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Mathematische Formeln werden auf das Whiteboard geschrieben.

Mehr Genderkompetenz in der Mathematik


Autor*in: Silke Tornede

Die Mathematikerin Nicola Oswald möchte das „männliche Image“ ihres Fachs verändern und setzt sich für mehr Chancengleichheit und Genderkompetenz in der Lehre ein. An der Universität Bielefeld ist sie in diesem Wintersemester Gender-Gastprofessorin in der Mathematik – eine Stelle, die die Fakultät neu eingerichtet hat. Ziel ist es, mehr Studentinnen für eine wissenschaftliche Karriere zu gewinnen und die Arbeit von Mathematikerinnen in der Forschung selbstverständlicher zu machen.

Dass hier noch viel passieren muss, merkt Dr. Nicola Oswald selbst beim Small Talk. Wenn sie ihren Beruf nennt, sei die klassische Reaktion: Mathematikerin, aha – dann sind Sie also Grundschullehrerin? „Vielen Kolleginnen und Studentinnen geht es ähnlich“, erzählt die 37-Jährige. Das sei frustrierend. „Aber die Annahme spornt mich auch an, das Bild zu ändern. Denn es passt nicht zu den Leistungen, die Frauen in dem Fach erbringen.“

Frau mit Laptop sitzt vor Kreidetafel mit mathematischen Zeichnungen.
Dr. Nicola Oswald forscht zu Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit in der Mathematik.

Nicola Oswald ist Studienrätin im Hochschuldienst an der Universität Wuppertal und beschäftigt sich neben ihrem Arbeitsschwerpunkt Zahlentheorie seit mehreren Jahren intensiv mit Gender und Diversity in der Mathematik – ein Bereich, der in Deutschland bislang kaum erforscht ist. Dabei wird im Gespräch schnell klar, dass Geschlechtszuschreibungen an vielen Stellen eine Rolle spielen. Klar, logisch, rational – Männer können gut mit Zahlen; Frauen werden Lehrerin, das sind gängige Stereotype. „In der Gesellschaft hat Mathematik ein überwiegend männliches Image“, fasst Nicola Oswald zusammen. Und auch die Fachkultur an den Hochschulen sei nicht objektiv und chancengleich.

Zahlen belegen eine Schieflage. Liegt der Frauenanteil zu Beginn des Studiums noch bei knapp 50 Prozent, nimmt er bis zur Professur immer weiter ab. „Viele Studienanfängerinnen sind in Lehramtsstudiengängen eingeschrieben und streben nur zu einem geringen Anteil eine Promotion an“, weiß die Gleichstellungsbeauftragte des Fachbereichs, Dr. Stefanie Schumacher. Dass sich das ändert und mehr Studentinnen ermutigt werden, in die Forschung zu gehen, sei Konsens an der Bielefelder Fakultät, betont Dekan Prof. Moritz Kaßmann.

Bild der Person: Prof. Dr. Moritz Kaßmann, Fakultät für Mathematik

„Die Gender-Gastprofessor soll Frauen bestärken, in der Mathematik zu arbeiten, und sie soll weibliche Vorbilder in den Fokus rücken.

Prof. Dr. Moritz Kaßmann

Und sie soll Erkenntnisse für die Hochschuldidaktik bringen, um die Lehre gender- und diversitätsgerechter zu machen. Keine Talente zu verlieren, auch darum geht es, sagt Nicola Oswald. „Frauen, die sich für ein Mathe-Studium entscheiden, bringen in der Regel Spaß, Motivation und Begabung mit.“ Was hält sie am Ende vom akademischen Weg ab? Wie kommt es zu der „leaky pipeline“, wie das Phänomen auch bezeichnet wird? Diesen Fragen auf den Grund zu gehen, ist für die Gastprofessorin ein Herzensanliegen geworden. Mit ihrer Kollegin Lara Gildehaus von der Universität Paderborn untersucht sie konkret den Umgang und die Kultur in der Mathematik. Wie genderkompetent sind Lehrende? Wie verhalten sich Professor*innen? Was für eine Sprache wird verwendet? Wie ist die Atmosphäre in Sprechstunden? Untersuchungen in den USA und Großbritannien geben Hinweise darauf, dass solche weichen Faktoren Einfluss auf Frauen haben und sie sich in einem männlich dominierten Umfeld weniger zugehörig fühlen. „Das gilt auch für andere Randgruppen“, sagt Oswald. Gute Lehre heißt für sie, Vielfalt zu berücksichtigen.

Podiumsdiskussion: Wer ist Mathe?

Unter diesem Titel diskutiert Nicola Oswald am 6. Dezember Gender- und Diversity-Aspekte in der Hochschulmathematik vor Publikum mit ihren Kolleginnen Dr. Andrea Reichenberger (Mathematikgeschichte und -philosophie, Universität Siegen), Lara Gildehaus (Hochschuldidaktik Mathematik, Universität Paderborn) und Dr. Gudrun Thäter (Angewandte Mathematik, Universität Karlsruhe). Die Podiumsdiskussion findet von 12 bis 14 Uhr im Uni-Hauptgebäude im Raum U2-217 statt. Eine Teilnahme ist auch online möglich.

Bei ihrem Aufenthalt in Bielefeld möchte die Gastprofessorin Mitstreiter*innen für diese Aufgabe gewinnen und Interessierte ansprechen – etwa mit der Podiumsdiskussion „Wer ist Mathe?“ am 6. Dezember. „Wir wollen herausfinden, wer noch an dem Thema arbeitet und uns vernetzen.“ Der Bedarf an Forschung und Veränderung sei groß, sagt die Wissenschaftlerin, die über die Mathematikgeschichte zu Gender- und Diversitätsfragen kam. Nach ihrer Promotion 2014 in Würzburg beschäftigte sie sich zunächst mit Frauen in der Mathematik und stellte fest: „In den 1900-er und 1910-er Jahren war das eines der drei beliebtesten Fächer bei jungen Frauen.“ Und auch heute sei Mathe – im Gegensatz zum Klischee – angesagt bei vielen Schülerinnen.

Doch wie wird ein Mädchen, das Mathe mag, etwa in Comics dargestellt? Im Zweifelsfall als Nerd mit Nickelbrille. In Seminaren und Vorlesungen regt Nicola Oswald Studierende an, über solche Bilder und eigene Vorstellungen nachzudenken, möchte sensibilisieren und praktische Empfehlungen geben. Aktuell entwickelt sie mit Lara Gildehaus ein Gender-Kompetenz-Modell für Lehrende in der Mathematik – auch das ein Baustein, um die Chancengleichheit in dem Fach zu erhöhen und das Bild der Mathematik auf Dauer zu verändern.

Eigene Gender-Gastprofessur in der Mathematik

Die Fakultät für Mathematik vergibt die neu geschaffene Gender-Gastprofessur an promovierte und arrivierte Mathematikerinnen für ein bis zwei Semester. Nach mehreren Durchgängen soll das Konzept evaluiert werden. Ein Ziel ist, die Gleichstellungssituation im Fachbereich Mathematik zu verbessern und mehr Frauen für die wissenschaftliche Arbeit zu gewinnen. Vorbild für das Konzept in der Mathematik war die fächerübergreifende Gender-Gastprofessur der Universität Bielefeld, die Fakultäten seit 2012 reihum vergeben.