Zur Vorbereitung einer digitalen kritischen Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Gotthold Ephraim Lessings stellt das Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen 300.000 Euro zur Verfügung. Bis zum Ende des Jahres 2024 wollen Wissenschaftler*innen aus fünf Institutionen, unter ihnen die Bielefelder Literaturwissenschaftlerin Professorin Dr. Berenike Herrmann, und die Herzog August Bibliothek (HAB) die Voraussetzungen für die digitale Neuedition schaffen.
„Ihr früherer Bibliothekar Gottfried Ephraim Lessing ist prägend für die Geschichte der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Umso erfreulicher ist es, dass die HAB gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern neue und spannende Impulse für die Lessing-Forschung setzt“, so Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs. „Damit verstärkt die HAB ihre Rolle als Impulsgeber für den wissenschaftlichen Dialog und die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Mit dem nun geförderten Projekt wird einer neuen, historisch-kritischen Werksausgabe und der Entwicklung des digitalen Editierens der Weg bereitet.“
© Universität Bielefeld/P. Ottendörfer
Seit rund zwei Jahrzehnten herrscht in der Lessingforschung Konsens darüber, dass eine Neuedition der Werke und Briefe des Aufklärers, Dramatikers und Kritikers Lessing dringend erforderlich ist. Die bestehende Situation im Hinblick auf zuverlässige Leseausgaben für den schulischen und universitären Unterricht ist prekär und auch die Forschung beklagt die aktuell vorliegende Textbasis. Die kritische digitale Gesamtausgabe soll hier Abhilfe leisten. Ein großes Vorhaben, das im Rahmen eines zweijährigen Impulsprojektes durchdacht und geplant wird.
Arbeitspakete für bevorstehende Mammutaufgabe
Die Antragsteller*innen Prof. Dr. Cord Berghahn (TU Braunschweig), Prof. Dr. Kai Bremer (Universität Osnabrück), Prof. Dr. Peter Burschel (Herzog August Bibliothek), Prof. Dr. Elisabeth Décultot (Universität Halle/S.), Prof. Dr. Berenike Herrmann (Universität Bielefeld) und Prof. Dr. Jörg Wesche (Universität Göttingen) formulieren als Ziel des Impulsprojektes das Erproben, Entwickeln und Ausdifferenzieren des editorischen Verfahrens, der Präsentationstechniken und des Erscheinungsbildes der digitalen kritischen Gesamtausgabe. Darüber hinaus wollen die Forscher*innen Arbeitspakete für die bevorstehende Mammutaufgabe definieren. Berenike Herrmann erklärt: „Bislang gibt es so gut wie keine Ansätze, die informatische Struktur einer so hochkarätigen Edition systematisch für Textmining-Anwendungen und bibliothekarische Strukturdaten zu öffnen.“ Die kritische digitale Gesamtausgabe wird als eine der ersten digitalen Editionen weltweit nicht nur zuverlässige Leseausgaben und eine forschungsadäquate Textbasis schaffen, sondern die Edition auch an neue Verfahrensweisen der Digitalen Geisteswissenschaften und des Kulturerbes anbinden.
Editionserfahrung sammeln am Freimaurer-Dialog
Die aktuelle Planung sieht als erstes Arbeitspaket die Erschließung der Schriften aus der Wolfenbütteler Zeit 1770 bis 1781 vor, inklusive des Nachlasses Lessings, der sich auf diese Schriften bezieht. Dafür wird das Impulsprojekt das Textkorpus für die gesamte Wolfenbütteler Zeit sowohl von Drucken als auch Handschriften vorbereiten. Im Zentrum steht die musterhafte Erstellung einer digitalen Edition von Lessings Freimaurer-Dialog „Ernst und Falk“. Dies ist ein Text von 1778, der viele editionsphilologische Herausforderungen birgt und daher eine Möglichkeit bietet, umfangreiche Erfahrungen im Hinblick auf zukünftige Editionsvorgänge zu sammeln. Eine auf „Ernst und Falk“ bezogene Informationsplattform, die zugleich den Aufbau einer umfassenden Forschungsplattform zu Gotthold Ephraim Lessing befördern soll, wird am Ende die Ergebnisse präsentieren und die laufenden Forschungsvorhaben sowie konkrete Initiativen für das Lessingjahr 2029 bündeln.
Projekt orientiert sich an Daten-Standards FAIR und OPEN
Die geplante digitale Lessing-Ausgabe verspricht innovativ für die weitere Entwicklung des digitalen Edierens insgesamt zu werden. Sie wird nicht nur Lessings Schriften digital präsentieren, sondern auch fundamentale Einblicke in deren Druckgeschichte geben. Das Projekt soll sich an den Daten-Standards FAIR und OPEN orientieren und als eine der ersten digitalen Editionen weltweit die informatische Struktur der Datenbank systematisch für Textmining-Anwendungen und die Anbindungen an „cultural heritage“ und bibliothekarische Strukturdaten öffnen. So können historische wie systematische Fragestellungen der Korpusliteraturwissenschaft geplant und getestet werden.
Digitale Lessingedition verspricht gesellschaftlichen Mehrwert
Die Wissenschaftler*innen haben sowohl Forschungs- und Bildungseinrichtungen als auch Kultureinrichtungen im Blick. Die edierten Texte sollen mit CC-Lizenzen und einer API-Schnittstelle auf der Forschungsplattform versehen werden, damit die weitere Nutzung sowohl für wissenschaftliche Anschlussforschung im Bereich der Digital Humanities, für Schulbuchausgaben, für kulturbezogene Data Literacy Projekte, oder auch für künstlerische Interpretationen, zum Beispiel im Theater, möglich ist. Damit verspricht die geplante digitale Lessing-Edition einen gesellschaftlichen Mehrwert, der weit über den vorherrschenden Standard hinausgeht.