Professorin Dr. Barbara Caspers von der Universität Bielefeld fordert in einer aktuellen Veröffentlichung zusammen mit ihren Kolleginnen von der Universität Münster einen differenzierteren Blick auf Tierversuche. Die Verhaltensbiologin über die Herausforderungen, vor denen Forscherinnen und Forscher stehen, warum Tierversuche in ihrer Disziplin notwendig sind und wie eine ausgewogenere Beurteilung von Forschung mit und an Tieren aussehen könnte.
In der öffentlichen Debatte werden Tierversuche oft mit medizinischer Forschung und dem menschlichen Nutzen verbunden. Wie werden Ihrer Meinung nach verhaltensbiologische Tierversuche in den Medien repräsentiert? Und sind sie damit zufrieden?
Barbara Caspers: Verhaltensbiologische Studienergebnisse werden gerne und oft in den Medien präsentiert. Es gibt einen deutlich spürbaren Wunsch, etwas über Tiere zu erfahren. Dass es sich dabei auch um Tierversuche handelt, wird selten bis gar nicht zum Thema gemacht. Das führt dazu, dass die gesellschaftliche Diskussion so einseitig geführt wird. Mit dem Begriff Tierversuche wird häufig eine bestimmte Art von Versuchen assoziiert. Wenn ich dann aber davon berichte, dass wir Tierversuche machen und dass Tierversuche wichtig sind, auch für das Wohl der Tiere. Dann kommt oft die Reaktion: „Oh ich wusste nicht, dass das auch Tierversuche sind“.
Wie können wir die Haltungsbedingungen von Nutz-, Haus- und Zootieren verbessern? Wie kommunizieren Tiere miteinander? Wie viel wandert ein Feuersalamander in einem Jahr und wie groß ist dabei sein Bewegungsradius? Wo fressen Seelöwen und gibt es individuelle Unterschiede? All das sind Fragen, die für uns Wissenschaftler*innen interessant sind, aber die auch mit einem evidenzbasierten und damit verbesserten Schutz und Wohlergehen der Tiere einhergehen.
![Foto von Prof’in Dr. Barbara Caspers](https://aktuell.uni-bielefeld.de/wp-content/uploads/2022/02/220218-Uni-Caspers-12_72-1024x684.jpg)
© Universität Bielefeld/S. Jonek
Fühlen Sie sich durch die mediale Diskussion über Tierversuche unter Druck gesetzt, bestimmte Aspekte Ihrer Forschung besonders zu rechtfertigen?
Barbara Caspers: Nein, eigentlich nicht. Wie gesagt, unsere Forschung wird nicht oder nur selten mit Tierversuchen in Verbindung gebracht. Also von der Öffentlichkeit empfinde ich gar keinen Druck für meine eigene Forschung. Allerdings wird die gesellschaftliche und politische Diskussion oft einseitig auf Grundlage von bestimmten Tierversuchen geführt, und das wiederum führt dazu, dass die Genehmigung von Tierversuchen zunehmend langwieriger wird.
Ein Bestreben ist beispielsweise, die Versuchstierzahlen unbedingt zu reduzieren – Stichwort: ‚Reduction‘ – oder sie durch Alternativen zu ersetzen, was unter dem Stichwort ‚Replacement‘ läuft. Das mag ja richtig sein, aber man muss dazu wissen, dass viele der verhaltensbiologischen Tierversuche vor 15 Jahren noch gar nicht als Tierversuch gewertet wurden, das heißt wir müssen heute im Vergleich dazu viel mehr Versuche anmelden, die dann zu einer Erhöhung der Zahl erfasster Tierversuche führen.
Tatsächlich wird ein großer Teil der Versuchstiere in der Tierwohlforschung und der Verhaltensbiologie eingesetzt, mit zumeist niedrigen bis gar keinen Belastungen für das Tier. Auch der Wunsch nach Alternativen ist schwierig. Wenn ich beispielsweise Versuche mache, um die Haltungsbedingungen von Tieren in menschlicher Obhut zu verbessern, dann muss ich das an Tieren durchführen – ich wüsste nicht wie dazu eine Alternative aussehen soll. Wenn ich verstehen möchte, wie sich Tiere in Städten verhalten und ob sie ihr Verhalten ändern, dann gibt es ebenfalls keine Alternativmethode dazu. Diese Forschung ist aber auch wichtig, um das Zusammenleben zwischen Mensch und Tier zu verbessern.
Wie könnte die Forschung in der Verhaltensbiologie dazu beitragen, das Verständnis der Öffentlichkeit für die Notwendigkeit von Tierversuchen zu verbessern, ohne dass dabei der Eindruck entsteht, dass Tiere unnötig oder willkürlich leidvoll behandelt werden?
Barbara Caspers: Auf der einen Seite sind wir Wissenschaftler*innen gefragt, immer wieder deutlich zu machen, dass Tierversuche wichtig sind. Die Debatte sollte nicht aufgrund einer einseitigen Sichtweise geführt werden. Wann immer möglich, bringe ich diesen Punkt auch in öffentlichen Vorträgen oder in Diskussionen mit Studierenden ein.
Hier ist Aufklärung wichtig, und gerade die Verhaltensbiologie, Tierwohlforschung und Verhaltensökologie kann helfen, die Perspektive in der Gesellschaft zu verändern. Wenn wir schauen, wie viele Sendungen und Dokumentationen es über Tierverhalten gibt, dann scheint der Wunsch danach, wie gesagt, durchaus gegeben zu sein.
Auch eine Verbesserung des Tierwohls ist gesellschaftlich durchaus gewollt. Wenn dann immer klar gemacht werden würde „Dieses Wissen stammt aus Tierversuchen“, würde sich vielleicht etwas ändern. Gleichzeitig wünschen wir uns ein differenzierteres Genehmigungsverfahren, in dem Genehmigungen nicht unnötig in die Länge gezogen werden und in deren Prozess auch der Schweregrad eines Tierversuchs mit eingeht.
Originalveröffentlichung:
S. Helene Richter, Barbara A. Caspers, Melanie Dammhahn, Sylvia Kaiser: Animal research revisited – the case of behavioural studies. Trends in Ecology & Evolution (TREE), https://doi.org/10.1016/j.tree.2024.11.014, online veröffentlicht am 6. Dezember 2024.
Barbara Caspers hat den Forschungsartikel zu Tierversuchen gemeinsam mit Forscherinnen der Universität Münster veröffentlicht. Zum Interview mit den Münsteraner Forscherinnen.