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„Russland hat seine wirtschaftliche Zukunft verspielt“


Autor*in: Ludmilla Ostermann

Sanktionen sind mit der Hoffnung verknüpft, Kriege zu verhindern. Der wirtschaftliche Schaden soll Staaten zum Einlenken bewegen. So auch Russland, gegen das als Reaktion auf den Angriff auf die Ukraine massive Wirtschaftsstrafen verhängt wurden. Professor Dr. Julian Hinz ist Ökonom und Juniorprofessor am Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Bielefeld und forscht zu den Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland. Im Interview erklärt er, wie die Wirtschaftsstrafen den russischen Staat treffen und wie tiefgreifend sich globale Wertschöpfungsketten aufgrund der Sanktionen auf Dauer ändern werden.

Die Sanktionen gegen Russland sind umfangreich. Politisch bewegt sich jedoch nicht viel. Wie wirksam sind die Strafen?

Wirtschaftlich haben die Sanktionen gehörige Auswirkungen, die wirtschaftliche Aktivität ist massiv eingebrochen. Die russische Zentralbank erwartet einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um etwa 10 Prozent, und das wäre der größte Rückgang seit den 1990ern. Hinzu kommt die Inflation. Die Verbraucher*innenpreise gehen gerade durch die Decke. Verwundern tut dies nicht: Die russische Wirtschaft importiert normalerweise sehr viel. Das ist nun schwierig oder bleibt ganz aus. Die wirtschaftliche Effektivität der Sanktionen ist also durchaus gegeben. Was die politischen Auswirkungen angeht, so müssen wir uns die Frage stellen: Was wäre, wenn es die Sanktionen nicht gegeben hätte? Die massiven wirtschaftlichen Folgen haben zumindest eine stark abschreckende Wirkung auf weitere Eskalation.

Foto der Person: Juniorprofessor Dr. Julian Hinz
Juniorprofessor Dr. Julian Hinz forscht zu Sanktionen und hat unter anderem die Sanktionen gegen Russland nach Annexion der Krim 2014 unter die Lupe genommen.

Wie vielversprechend ist das vereinbarte Öl-Embargo, wenn es darum geht, Druck auf die russische Regierung aufzubauen?

Die russische Wirtschaft basiert auf Öl- und Erdgas-Exporten. Darüber finanziert sich der Staat und damit auch die militärische Aggression. Ein Gas-Embargo wäre für uns in Europa schwierig auszugleichen, weil das Gas ausschließlich durch Pipelines aus dem Osten geliefert wird. Beim Öl ist das anders: Wir erhalten einen Großteil des Öls ohnehin bereits per Tanker und nicht nur über Leitungen. Öl ist zudem der wichtigere Rohstoff für den russischen Staatshaushalt. Bis zu drei Viertel der Einnahmen aus russischem Geschäft mit Gas und Öl stammen aus dem Öl-Handel. Dort gilt es also anzusetzen: Ein Öl-Embargo tut der russischen Wirtschaft sehr weh, uns im Westen hingegen weniger.

Sanktionen treffen auch die Staaten, die sie beschließen. Mit welchen Auswirkungen müssen wir noch rechnen?

Sicherlich sind die Verteuerungen bei Öl, Gas oder Getreide auch durch den Krieg in der Ukraine und die entstandene Unsicherheit getrieben. Solange der Krieg andauert, bleibt es bei diesen Preissteigerungen. Sollte ein Gas-Embargo kommen, sehe ich auch in Europa wirtschaftliche Folgen: Industrien, die Gas als Vorlieferprodukt benötigen, müssten es woanders her beziehen und deutlich höhere Preise zahlen. Es gibt allerdings seriöse Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die gesamtwirtschaftlichen Effekte gering bleiben. Deutschland würde in eine Rezession geraten – aber von einem Weltuntergangsszenario sind wir weit entfernt.

Foto der Person: Juniorprofessor Dr. Julian Hinz

Die wirtschaftlichen Aktivitäten werden nicht ansatzweise vergleichbar sein mit denen vor dem 24. Februar. Russland hat seine wirtschaftliche Zukunft verspielt – strategisch wirklich unglaublich!

Juniorprof. Dr. Julian Hinz

Lassen sich die Sanktionen so schnell beenden, wie sie verhängt wurden? Welche wirtschaftlichen Effekte erwarten Sie im konkreten Fall?

Die Sanktionen treffen Firmen. Jene, die jetzt nicht mehr nach Russland exportieren oder aus Russland heraus importieren, suchen sich neue Zulieferer. Ein Großteil dieser Firmen wird nach Kriegsende nicht mehr zum russischen Markt zurückkehren. Die Wertschöpfungsketten ändern sich also. Der russische Markt war für westliche Firmen interessant, weil er schnell wuchs. Wenn die Sanktionen aufgehoben werden, bleibt der russische Markt auf lange Sicht unattraktiv. Die Regierung hat gezeigt, dass in Russland kein sicheres Investitionsklima herrscht. Russische Firmen beziehen derweil deutlich mehr chinesische Technologieprodukte. Auch da entstehen neue und dauerhafte Verbindungen. Die wirtschaftlichen Aktivitäten werden nicht ansatzweise vergleichbar sein mit denen vor dem 24. Februar. Russland hat seine wirtschaftliche Zukunft verspielt – strategisch wirklich unglaublich!

Welchen Beitrag können Sie als Wirtschaftswissenschaftler mit Blick auf den Einsatz von Sanktionen im Ukraine-Krieg leisten?

Repräsentant*innen aus der Industrie sprechen für Einzelinteressen. Sie müssen gehört werden. Wir Forscher*innen werfen aber einen gesamtwirtschaftlichen Blick auf die Effekte der Sanktionen gegen Russland, auch die für Verbraucher*innen. Sanktionen sind ein wirtschaftliches Instrument, das genutzt wird, um politische Ziele zu verfolgen. Der Austausch mit Politikwissenschaftler*innen und Jurist*innen ist deshalb wertvoll. Die drei Bereiche haben ihre eigene Perspektive aber gleichwertige Berechtigung, wenn es darum geht, abzuschätzen, ob Sanktionen sinnvoll und gut ausgestaltet sind, und was die politischen und wirtschaftlichen Folgen sind.

Zur Person

Julian Hinz ist Juniorprofessor am Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Bielefeld und beschäftigt sich mit politikrelevanten Forschungsfragen. In der Studie „Friendly Fire: The Trade Impact of the Russia Sanctions and Counter-Sanctions“ hat Hinz zusammen mit Matthieu Crozet (Universität Paris-Saclay) bereits die Sanktionen gegen Russland nach Annexion der Krim 2014 unter die Lupe genommen.

Zur Serie

Wissenschaftler*innen der Universität erläutern in dieser Serie ihre Einschätzungen zum Ukraine-Krieg aus ihrer Fachdisziplin heraus. Zuvor erschienene Interviews: