassen sich mit technischen Anwendungen für die Rehabilitation, Mikrobiomen für die Therapie der chronischen Krankheit Rhinosinusitis, Eye-Tracking für die Diagnose von Schlaganfällen, künstlicher Intelligenz zur Nachsorge bei Hörprothesen, Schlafförderung als Präventions-maßnahme sowie mit einer verbesserten Versorgung von Patient*innen mit chronischen Schmerzen. Der AMF soll dazu beitragen, das Forschungsprofil der neu gegründeten Medizinischen Fakultät OWL weiterzuentwickeln. Gefördert werden Kooperationen zwischen Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld und Ärzt*innen des Universitätsklinikums Ostwestfalen-Lippe (UK OWL) sowie Praxen in OWL.

„Wir bedanken uns herzlich bei allen Bewerber*innen. Die zahlreichen guten Projektanträge zu verschiedenen spannenden und zukunftsträchtigen medizinischen Forschungsthemen haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagt Professor Dr. Martin Egelhaaf, Prorektor für Forschung und Forschungstransfer der Universität Bielefeld. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass die ausgewählten Projekte dazu beitragen, ein konkurrenz- und zukunftsfähiges Profil zu entwickeln und gratulieren den Beteiligten der Projekte, die gefördert werden.“

Folgende sechs Projekte mit breiter Beteiligung der Kliniken des UK OWL und verschiedener Fakultäten der Universität Bielefeld werden in der ersten Runde des AMF gefördert:

• „Adaptiv virtuelle Rehabilitation bei Verletzungen der oberen Extremität – Eine Machbarkeitsstudie“

• „Chronische Schmerzen bei Patient*innen mit und ohne entzündlich rheumatische Erkrankung in der Primär- und Sekundärversorgung: transsektorale Bestandsaufnahme, Überprüfung einer neuen Überweisungsstrategie und Analyse von Kontextfaktoren“

• „Detection of shifts in microbiome composition in chronic rhinosinusitis by an optimized analytical workflow” (zu Deutsch etwa: Nachweis von Verschiebungen in der Mikrobiom-zusammensetzung bei chronischer Rhinosinusitis durch einen optimierten analytischen Arbeitsablauf)

• „Ein KI-basiertes System zur optimierten Nachsorge von Cochlea Implantat‐ Patientinnen“

• „Kognitive Störungen nach Schlaganfall und bei Demenz: Neue Wege der Diagnostik mittels High-Resolution Eye-Tracking“

• „Vulnerable elderly, vulnerable brains: Modifying pathways from illness to impairment – Präoperative Schlafförderung als Prähabilitation zur Verhinderung des postoperativen Delirs bei älteren Menschen“

Zu der vom Rektorat beauftragten Auswahlkommission gehörten neben dem Prorektor für Forschung und Forschungstransfer ebenfalls die Gründungsdekanin der Medizinischen Fakultät OWL, drei Mitglieder des Medizinischen Beirats der Universität Bielefeld sowie die Gleichstellungsbeauftragte der Medizinischen Fakultät OWL.

„Der Fonds bietet Forschenden der Universität und forschenden Ärzt*innen der Kliniken und Praxen der Region vor allem die Möglichkeit, gemeinsame Drittmittelanträge vorzubereiten“, sagt Professorin Dr. Claudia Hornberg, die Gründungsdekanin der Medizinischen Fakultät OWL. Dadurch können neue Kooperationen angeregt und das Forschungsprofil Medizin für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen weiterentwickelt und geschärft werden.

Unterstützt werden so Forschungsideen und -vorhaben im geplanten medizinischen Forschungsprofil „Medizin für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen“ mit den Forschungsschwerpunkten „Gehirn – Beeinträchtigung – Teilhabe“ und „Intelligente Systeme – Assistenz – In-terprofessionelle Vernetzung“ sowie den Perspektivfeldern „Mikrobielle Diversität im Lebensraum Mensch“ und „Data Science für die medizinische Versorgung“.

Ziel ist es zudem, die trägerübergreifende Forschung innerhalb des Universitätsklinikums OWL sowie die transsektorale Forschung zu stärken.

Der AMF wurde für eine befristete Zeit von drei Jahren und mit einem Gesamtfördervolumen von 1.5 Millionen Euro eingerichtet. Eine zweite Runde des AMF ist für Herbst 2020 vorgesehen. Für die erste Runde sind 24 Projekte eingereicht worden.

Sie haben die sechs neuen Kooperationsprojekte mit ausgewählt: Prof’in Dr. Claudia Hornberg, Dekanin der Medizinischen Fakultät OWL, und Prof. Dr. Martin Egelhaaf, Prorektor für Forschung und Forschungstransfer der Universität Bielefeld. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller

Medizinische Fakultät OWL in Bielefeld

Zum Wintersemester 2021/22 wird an der Universität Bielefeld ein humanmedizinisches Studium als Modellstudiengang mit zunächst 60 Studierenden beginnen. Neben der kontinuierlichen fachbezogenen Vorbereitung auf die vielfältigen Anforderungen ärztlicher Tätigkeiten wird die Perspektive der ambulanten Medizin im neuen Modellstudiengang in besonderem Maße berücksichtigt. Aktuell laufen eine Vielzahl an Berufungsverfahren der neu zu besetzenden Professuren, die Entwicklung des Curriculums, der Aufbau der Lehr- und Forschungspraxen-Netzwerke sowie die Entwicklung der Qualifizierungsprogramme für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Für die Universität Bielefeld bedeutet die Medizinische Fakultät OWL eine strategische Erweiterung ihres Studienangebots und ihres Forschungsportfolios.

Website zum Anschubfonds Medizinische Forschung

Virtual Reality in der Pflege

Die Pflege gilt als wissensintensives Berufsfeld, bei der ein gelungener Transfer der Theorie in die Praxis von großer Bedeutung für eine gute Gesundheitsversorgung ist. Das neue Projekt „Virdipa“ untersucht, wie Virtual Reality (VR) als computerbasierte Technologie Auszubildende in Pflegeberufen unterstützen kann, theoretisches Wissen praktisch zu erproben. Forschende der Universität Bielefeld und der Fachhochschule (FH) Bielefeld arbeiten in dem Projekt zusammen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt mit insgesamt 1,2 Millionen Euro.

Wie hier im virtuellen Behandlungszimmer sollen Auszubildende in Pflegeberufen in dem Projekt „Virdipa“ neu erworbenes Wissen in praxisnahen Szenarien erproben. Bildmontage: Hochschule Emden-Leer

Die Fachhochschule koordiniert das Projekt. Kooperationspartner außer der Universität Bielefeld sind die Hochschule Emden-Leer und der Verein „Neue Wege des Lernens“ in Bielefeld. Als Praxispartner beteiligt sind außerdem die Gesundheitsschulen des Evangelischen Klinikums Bethel in Bielefeld, das Bildungszentrum St. Johannisstift in Paderborn sowie die Akademie für Gesundheitsberufe der Mühlenkreiskliniken in Minden.

An der Universität Bielefeld arbeitet das Team der Medienpädagogin Professorin Dr. Anna-Maria Kamin in dem Projekt. „Damit Auszubildende mit Virtual Reality lernen können, müssen die Ausbilder*innen und Berufsschullehrkräfte passende Trainingsbausteine entwickeln“, sagt
Anna-Maria Kamin. „Wir befassen uns in dem Projekt damit, wie das Bildungspersonal in Schulen und Betrieben die dafür nötige Medienkompetenz und medienpädagogische Kompetenz erwerben kann.“

„Mit unserem Vorhaben wollen wir einen Beitrag zur Digitalisierung des Berufsfelds Pflege leisten“, erklärt Professorin Dr. med. Annette Nauerth vom Fachbereich Wirtschaft und Gesundheit der FH Bielefeld, die dem Projektleitungsteam angehört. Das Projekt umfasst verschiedene Arbeitsphasen, in denen Qualifizierungsmaßnahmen entwickelt und mit Mitarbeiterinnen aus betrieblichen sowie schulischen Einrichtungen erprobt werden. „Unser Ziel ist es, Teilnehmende dazu zu befähigen,
eigenständig produzierte VR-Trainingsbausteine in der Pflegeausbildung einsetzen zu können“, erläutert Professorin Dr. Patrizia Raschper, die den Schwerpunkt Pflegedidaktik im Projekt betreut.

Prof.’in Anna-Maria Kamin von der Universität Bielefeld befasst sich in dem neuen Projekt damit, welche Kompetenzen Ausbilder*innen und Lehrkräften brauchen, um Virtual-Reality-Systeme einzusetzen. Foto: Universität Bielefeld

Mithilfe bereits vorhandener VR-Trainings sollen die Teilnehmenden außerdem deren Anwendung im Unterricht und in der praktischen Anleitung erlernen. So kann beispielsweise die Reanimation von Patient*innen oder die Reaktion auf Stürze von Patient*innen erprobt werden. In der anschließenden Praxis- und Transferphase werden die Teilnehmenden darin unterstützt, mit einem noch zu entwickelnden Autorenwerkzeug selbst Lernaufgaben mit VR-Technologie zu erstellen, sogenannte „Digital Reusable Learning Objects“ (DLROs). Die Einbindung der 3D-Simulationen soll die Möglichkeiten der Auszubildenden erweitern, fachliche Fähigkeiten zu erwerben.

Die DLROs, das Autorenwerkzeug sowie das Schulungs- und Vermittlungskonzept sollen anschließend als freie Lern- und Lehrmaterialien (Open Educational Resources, OER) zur Verfügung gestellt werden. Das bedeutet, dass auch andere Einrichtungen oder Personen Zugang zu den Materialien und Ergebnissen erhalten. Zusätzlich soll das Qualifizierungskonzept von den kooperierenden Weiterbildungsstätten und als wissenschaftliche Weiterbildung der FH Bielefeld in Kooperation mit „Neue Wege des Lernens e.V.“ über die Laufzeit des Projekts angeboten werden.

Der Projektname „Virdipa“ steht für „Virtual Reality basierte Digital Reusable Learning Objects in der Pflegeausbildung“. Das Projekt wird über den Förderbereich „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Es läuft von März 2020 bis Ende Februar 2023.

Internationales Graduiertenkolleg in der Mathematik verlängert

Das Internationale Graduiertenkolleg „Das Reguläre im Irregulären: Analysis von singulären und zufälligen Systemen“ (IRTG 2235) wird für weitere viereinhalb Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft investiert damit zusätzlich fünf Millionen Euro in die wissenschaftliche Ausbildung und den Austausch von Doktorand*innen zwischen der Universität Bielefeld und der Seoul National University.

Im Februar stand die Begutachtung des Graduiertenkollegs an. Sie stellten dabei die Arbeit des Kollegs vor (v.li.): Prof. Dr. Martin Egelhaaf (Prorektor für Forschung der Universität Bielefeld), Prof. Dr. Panki Kim und Prof. Dr. Moritz Kaßmann (beide Sprecher des IRTG 2235) und Dr. Claudia Köhler, wissenschaftliche Koordinatorin des Kollegs. Foto: Universität Bielefeld

Seit 2016 haben sich in dem Graduiertenkolleg Nachwuchsmathematiker*innen aus allen Teilen der Welt auf die Suche nach versteckten Gesetzmäßigkeiten in zufälligen Systemen begeben. Zweieinhalb Jahre verbrachten sie dafür an der Universität Bielefeld, sechs Monate ihrer dreijährigen Promotionszeit forschten sie an der Seoul National University (Südkorea). Durch die Entscheidung der DFG ist nun die Fortführung des Programms unter der Leitung von Professor Dr. Moritz Kaßmann (Universität Bielefeld) und Professor Dr. Panki Kim (Seoul National University) gesichert. Zwischen 2021 und 2025 werden in Bielefeld 20 Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler eingestellt, die in dem Graduiertenkolleg forschen werden.

„Die Welt ist voller irregulärer Strukturen, zum Beispiel bei Krebszellen, Galaxien oder Bewegungskurven von mikroskopischen Teilchen“, erklärt Moritz Kaßmann von der Fakultät für Mathematik. „Die Dissertationsprojekte in unserem Graduiertenkollegkolleg erkunden versteckte Gesetzmäßigkeiten, die die Bildung von Irregularitäten bestimmen.“

In den Dissertationen geht es vor allem um Fragestellungen aus dem mathematischen Teilgebiet der Analysis. Angrenzende Gebiete wie die Mathematische Physik, Geometrie oder die Wahrscheinlichkeitstheorie sind ebenfalls vertreten. Die theoretischen Untersuchungen haben Bezüge zu realen Phänomenen wie Vorgängen in der Natur, bei denen es innerhalb kürzester Zeit gewaltige Schwankungen geben kann. Ein anderes Thema sind nichtlineare Wellengleichungen. Solche Gleichungen werden beispielsweise verwendet, um zu modellieren, wie sich kleine Störungen auf Wasserwellen oder auf wandernde stabile Wellenpakete in Glasfaserkabeln auswirken. In der nun bewilligten zweiten Förderperiode werden nun zusätzlich Computerverfahren zur effizienten Berechnung und Methoden des maschinellen Lernens untersucht.

Die Universität Bielefeld und die Seoul National University kooperieren seit 2012. Durch das Graduiertenkolleg IRTG 2235 konnte die Zusammenarbeit auf die junge Generation von Wissenschaftler*innen ausgeweitet werden. 19 Professor*innen aus Bielefeld und Seoul arbeiten zusammen, bilden die Doktorand*innen aus und betreuen ihre Promotionsprojekte. Während des sechsmonatigen Austauschaufenthalts wohnen die Doktorand*innen aus Bielefeld auf dem Campus der Seoul National University und arbeiten in Büros des Department of Mathematical Sciences. Im Gegenzug kommen regelmäßig acht Doktorand*innen aus Seoul nach Bielefeld. „So haben sich unter den Nachwuchswissenschaftler*innen eigene Forschungskooperationen, gemeinsame Publikationen und Freundschaften entwickelt, die Ostwestfalen und Ostasien verbinden“, sagt Professor Moritz Kaßmann.

Weitere Informationen:
• „DFG fördert elf neue Graduiertenkollegs“ (Pressemitteilung der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 8. Juli 2020)
• Website des Graduiertenkollegs

Studienprüfungen in Corona-Zeiten

Seit Mitte Juni finden an der Universität Bielefeld die großen Prüfungen des Sommersemesters 2020 statt. Aufgrund der Corona-Hygienebestimmungen mussten insbesondere für große Prüfungen mehr und große Räumlichkeiten gefunden werden. Mit einem hohen koordinatorischen Aufwand werden darum aktuell Sporthalle, Mensa, Stadthalle und Lokschuppen gebucht, zeitweise sogar parallel.

„Rund 220 Prüfungen mit mehr als 50 Teilnehmenden müssen gerade anders abgenommen werden als bisher“, erklärt Bastian Doht vom Dezernat Studium und Lehre. Er koordiniert das Thema Prüfungen in externen Räumen dezernatsübergreifend, vor allem mit Kolleg*innen des Facility Managements und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. „Der größte Hörsaal der Universität, Hörsaal H4, fasst gerade 32 Prüflinge unter Corona-Hygienebedingungen, sonst sind es 404 Plätze.“

  • In der Sporthalle der Universität ist Platz für 140 Prüflinge. Foto: Universität Bielefeld
  • Auch die Mensa wird für die Prüfungen vorbereitet. Jede*r Teilnehmende bekommt in einem vorherigen Anmeldeverfahren einen Tisch mit einer Nummer zugewiesen. Foto: Universität Bielefeld

Als neue Prüfungsräume kommen jetzt nach und nach größere Räume in Bielefeld zum Einsatz. Zunächst die Sporthalle der Universität für 140 Personen, später die Mensa im Gebäude X für 194 Personen, dann die Stadthalle mit 200 und schließlich der Lokschuppen mit 120 Prüflingen. Neu ist die Zusammenarbeit mit der Stadthalle beim Thema Prüfungen, mit dem Lokschuppen bestand bereits ein Vertrag für die Zeit der Audimax-Bauarbeiten.

Thematisch ziehen sich die Prüfungen durch alle Fächer: von Rechtswissenschaften bis Mathematik, von Soziologie bis Sportwissenschaft. Einige Prüfungen müssen parallel in mehreren großen Räumen stattfinden. Die größte Prüfung ist mit 500 Personen angemeldet und wird gleichzeitig in der Sporthalle der Universität, der Mensa und der Stadthalle stattfinden.

So laufen die Prüfungen ab: Zunächst unterschreibt die*der Lehrende ein Hygiene-Schutzkonzept für die Prüfung und setzt die Vorgaben um. Für jede Klausur gibt es dann ein zentrales Anmeldeverfahren. Die*der Studierende meldet sich an und bekommt später eine Mitteilung zu den Hygiene-Regeln und einen nummerierten Einzelplatz zugewiesen, der am Prüfungstag für ihn reserviert ist. Allein vier Mitarbeitende sind zentral mit dieser Organisation befasst. Vor Ort sorgen dann Mitarbeitende dafür, dass die Menschenmengen geleitet und geführt werden.

Personalnachrichten aus der Universität Bielefeld

• Professor Dr.-Ing. Gerhard Sagerer weiterhin stellvertretender LRK-Vorsitzender
• Professorin Dr. Claudia Hornberg erneut in den Sachverständigenrat für Umweltfragen berufen

Rektor Prof. Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, Foto: Universität Bielefeld/M.Adamski

Professor Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, Rektor der Universität, ist als stellvertretender Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz NRW wiedergewählt worden. Bei den Wahlen wurde auch der LRK-Vorsitzende Professor Dr. Dr. h.c. Lambert T. Koch, Rektor der Bergischen Universität Wuppertal, im Amt bestätigt. Lambert T. Koch und Gerhard Sagerer stellen mit Professorin Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der Universität Düsseldorf, und Professor Dr. Dr. h.c. Michael Hoch, Rektor der Universität Bonn, weiterhin den LRK-Vorstand. Die neue Amtszeit beginnt am 1. Oktober 2020 und endet am 30. September 2022. Die 16 Mitgliedsuniversitäten der Landesrektorenkonferenz der Universitäten in NRW fördern die Zusammenarbeit der Hochschulen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich und befassen sich mit übergreifenden hochschulpolitischen Themen.

Prof.’in Dr. Claudia Hornberg, Foto: SRU

Professorin Dr. Claudia Hornberg wurde im Juni erneut von der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in den siebenköpfigen Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) berufen. Die bisherige Vorsitzende ist in der kommenden, vier Jahre dauernden, Ratsperiode für die Bereiche Toxikologie und Public Health zuständig. Der 1971 von der Bundesregierung eingerichtete Sachverständigenrat bewertet regelmäßig die Umweltsituation in Deutschland und spricht Handlungsempfehlungen zu aktuellen Fragen der Umweltpolitik aus. Hornberg ist Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin. An der Universität Bielefeld leitet sie seit 2002 die Arbeitsgruppe „Umwelt und Gesundheit“ an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften. 2018 ist sie als Gründungsdekanin für die Medizinische Fakultät OWL bestellt worden und leitet dort die Arbeitsgruppe „Sustainable Environmental Health Sciences“.

Info-Wochen der Universität Bielefeld in diesem Jahr digital

Die Universität Bielefeld hat ihre Info-Wochen in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie komplett kontaktlos organisiert. Vom 6. bis zum 20. Juni erwartet die Teilnehmenden ein umfangreiches Live-Programm im Internet. Angesprochen sind in erster Linie Studieninte-ressierte, die in den kommenden zwei Semestern ein Hochschulstudium aufnehmen möchten. Alle Veranstaltungen sind kostenlos. Für einige Veranstaltungen ist eine Anmeldung erforderlich. Das komplette Programm und weitere Informationen: www.uni-bielefeld.de/info-wochen

Alle Fakultäten stellen in diesen Tagen ihr Bachelor-Studienangebot vor. In Live-Veranstaltungen können Vorträge, Workshops, Gesprächsrunden und Vorlesungen online besucht werden. Daneben gibt es Informationsangebote zu Fragen rund ums Studium. Es besteht unter anderem die Möglichkeit, den Campus der Universität Bielefeld auf einem virtuellen Rundgang zu erkunden, Unterstützung bei der Studienentscheidung zu erhalten oder an Vorträgen zu Bewerbung, Einschreibung und Studienfinanzierung teilzunehmen. Das Live-Programm wird ergänzt durch viele Informationen, die als Videos, Links oder in schriftlicher Form dauerhaft zur Verfügung stehen.

Seit über zehn Jahren lädt die Universität Bielefeld Studieninteressierte zu den Info-Wochen ein. Schüler*innen sowie Abiturient*innen nutzen die Veranstaltung, um die Hochschule und ihr Studienangebot kennen zu lernen.

Ein Hormon nach Pflanzenart

Pflanzen stellen das Hormon Jasmonsäure her, wenn sie angegriffen werden. So sorgen sie dafür, dass ihre Blätter Fraßfeinden nicht mehr schmecken. Biolog*innen wollen erfahren, ob biologische Vorstufen und andere Varianten der Jasmonsäure zu ähnlichen oder abweichenden Effekten führen. Doch für Experimente waren solche Abkömmlinge des Hormons bislang zu teuer und nur schwer zu bekommen. Forschende aus den Fakultäten für Chemie und Biologie der Universität Bielefeld haben jetzt ein Verfahren gefunden, das die Produktion einer biologisch bedeutenden Vorstufe der Jasmonsäure effizienter und günstiger machen könnte. Ihre Innovation: Sie ahmen nach, wie Pflanzen das Hormon herstellen. Das Ergebnis ist 12-OPDA, eine zentrale Vorstufe von Jasmonsäure. Sie könnte langfristig auch als Vorstufe für hochwertiges Parfüm in Frage kommen. Die Forschenden präsentieren ihr Verfahren heute (29.05.2020) im Forschungsjournal Advanced Science.

Wie kann Chemie genutzt werden, um Pflanzenhormone herzustellen? Damit befassen sich die Doktorandin Jana Löwe und die beiden Professoren Dr. Harald Gröger und Dr. Karl-Josef Dietz (v. li.) in einer neuen Studie. Foto: Universität Bielefeld

„Jasmonsäure kann zum Beispiel die Freisetzung von giftigen Stoffen wie Nikotin in den Blättern anstoßen, die den Angreifern schaden“, erklärt der Biologe Professor Dr. Karl-Josef Dietz. „Tabakpflanzen stoßen eine abgewandelte Form der Jasmonsäure aus und bringen so benachbarte Pflanzen dazu, sich auf Angriffe vorzubereiten“, sagt Dietz. „Jasmonsäure wirkt auch heilend und kann in Gang setzen, dass sich beschädigte Blätter regenerieren.“

Dietz leitet die Arbeitsgruppe Biochemie und Physiologie der Pflanzen der Universität Bielefeld. Er erforscht, wie Pflanzen auf Stress reagieren und arbeitet daran, ihre Reaktion zu verändern und zu optimieren. „Damit können wir Pflanzen zum Beispiel auf die veränderten Umweltbedingungen infolge des Klimawandels vorbereiten.“ Falls das wärmere Klima dazu führt, dass die Käfer-Populationen zunehmen, könnten Pflanzen etwa mit der Fähigkeit ausgestattet werden, diesen An-greifern mit Bitterstoffen zu schaden. „Uns interessiert die Wirkung von Vorformen der Jasmonsäure, wie das 12-OPDA, das nur im Milligramm-Bereich zu bekommen ist und dann mehrere hundert Euro kostet“, sagt Dietz.

„Der hohe Preis kommt durch die arbeitsintensive Herstellung zustande, da auf klassisch-chemischen Wege die Herstellung von 12-OPDA äußerst aufwändig und mit vielen Reaktionsstufen verbunden ist“, sagt der Chemiker Professor Dr. Harald Gröger. Er leitet die Arbeitsgruppe Industri-elle Organische Chemie und Biotechnologie an der Universität Bielefeld. Gemeinsam mit Dietz entwickelte er die Idee, 12-OPDA (12-Oxophytodiensäure) als Vorstufe von Jasmonsäure in einem effizienten und synthetisch neuartigen Verfahren herzustellen. Beide Wissenschaftler forschen am Centrum für Biotechnologie (CeBiTec) der Universität Bielefeld.

Das neue Verfahren greift das Prinzip aus den Pflanzenzellen auf: Es nutzt die Enzyme als Katalysatoren der Pflanzen in für synthetische Zwecke optimierter Form. „Wichtig ist, dass diese Enzyme im richtigen Verhältnis eingesetzt werden“, sagt Jana Löwe. Sie ist Erstautorin der neuen Studie und forscht in Grögers Arbeitsgruppe. Der Clou des neuen Verfahrens: Wenn alle Startbedingungen stimmen, läuft es anschließend von selbst.

Jasmonsäure bewirkt, dass beschädigte Blätter von Pflanzen für Fraßfeinde unbekömmlich werden. In Bielefeld wurde eine Vorstufe des Hormons erzeugt. Mit ihm lässt sich etwa testen, wie die Fitness von Pflanzen verbessert werden kann. Foto: Universität Bielefeld

„Wie die Pflanzen verwenden wir die einfach zugängliche Linolensäure in Kombination mit lediglich drei Enzym-Reaktionen“, erklärt Löwe. Linolensäure kann zum Beispiel aus Rapsöl gewonnen wer-den. Das erste Enzym baut den Sauerstoff aus der Luft in die Linolensäure ein. Darauf aufbauend erzeugt das zweite Enzym ein hochlabiles Zwischenprodukt, das dann vom dritten Enzym in 12-OPDA umgewandelt wird.

„Das klingt einfach“, sagt Gröger. „Die Schwierigkeit war aber bisher die empfindliche, kurzlebige Zwischenstufe, die durch das zweite Enzym entsteht. Wenn hier nicht sofort das dritte Enzym hinzugefügt wird, entstehen nicht brauchbare Produkte.“

Löwe löst das Problem, indem sie Bakterien als Erzeuger der Enzyme für die zweite und letzte Stufe der Reaktion verwendet – in Verbindung mit einem aus Sojabohnen stammenden kommerziellen Enzym für die erste Reaktionsstufe. Die Bakterien (Escherichia coli) sind genetisch so verändert worden, dass sie die beiden Enzyme in den erforderlichen Mengen bereitstellen. „Sobald die labile Zwischenstufe gebildet wird, ist das benötigte Enzym sofort zur Stelle und sorgt für die Herstellung von 12-OPDA“, sagt Löwe.

Danach kann das 12-OPDA direkt in biologischen Studien eingesetzt oder in weitere Stoffe umgewandelt werden, die zum Beispiel für Dietz‘ Experimente gebraucht werden. Auch dafür hat Löwe ein Verfahren entwickelt. „Damit steht uns eine Bibliothek von Abkömmlingen von 12-OPDA für pflanzenphysiologische Untersuchungen zur Verfügung“, sagt Dietz. „Durch weitere Reaktionen könnte mit dem 12-OPDA darüber hinaus zukünftig in effizienter Weise unter Umständen sogar Methyldihydrojasmonat hergestellt werden“, sagt Gröger. „Das ist eine Substanz, die als Inhaltsstoff für viele bekannte Parfüms benötigt wird.“

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat Grögers Arbeitsgruppe für das Forschungsprojekt zu 12-OPDA finanziell unterstützt. Die Förderung lief über die BMBF-Initiative „Nächste Generation biotechnologischer Verfahren – Biotechnologie 2020+“ (Projektnummer: 031A184A).

Originalveröffentlichung:
Jana Löwe, Karl-Josef Dietz, Harald Gröger: From a biosynthetic pathway toward a biocatalytic process and chemocatalytic modifications: Three-step enzymatic cascade to the plant metabolite cis-(+)-12-OPDA and metathesis-derived products.
Adv. Science, https://doi.org/10.1002/advs.201902973, veröffentlicht am 29.05.2020.

Das Gehirn als Vorbild für stromsparende Schaltkreise

In herkömmlichen Computern müssen kontinuierlich Daten zwischen Rechen- und Speichereinheiten übertragen werden – ein langsamer und energieintensiver Prozess, der die Gesamtleistung und Energieeffizienz stark einschränkt. Ein Team internationaler Wissenschaftler*innen entwickelt in dem neuen EU-Projekt „BeFerroSynaptic“ Schaltkreise, die Aspekte eines biologischen Nervensystems nachbilden. Damit soll der Energiebedarf verringert werden. Die Universität Bielefeld ist eine von elf Partner*innen des Projekts. Die Europäische Union fördert die Forschung insgesamt mit vier Millionen Euro.

Dienste wie Bild- und Spracherkennung, Signalverarbeitung oder autonomes Fahren benötigen riesige Datenmengen. Viele kleine Geräte wie Smartphones verfügen nicht über die Rechenleistung, das Energiebudget und die komplexen Mikroprozessoren, die für viele Aufgaben erforderlich wären. Daher laden zum Beispiel virtuelle Assistenten Sprache zur Verarbeitung in die Cloud hoch. „Auch in den meisten modernen Computern sind die Rechen- und Speichereinheiten klar voneinander ge-trennt“, sagt die Informatikprofessorin Dr. Elisabetta Chicca vom Institut CITEC der Universität Bielefeld. Daten müssen aus einem Speicher heraus zu einem Rechenprozessor übertragen werden und nach der Verarbeitung wieder abgespeichert werden. „Dieser Prozess der Datenübertragung kostet sehr viel Energie und limitiert die Geschwindigkeit der elektronischen Datenverarbeitung“, sagt Chicca.

Prof.’in Dr. Elisabetta Chicca forscht dazu, wie Aspekte des Gehirns in Computerschalt-kreisen nachgebildet werden können. Foto: Universität Bielefeld

Energieeinsparungen durch biologisches Konzept der Datenverarbeitung

In dem EU-Projekt „BeFerroSynaptic“ arbeiten Forschende von elf Universitäten, Unternehmen und weiteren Institutionen zusammen. Sie sind auf verschiedene Bereiche spezialisiert: Materialwissenschaft, neuromorphe Schaltkreisentwicklung und Computerchip-Herstellung. Gemeinsam wollen sie eine neuromorphe Lösung mit niedrigem Stromverbrauch entwickeln. Diese kombiniert den Datenspeicher und die Datenverarbeitung. Dadurch verringert sich die benötigte Übertragungsmenge und die Daten können schneller verarbeitet werden. Die Neurowissenschaftlerin Chicca leitet die Forschung innerhalb des „BeFerroSynaptic“-Projekts in Bielefeld. Mit ihrer Arbeitsgruppe „Neuromorphe Systeme“ entwickelt sie biologisch-inspirierte Schaltkreise für das Projekt.

Bei der biologischen Datenverarbeitung, zum Beispiel im menschlichen Gehirn, gibt es keine klare Trennung zwischen Datenspeicher und Datenverarbeitung: „Menschen haben keinen festen Speicherplatz an dem die ‚Daten’ liegen, bis sie in einem Prozessor verarbeitet werden“, sagt Chicca. „In Nervensystemen findet die Datenverarbeitung und Datenspeicherung an den gleichen Stellen, nämlich in den Neuronen und deren Verbindungen, den Synapsen, statt. Dies ist auch ein Grund, warum biologische Nervensysteme deutlich weniger Energie verbrauchen als moderne Computer.“

Neue Möglichkeiten für den Bereich der künstlichen Intelligenz

Chicca und ihr Team forschen hauptsächlich zur Entwicklung von elektronischen Schaltkreisen und Rechnereinheiten, die in der Lage sind, wie Tiere und Menschen auf Veränderungen in der Umwelt zu reagieren und zu lernen. Gemeinsam mit den anderen Projektpartnern haben sie es sich zum Ziel gesetzt, die Berechnungs- und Speicherfunktion in einer Schaltung zu kombinieren, wie es auch im Nervensystem mit Neuronen und Synapsen geschieht. „Die neuen Schaltkreise sollen einfache Lern-aufgaben energieeffizient ausführen. Mit unserer Idee wollen wir immer größere neuronale Netze realisieren, die als künstliche Intelligenz genutzt werden können. Das ist ein radikal neuer Ansatz“, sagt Chicca.

Daneben entwickeln die Wissenschaftler*innen ein Verfahren für die Computerchipherstellung mit ferroelektrischen Bauteilen. Ferroelektrizität beschreibt eine physikalische Besonderheit von einigen Materialien, die ihre Eigenschaften ändern, wenn eine elektrische Spannung angelegt wird. In Ner-vensystemen verbinden Synapsen einzelne Neuronen miteinander und bestimmen, wie stark ein Signal von einer Nervenzelle an die nächste weitergeben wird. „Wenn zum Beispiel ein Tier etwas lernt, verändern sich die Verbindungen in seinem Nervensystem und somit auch die Synapsen“, sagt Chicca. „Wir nutzen die ferroelektrischen Veränderungen der elektrischen Bauteile in unseren Schaltkreisen, um die Veränderungen von biologischen Synapsen während des Lernens nachzubilden.“ Diese Erkenntnisse leisten auch einen Beitrag, um Nervensysteme von Tieren besser zu verstehen.

Zu Beginn des Projekts arbeiten die Bielefelder Neurowissenschaftler*innen mit Materialwissenschaftler*innen zusammen an einem Modell, das das Verhalten der neuartigen ferroelektrischen Bauteile in einem Schaltkreis beschreibt. Bis Ende des Jahres wollen die Forschenden einen Prototyp fertiggestellt haben.

Das EU-Projekt „BeFerroSynaptic“ wird vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022 mit knapp vier Millionen Euro durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union finanziert. Als Partnerinstitution erhält die Universität Bielefeld eine Förderung in Höhe von rund 390.000 Euro.

Weitere Informationen:
Webseite des Konsortiums BeFerroSynaptic

Vor dem Virus sind nicht alle Erwerbstätigen gleich

Rund 20 Prozent der Erwerbstätigen leiden infolge der Corona-Pandemie unter Einkommenseinbußen. Das zeigen erste Analysen der SOEP-Corona-Studie (SOEP-CoV), die heute (13.05.2020) veröffentlicht worden sind. Für die Studie kooperieren die Universität Bielefeld und das Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Der Studie zufolge arbeiten vor allem Menschen mit höheren Einkommen und besserer Bildung im Homeoffice. Die meisten Erwerbstätigen schätzen die gesamtwirtschaftliche Lage als schlechter ein als zuvor, sehen ihre eigene wirtschaftliche Situation jedoch positiv.

Der Soziologe Dr. Simon Kühne von der Universität Bielefeld ist einer der Co-Leiter der Studie. Foto: Universität Bielefeld

Die Corona-Pandemie verändert die wirtschaftliche und soziale Situation vieler Erwerbstätiger in Deutschland. Rund 20 Prozent der Erwerbstätigen aus 2019 haben schon jetzt Einkommenseinbußen erlitten. Davon berichten Menschen mit einem geringen Einkommen und damit geringeren finanziel-len Spielräumen genauso häufig wie besser Verdienende. Etwa 35 Prozent arbeiten im Homeoffice, darunter vor allem Menschen mit höheren Einkommen und besserer Bildung. Von Kurzarbeit sind derzeit 17 Prozent der Erwerbstätigen betroffen, vor allem weniger gebildete. „Schon jetzt zeichnet sich also ab, dass Menschen mit höherem Einkommen und besserer Bildung die Krise leichter bewäl-tigen werden als andere“, sagt Professor Dr. Stefan Liebig, Direktor des SOEP und Co-Leiter der Studie.

Die meisten Erwerbstätigen schätzen laut der Studie die gesamtwirtschaftliche Lage als wesentlich schlechter ein als zuvor. „Auffällig ist indessen, dass die Mehrheit der Erwerbstätigen – hauptsäch-lich die höher Gebildeten – ihre persönliche wirtschaftliche Situation aktuell positiv bewertet“, sagt Dr. Simon Kühne, Co-Leiter der Studie, von der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.

Die für Deutschland repräsentative SOEP-Corona-Studie (SOEP-CoV) untersucht die sozialen Folgen der Corona-Pandemie. Dabei geht es unter anderem um das Arbeitsleben und den Alltag, die seelische und körperliche Gesundheit, aber auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Für SOEP-CoV werden seit Anfang April mehr als 12.000 Menschen befragt, die in der Vergangenheit regelmäßig an der repräsentativen Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) teilgenommen haben. Eine zweite Befragung wird stattfinden, wenn die Infektionsrate deutlich rückläufig ist.

Alleinstellungsmerkmal der SOEP-Corona-Studie ist die Langzeitperspektive. „Wir können nicht nur schon jetzt sehen, wie sich das Leben der Menschen hierzulande durch die Corona-Krise im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie verändert“, sagt Stefan Liebig. „Wir werden auf Basis der SOEP-CoV-Daten auch beobachten können, wie die Pandemie das Leben in Deutschland in den kommen-den Jahren prägen wird.“

SOEP-CoV ist ein gemeinsames Projekt des Sozio-oekonomischen Panels am DIW Berlin (SOEP) und der Universität Bielefeld und wird mit rund 500.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. „Mit unserer Studie schließen wir eine entscheidende Datenlücke und fördern sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Krise“, sagt Simon Kühne.

Ergebnisse aus der Studie SOEP-CoV werden laufend auf der Projekthomepage und im SOEP-CoV-Dossier vorgestellt.

Verzerrte Perspektiven auf die NS-Zeit trotz Sorgen um Geschichtsrevisionismus

In der deutschen Gesellschaft finden sich teils deutlich verzerrte Perspektiven auf die Zeit des Nationalsozialismus, so lautet ein wesentliches Ergebnis der Studie „MEMO Deutschland – Multidimensionaler Erinnerungsmonitor“ des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Die repräsentative Befragung unter 1.000 Personen wird seit 2017 von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) unterstützt.

  • Quelle: MEMO Deutschland
  • Quelle: MEMO Deutschland
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Ein Schwerpunkt der Studie lag darauf, wie die Befragten das Ende des Zweiten Weltkriegs, das sich am 8. Mai zum 75. Mal jährt, rückblickend einordnen und bezeichnen würden. Dabei bewerten sie die Begriffe der „Befreiung“ (87,0%) und des „Neuanfangs“ (81,2%) als die geeignetsten, um zu beschreiben, was das Kriegsende 1945 für Deutschland bedeutet hat – den Begriff der „Niederlage“ (70,3%) schätzen sie im Vergleich als am wenigsten geeignet ein.

„Die Worte, die wir für historische Ereignisse wählen, verraten viel darüber, welche Rolle wir uns selbst dabei zuschreiben. Dass in Deutschland das Kriegsende vor allem als ‚Befreiung‘ und ‚Neuanfang‘ erinnert wird, erscheint nicht unproblematisch“, erklärt Sozialpsychologe Michael Papendick, Mitarbeiter am IKG und einer der Autor*innen der MEMO-Studien. „Diese Umschreibungen könnten nahelegen, die Deutschen seien dem nationalsozialistischen Regime zum Opfer gefallen, sodass sie befreit werden mussten, und dabei verschleiern, dass weite Teile der Bevölkerung dieses Regime mitgetragen und geduldet haben, zum Teil selbst darin verstrickt waren.“ Verzerrte Perspektiven auf die historischen Ereignisse spiegeln sich in einer Reihe von Befunden der MEMO-Studien wider. Dies sei auch deswegen bemerkenswert, weil zugleich ein großer Teil der Befragten (64,6%) die Sorge äußert, die deutsche Erinnerungskultur könne von Rechtspopulisten vereinnahmt werden.

Wozu dient eine „deutsche Opferperspektive“?

Die Befragten schätzen, dass nur rund 40% der deutschen Bevölkerung während der NS-Zeit von der systematischen Ermordung von Menschen wusste, mehr als die Hälfte der Deutschen also „nichts gewusst“ habe. Zudem zeigt sich, dass Befragte auch gefallene deutsche Soldaten zu den Opfern während der Zeit des Nationalsozialismus zählen und die Hälfte (49,9%) eine aktive Erinnerung an diese befürwortet. Unter dem Begriff des ‚Opfers‘ verstehen Befragte nicht nur die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, sondern auch die Opfer der Bombenangriffe, Vertriebene, Soldaten. „Es stellt sich die Frage nach der möglichen gesellschaftlichen Funktion einer solchen Perspektive. Geht es dabei noch immer oder schon wieder um die Verdrängung von Verantwortung? Oder erlaubt die verbreitete Anerkennung von historischer Verantwortung auch die Erinnerung an deutsche Opfer? Historische Bildung muss konkret sein, historische Zusammenhänge aufzeigen und nach politischen Positionen fragen“, betont Dr. Ralf Possekel, Vorstand der Stiftung EVZ.

Haben die Deutschen „aus der Geschichte gelernt“?

Die Studienteilnehmer*innen schätzen, dass 34,0% der Deutschen während der NS-Zeit zu den Täter*innen zählten, aber deutlich weniger (15,4%) potentiellen Opfern geholfen haben. Dass sie selbst während der Zeit des Nationalsozialismus zu den Täter*innen gezählt hätten, halten die wenigsten Befragten für wahrscheinlich (10,5%), dass sie selbst anderen geholfen hätten dafür umso mehr (65,3%). Diese Selbsteinschätzung ließe sich positiv so deuten, dass die Befragten aus einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte gelernt haben, aber auch so, dass sie die eigene Courage über- und den Einfluss gesellschaftlicher Prozesse und situationsbedingter Faktoren unterschätzen. Eine solche Lesart deckt sich mit den Einschätzungen der Befragten, die berichten, über die Einstellungen der deutschen Bevölkerung während der NS-Zeit und ihre Reaktionen auf die Verbrechen des NS-Regimes vergleichsweise wenig zu wissen. „Wir nehmen nicht an, dass die Befragten ihren Blick auf die NS-Zeit bewusst verzerren, oder sich selbst bewusst überschätzen, sondern dies das Ergebnis von kollektiven Erinnerungs- und Wissenslücken ist“, sagt Papendick. „Umso wichtiger erscheint daher eine vielfältige Erinnerungskultur, die neben dem bloßen Erinnern auch eine Auseinandersetzung mit Geschichte ermöglicht, damit rechtes Gedankengut und Geschichtsrevisionismus nicht noch weiter in entstehenden Wissenslücken verfangen können.“

Hintergrundinformationen zu den Umfrageergebnissen, Fotos und Infografiken auf der Website der Stiftung EVZ.

Reha mit 3D-Technologie und virtueller Realität

Neurowissenschaftler*innen des Instituts CITEC der Universität wollen mit einem neuen Projekt Betroffene von Muskel-Skelett-Verletzungen unterstützen, schneller wieder fit zu werden. Für ihr System setzen sie 3D-Technologie und virtuelle Realität ein. Das Projekt „Vecury“ wird für eineinhalb Jahre mit 240.000 Euro durch die Förderlinie „Startup-Transfer.NRW“ des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert.

Wenig Zeit in der Physiotherapie, Mangel an Anleitung und oft fehlende Motivation verzögern die Erholung der Patient*innen und damit die Rückkehr in den Alltag. Das soll „Vecury“ ändern: Dr. Rümeysa Gündüz Can und die Doktoranden Miguel Angel Cienfuegos Tellez und Alessio D’Aquino entwickeln eine Virtual-Reality-Plattform, die auf die individualisierten Bewegungsmöglichkeiten der Patient*innen abgestimmt ist und auf diese Weise ihre Rehabilitation außerhalb der Physiotherapie unterstützt. Dafür arbeiten die Neurowissenschaftler*innen mit den Medizinern Professor Dr. med. Thomas Vordemvenne und Privatdozent Dr. med. Dirk Wähnert von der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Evangelischen Klinikum Bethel zusammen.

Dr. Rümeysa Gündüz Can und die Doktoranden Miguel Angel Cienfuegos Tellez (li.) und Alessio D’Aquino (re.) wollen mit „Vecury“ die Physiotherapie von Patient*innen unterstützen. Foto: Universität Bielefeld

Individuelles Physioprogramm für jede*n Patient*in

Rümeysa Gündüz Can und ihre beide Projektmitarbeiter forschen im Arbeitsbereich „Neurokognition und Bewegung – Biomechanik“ unter der Leitung von Professor Dr. Thomas Schack am Center for Cognitive Interaction Technology (CITEC). „Das Bemerkenswerte an Vecury ist, dass das Rehabilitationssystem auf die realen und individuellen Bedürfnisse der Patient*innen zugeschnitten ist und nicht auf abstrakten Modellen basiert“, erklärt Schack.

„Mit unserem System können die Patient*innen selbstständig Bewegungen trainieren, indem sie die in der Rehabilitationseinrichtung durchgeführten Übungen wiederholen“, sagt Dr. Rümeysa Gündüz Can. „Indem das System das Training dokumentiert, gewinnen Ärzt*innen und Physiotherapeut*innen einen objektiven Überblick über den Rehabilitationsfortschritt. Auch die Patient*innen können ihren Genesungsfortschritt kontrollieren.“ Das System stellt sich auf die Nutzer*innen individuell ein. „Zunächst werden die Präferenzen, Erwartungen, Leistungen und die Gesamterfahrung der Patient*innen identifiziert. Damit ist unser System in der Lage, die Art und Intensität des Trainings auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen und das richtige Maß an Herausforderung für die Patient*innen zu bieten“, sagt Gündüz Can.

Zusammenarbeit mit Kliniken

Behandelt werden sollen zunächst vor allem junge Patient*innen, die aufgrund von Unfällen schwere Verletzungen erlitten haben und eine umfassende Rehabilitation benötigen, bevor sie wieder ihrem täglichen Leben nachgehen können. „Die Patient*innen bekommen eine Reihe von Übungen verordnet, die täglich bis zum nächsten Physiotherapiebesuch durchgeführt werden sollen. Im Grunde genommen verbringen die Patient*innen den Großteil der Zeit mit Übungen, die sie ohne Aufsicht durchführen“, sagt Gündüz Can. „Unsere Plattform soll direkt zu Beginn einer Physiotherapie eingeführt werden, sodass die Patient*innen direkt mit einem individuellen Programm ohne medizinische Aufsicht starten können.“ Dafür erfassen die Physiotherapeut*innen den Bewegungsbereich der Patient*innen und erstellen auf diesen Daten aufbauend einen Trainingsplan.

Im vergangenen Jahr entwickelten die Forschenden bereits eine funktionierende Demonstration ihrer Idee, die sie auf Veranstaltungen und Konferenzen in Europa vorstellten. Dafür befragten und testeten sie auch 16 Patient*innen vom Zentrum für ambulante Rehabilitation in Bielefeld und vom Evangelischen Klinikum Bethel am Beginn und am Ende ihrer Rehabilitation. „Obwohl wir keine streng wissenschaftliche Studie durchgeführt haben, waren die Informationen, die wir aus dem Feedback gezogen haben, für unsere Idee sehr wertvoll“, sagt Gündüz Can. „Nun bereiten wir eine Machbarkeitsstudie mit unserem klinischen Partner in Bethel vor. Die Zusammenarbeit mit Bethel ermöglicht es uns, eng mit den Patient*innen zusammenzuarbeiten und Erkenntnisse zu gewinnen, wie die technische Entwicklung unserer Plattform aus ärztlicher Sicht am besten angegangen werden kann.“

Ziel einer marktfähigen medizinischen Plattform

Zunächst wird das System nur in Kliniken und Krankenhäusern getestet, langfristig soll es aber auch zu Hause angewendet werden können. „Wir sehen definitiv die Möglichkeit einer Heimanwendung, aber wir müssen mit Rechtsexpert*innen die Datensicherheit bewerten“, sagt Gündüz Can. „Außerdem wollen wir so viele Patientinnen und Physiotherapeutinnen wie möglich erreichen, um ihre Meinung zu hören und unsere Idee auf der Grundlage ihrer und unserer Vision dynamisch zu gestalten.“

In den kommenden eineinhalb Jahren streben die Forschenden eine voll funktionsfähige und marktfähige Version ihrer medizinischen Plattform an. Doch danach soll das Projekt Vecury nicht zu Ende sein, so Gündüz Can: „Wir wollen Vecury als ein Unternehmen für digitale Medizintechnik in Deutschland etablieren und innerhalb der nächsten fünf Jahre weitere europäische Märkte erreichen. Mit Bethel haben wir bereits eine gute Zusammenarbeit geschaffen, die wir unter Einbeziehung verschiedener Interessengruppen wie Krankenkassen und wissenschaftlicher Partner ausbauen wollen.“

Mit einer Virtual-Reality-Brille üben die Patient*innen zum Beispiel das Greifen. Foto: Universität Bielefeld

Förderung als wissenschaftliches Startup

Der Projektname „Vecury“ steht für „Virtual Reality Platform for the Motor Rehabiliation of Upper-Limb Impairments“ (Virtual-Reality-Plattform für die Bewegungsrehabilitation bei Beeinträchtigungen der oberen Gliedmaßen). Das Projekt wird ab Mai über das Programm Startup-Transfer.NRW unterstützt. Die Förderlinie des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen soll junge Wissenschaftler*innen bei ihren ersten unternehmerischen Erfahrungen unterstützen. Gefördert werden vor allem innovative Geschäftsideen im Bereich Digitales, die ein tragfähiges Geschäftskonzept vorweisen können. Auf diese Weise geförderte Startups können bis zu 240.000 Euro für einen Zeitraum von 18 Monaten erhalten, um ihre Idee zu entwickeln und ihr Unternehmen am Ende des Projekts zu gründen.

Erfolg im Programm „Eine Uni – ein Buch“

Die Universität Bielefeld gehört zu den zehn Gewinnern bei der diesjährigen Ausschreibung „Eine Uni – ein Buch“. Sie bewarb sich mit dem Titel „Achtung Zensur! Über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen“ der Kasseler Literaturwissenschaftlerin Nikola Roßbach. Mit dem Programm „Eine Uni – ein Buch“ wollen der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Klaus Tschira Stiftung in Kooperation mit der ZEIT-Stiftung Diskussionsprozesse quer über alle Statusgruppen in ausgewählten deutschen Hochschulen anregen. Das Projekt wird mit 10.000 Euro gefördert.

Die Coronakrise führt die Aktualität des Themas „Zensur“ gerade vor Augen: Fake News-Erfinder und Verschwörungstheoretiker sind schnell mit dem Zensur-Vorwurf bei der Hand, wenn seriöse Medien es ablehnen, ihre Ansichten zu verbreiten. Zwar steht im Grundgesetz, eine Zensur finde in Deutschland nicht statt, schränkt dies aber sofort mit Hinweis auf gesetzliche Regelungen wie den Jugendschutz oder Persönlichkeitsrechte wieder ein.

„‘Zensur‘ ist ein schillernder Begriff, der sich weniger in Schwarz-Weiß-Schemata einordnen lässt, als viele das erwarten dürften, und seine Definition ist ein dynamischer, nicht endender Prozess, dem sich die Gesellschaft permanent zu stellen hat“, sagt Dr. Hans-Martin Kruckis, Programmleiter des Zentrums für Ästhetik der Universität Bielefeld, das bei der Ausarbeitung des Konzepts für „Eine Uni – ein Buch“ federführend war. „Bei Zensur geht es immer um Grenzziehungen, etwa zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung oder der Freiheit im Netz und berechtigten Urheberinteressen wie im Zusammenhang mit Upload-Filtern. Wo solche Grenzen zu ziehen sind, entscheidet über die Offenheit einer Gesellschaft und im Zweifel auch über die Stabilität einer Demokratie. Natürlich spielen dabei auch Tabuvorstellungen und Political Correctness eine wichtige Rolle – nicht zuletzt in den Wissenschaften.“

Dr. Hans-Martin Kruckis vom Zentrum für Ästhetik hat die Bewerbung der Universität Bielefeld für „Eine Uni – ein Buch“ geschrieben. Foto Universität Bielefeld

Nikola Roßbachs „Achtung Zensur!“ sei eine ideale Grundlage für eine Diskussion, an der möglichst alle in der Universität teilhaben sollen. „Das Buch erfasst das Phänomen ‚Zensur‘ in seiner ganzen Bandbreite“, erläutert Kruckis, „und es kommt ganz unakademisch daher, ist spannend zu lesen ist und argumentiert zugleich fundiert und differenziert.“

Bis Ende nächsten Jahres will man sich an der Universität Bielefeld in unterschiedlichsten Formaten dem Thema „Zensur“ widmen. Allerdings: Durch die Corona-Krise lassen sich viele der ursprünglich geplanten Veranstaltungen bis auf weiteres nicht realisieren. „Wir versuchen, zunächst einmal möglichst viel ins Digitale zu verschieben“, heißt es dazu aus dem Zentrum für Ästhetik. Dort hofft man auf bessere Rahmenbedingungen im nächsten Jahr. Unbedingt soll es dabei auch einen nicht nur virtuellen Austausch mit Nikola Roßbach über ihr Buch geben.

Nikola Roßbach ist Professorin für Neuere deutsche Literatur in Kassel und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Kontrolle und Normierung literarischen Wissens. Seit 2016 konzentriert sie sich in Forschung und Lehre verstärkt auf das Thema Zensur.

In der vierten Ausschreibungsrunde haben der Stifterverband und die Klaus Tschira Stiftung zehn Ideen und Aktionen ausgezeichnet. Ausschlaggebend für die Förderung der Projekte war nicht das Werk selbst, sondern die Begründung, warum das Werk ausgewählt wurde und der Plan, wie die Kommunikation darüber erfolgen soll. Außergewöhnliche Kommunikationsformate sollen die Auseinandersetzung mit einem Thema über alle Hierarchiegrenzen hinweg fördern, die Kommunikationskultur in den Hochschulen weiterentwickeln sowie die Verbindung zwischen Hochschulen und Gesellschaft stärken. Die Auswahl der Hochschulen hat im März 2020 eine Jury aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Zivilgesellschaft getroffen. Die Projektförderung beginnt mit dem Sommersemester 2020.

Weitere Informationen

Start in ein ungewöhnliches Semester

Am 20. April – zwei Wochen später als ursprünglich geplant – beginnt in Nordrhein-Westfalen das Sommersemester 2020. Angesichts der Corona-Pandemie können Präsenzveranstaltungen nicht im gewohnten Umfang stattfinden. Die Lehrangebote werden soweit wie möglich auf Online- und Distance-Learning-Formate umgestellt. Insgesamt beginnen rund 1.400 Studierende ihr Studium an der Universität Bielefeld (Stand: 20. April 2020). Die zentrale Begrüßung muss ausfallen. Sie wird durch ein Online-Angebot ersetzt. 

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