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„Wie gelingt es, mit der Unsicherheit der Zukunft umzugehen?“


Text: Julia Baumann

Wie sorgen Menschen durch ihre Gespräche für eine sichere Planung? Das untersuchte Jonas Kramer zusammen mit Dr. Sarah Hitzler und unter der Leitung von Prof. Dr. Ruth Ayaß in dem Forschungsprojekt „Planning-in-Action“. Der Bielefelder Soziologe erforschte anhand aufgezeichneter Gespräche, wie Menschen im Alltag über Pläne für die Zukunft sprechen und diese umsetzen. Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Sie untersuchen, wie Personen in ihrer alltäglichen Kommunikation über die Zukunft sprechen. Was genau heißt „Planning-in-Action“?

Jonas Kramer: „Planning-in-Action“ bedeutet, zu betrachten, wie tatsächlich alltäglich geplant wird, und wie sich solche Pläne im Alltag realisieren. In unserem Forschungsprojekt haben wir anhand von Videoaufnahmen und den dazu angefertigten Transkripten untersucht, wie im Gespräch ein gemeinsames Vorhaben entsteht. Oft beginnen solche Gespräche, wenn eine Person sagt, was sie vorhat – sie möchte zum Beispiel kochen oder Urlaub nehmen –, oder aber sie stellt fest, dass etwas dringend gemacht werden muss: ein Kind muss ab- oder die Ernte eingeholt werden. Anschließend werden die praktischen Schritte des dazugehörigen Plans im Gespräch entworfen und Verantwortungen verteilt. Wir betrachten, wie all diese Schritte in der jeweiligen Situation vollzogen werden. Dazu gehört auch, wie sie wieder aufgegriffen werden, wie sie verfeinert werden oder wie sie verworfen werden – und schlussendlich wie die gemeinsame Idee in die Tat umgesetzt wird.

Wie kommen Sie an die Daten Ihrer Studie?

Jonas Kramer: Meine Kollegin Dr. Sarah Hitzler und ich haben unsere Daten in zwei Forschungsfeldern erhoben: einer solidarischen Landwirtschaft und einer dreiköpfigen Familie. Insgesamt haben wir dabei mehrere hundert Stunden Videomaterial aus dem Alltag dieser Menschen generiert. Der Zugang zu diesen Daten war nicht leicht. Wer möchte schon von Forschenden mit Videokameras bei seiner Arbeit oder zuhause tagelang begleitet werden? In meinem Fall gelang der Zugang nach mehreren gescheiterten Anfragen über einen Bekannten. Nach einem Telefonat und einem ersten Gespräch durfte ich zunächst einmal zwei Wochen lang, montags bis samstags, nachmittags und abends die Familie zu Hause filmen. Das störte den Alltag der Familie schlussendlich so wenig, dass ich sogar ein halbes Jahr später noch einmal für eine Woche bei der Familie sein durfte, um weitere Daten zu erheben.

Portrait von Jonas Kramer
Der Soziologe Jonas Kramer erforscht, wie Menschen im Alltag über ihre Zukunftspläne sprechen und diese umsetzen.

Was leistet Ihre Analyse?

Jonas Kramer: Wir arbeiten die Strukturen von Planungsgesprächen heraus, mit denen wir Gewissheiten über künftige Ereignisse erzeugen. Gerade in den letzten, von so vielen Krisen geplagten Jahren konnte man sich fragen: Was können wir überhaupt noch als sicher annehmen? Dass wir im Alltag angesichts der unüberschaubaren Vielzahl möglicher Ereignisse in der Zukunft nicht vollkommen handlungsunfähig sind, grenzt an ein – soziologisch hoch interessantes – Wunder. Darum beschäftigen uns die Fragen: Wie gelingt es Menschen, mit der Unsicherheit der Zukunft umzugehen? Was nehmen sie als gesichert und was als riskant wahr und wie stellen sie durch ihre Gespräche Planungssicherheit und Gewissheit her? Und wir stellen fest: In ihren Gesprächen gehen sie methodisch mit Unsicherheiten um und stellen dadurch Gewissheit her. Wenn wir beispielsweise einen Urlaub planen, erkennen und benennen wir bestimmte unsichere Faktoren, zum Beispiel wohin es geht oder wer alles mitreisen könnte. Gleichzeitig beantworten wir diese Unsicherheit, indem wir uns auf Urlaubsorte und Mitreisende festlegen. Das gibt Planungssicherheit. Und diese Sicherheit macht uns schließlich handlungsfähig.

Zur Person

Jonas Kramer absolvierte seinen Bachelor und Master in Soziologie an der Universität Bielefeld. Von 2021 bis 2024 forschte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Planning-in-Action. Die kommunikative Verfertigung von Zukunft in projektiven Gattungen“ (Leitung: Prof. Dr. Ruth Ayaß). Derzeit promoviert er zum Thema „Alltägliches Planen. Die Herstellung von Zukunft in projektiven Gattungen“ an der Bielefelder Graduiertenschule in Geschichte und Soziologie (Bielefeld Graduate School in History and Sociology, BGHS) der Universität Bielefeld.