Gerichtete Evolution von Enzymen durch das Mutieren von DNA: Damit beschäftigt sich Juniorprofessor Dr. Stephan Hammer in seiner Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe, die er seit 2020 an der Fakultät für Chemie an der Universität Bielefeld leitet. „Wir wollen Enzyme für neue katalytische Reaktionen entwerfen, entwickeln, verstehen und anwenden“, sagt Hammer, der für seine Forschung von Stuttgart nach Bielefeld gezogen ist. Diese neuen Enzyme können langfristig ins Erbgut von Mikroorganismen eingebracht werden, um sie mit neuen Funktionen auszustatten.
Synthetisch hergestellte Moleküle werden zum Beispiel in der Produktion von Arzneimitteln benötigt. „Die Moleküle müssen höchst präzise synthetisiert werden“, erklärt Hammer. „Das können wir in der Chemie hervorragend. Wir müssen jedoch noch verbessern, wie wir Moleküle effizient und nachhaltig herstellen können. Denn da liegt aktuell ein großes Problem der chemischen Industrie: Sie verbraucht zu viele Ressourcen und generiert zu viel Abfall, insbesondere in der Synthese komplexer Moleküle wie zum Beispiel Arzneimittel.“
Hammer und seine Forschungsgruppe beschäftigen sich mit Enzymen und der gezielten Synthese von Molekülen. Enzyme treiben Stoffumwandlungen selektiv und aktiv voran. Hammers Gruppe entwickelt Methoden, um neue Enzymfunktionen zu entwickeln. Die Gruppe kombiniert Methoden aus der organischen Chemie, der Proteinbiochemie und der gerichteten Evolution. Die Doktorand*innen züchten ihre eigenen Enzyme mit gerichteter Evolution. Das bedeutet, dass im Labor der Prozess der natürlichen Evolution nachgestellt und extrem beschleunigt wird. Mutationen werden gezielt in die für das Enzym kodierende DNA eingebaut. Der Effekt: Die Bakterien produzieren statt des bisherigen ein verändertes Enzym. Hammer: „Anschließend testen wir die Eigenschaften der neuen Enzyme und nützliche Mutationen bilden die Grundlage für die nächste Mutations- und Selektionsrunde.“
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Mikroorganismen mit neuen Eigenschaften ausstatten
Wie sich wichtige Moleküle durch den Einsatz neuer Enzyme in weniger Schritten als bisher herstellen lassen, dazu hat die Forschungsgruppe bereits eine Reihe von Forschungsartikeln veröffentlicht. „Die Enzyme, die wir generieren, gibt es zunächst nirgendwo außer bei uns im Labor. Ein Langzeitziel ist es, diese neuen Enzyme zu nutzen, um Mikroorganismen mit neuer Funktion auszustatten“, so Hammer. Indem die entsprechenden Gene ins Erbgut von Mikroorganismen oder zum Beispiel Zuchtpflanzen eingebracht werden, können diese mit neuen Funktionen versehen werden. Aktuell nutzen Hammer und sein Team die neu entwickelten Enzyme für die effizientere Synthese von Vorstufen für bioaktive Moleküle, wie Krebsmedikamente, Pflanzenschutzwirkstoffe oder auch Vitamine.
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Synthesen komplexer Moleküle verursachen bisher viel Abfall
Um komplexe Moleküle herzustellen, braucht es mit den bisherigen Methoden oft langwierige Synthesen bestehend aus vielen einzelnen Schritten. Hierfür werden zahlreiche Reagenzien verwendet und es entsteht viel Abfall. Hammers Ziel ist es, mit den neuen Enzymfunktionen die gleichen Moleküle in weniger Schritten herzustellen und so Chemikalien zu sparen, Abfall zu reduzieren und die chemische Synthese nachhaltiger zu gestalten. Zu seiner Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe gehören drei Teilprojekte, beispielsweise werden Enzyme entwickelt, die aus einfachem Styrol, einem billigen Grundbaustein zur Herstellung von Polymeren, sogenannte chirale Benzylalkohole generieren. Dafür wird eine im Labor von Hammer entwickelte Enzymfunktion genutzt, um Wasser hoch selektiv mit Styrol zu verbinden. Die generierten chiralen Benzylalkohole sind wertvolle Bausteine für die Synthese von Arzneimitteln und mit diesen neuen Synthesemethoden viel einfacher zugänglich. Im Allgemeinen adressieren die unterschiedlichen Teilprojekte verschiedene Stoffumwandlungsreaktionen, die das Potenzial haben, Synthesen deutlich abzukürzen. In jedem der Projekte wurde bereits eine neue Enzymfunktion durch gerichtete Evolution entwickelt. „Damit können wir nachweisen, dass Enzyme, die wir entwickelt haben, Reaktionen steuern, die lange gesucht wurden. Das sind Reaktionen, die in der Theorie denkbar sind, aber bislang praktisch nicht möglich waren.“
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Chemie ist wie ein Rätsel mit eigener Sprache
Stephan Hammer war schon als Schüler von Chemie fasziniert. Er arbeitete zunächst in der Wirtschaft – Ausbildung zum Chemielaboranten, Weiterbildung zum Chemotechniker – bevor er das Chemiestudium aufnahm. „Die Katalyseforschung ist wie ein Rätsel, hat eine eigene Logik und man kann versuchen, sie zu verstehen und kreativ zu nutzen“, so Hammer. Es werden zuerst Hypothesen aufgestellt und dann geprüft. „Und im besten Fall gelingt es, die Hypothesen zu bestätigen. Das ist wie eine eigene Sprache: Man kann sie im Prinzip lernen und sich dann darin bewegen“, sagt Hammer.
Dem Juniorprofessor gefällt die familiäre Struktur an der Fakultät für Chemie in Bielefeld mit dem wichtigem Forschungsbereich der Biotechnologie, besonders gut. Seine Forschungsgruppe, bestehend aus sieben Doktorand*innen und einer Chemielaborantin, ist international. „Es kommt fast jeder aus einem anderen Land: Die Kolleg*innen stammen aus der Slowakei, Frankreich, Indien, Columbien, Schweiz und aus Deutschland“, so Hammer. „Ich finde es schön, dass Studierende aus unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Disziplinen in unserer Forschungsgruppe zusammen arbeiten.“
Als Ausgleich zu Arbeit verbringt Stephan Hammer am liebsten Zeit mit seiner Familie und seiner dreijährigen Tochter, zum Beispiel beim Wandern. Er experimentiert gerne mit Musik, indem er elektronische und traditionelle Musik neu vermischt und editiert. Außerdem kocht er gerne und sieht darin Parallelen zu seiner Forschung: „Man kann sehr genau daran arbeiten, etwas zu erschaffen“, erklärt er. „Kochen ist wie Moleküle zu synthetisieren: Man kann ein Rezept sehr genau entwickeln und dann präzise ein Gericht oder eine reine Verbindung kreieren .“