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Antarktische Seebären: Große Herde erhöht Überlebenschance


Autor*in: Linda Thomßen

Wenn die Population zu klein ist, sterben mehr Jungtiere der Antarktischen Seebären. Das haben Biolog*innen der Universität Bielefeld in einem Teilprojekt des Transregio-Sonderforschungsbereichs NC³ nachgewiesen. Ihr Artikel erscheint heute (24.03.2020) in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“.

„Im Sonderforschungsbereich NC³ erforschen wir, wie unterschiedliche Tierarten ihren Lebensraum wählen, sich an die Umgebung anpassen und sie beeinflussen – in unserem Teilprojekt sind das die Antarktischen Seebären “ sagt Professor Dr. Joseph Hoffman, Verhaltensforscher der Universität Bielefeld. „Für die Analysen arbeiten wir mit Daten, die wir auf der Insel Bird Island im Südatlantik erhoben haben.“ In der neuen Studie stellen sie ein bedeutsames Ergebnis zur Entwicklung der Population vor: „Die Population der Antarktischen Seebären ist über die vergangenen 30 Jahre deutlich kleiner geworden. Ebenso können wir belegen, dass in einer kleinen Herde mehr Jungtiere sterben als in einer größeren.“

Wie reagieren Antarktische Seebären auf die Folgen des Klimawandels? Das ist eine der Fragen, die die Bielefelder Biolog*innen untersuchen. Foto: Rebecca Nagel

Raubtiere und Nahrungsknappheit gefährden Leben der Jungtiere

Damit weisen die Forschenden den sogenannten Allee-Effekt auf Bird Island nach. Danach hat eine höhere Populationsdichte einen positiven Einfluss auf das Überleben des Individuums der entsprechenden Art. Dem gegenüber stehen Studien aus den 1980er-Jahren, die besagen, dass in einer größeren Gruppe mehr Jungtiere sterben. „Bei einer höheren Populationsdichte können Jungtiere häufiger zerquetscht werden oder sie erkennen nach der Geburt ihre Mutter nicht wieder und verhungern“, sagt Nagel. „Unsere Studie hat gezeigt, dass die Populationsdichte aber auch nicht zu niedrig sein darf, denn dann ist die Sterberate höher. Das liegt unter anderem daran, dass Raubtiere die Jungen leichter fangen können.“

Seit den 1980er-Jahren ist die gesamte Populationsrate der Antarktischen Seebären um 30 Prozent gesunken: „Die Weibchen finden weniger Nahrung, wenn sie ihre Jungtiere züchten“, sagt Nagel. „Sie verbringen zunächst um die zehn Tage nach der Geburt mit ihren Jungen auf der Insel, um dann ins Wasser zu gehen und Krill zu jagen. Je länger sie dafür brauchen, desto eher verhungern die Jungen am Strand oder werden von den Riesensturmvögeln geschnappt.“

Prof. Dr. Joseph Hoffman und Dr. Rebecca Nagel forschen im Projekt zum individuellen Verhalten der Antarktischen Seebären. Foto li.: Universität Bielefeld, Foto re.: Karla Fritze

Anpassungsstrategien der Jungtiere werden analysiert

Rebecca Nagel und ihre Kolleg*innen aus Großbritannien und Frankreich waren im Abstand von einem Jahr für ihre Untersuchungen in der Antarktis: Während der ersten Expedition von November 2018 bis März 2019 war insgesamt weniger Nahrung für die Seebären vorhanden; die Mütter waren im Schnitt sieben Tage für die Futtersuche unterwegs. Zur Zeit der zweiten Expedition von Dezem-ber 2019 bis April 2020 gab es durchschnittlich gesehen eine große Menge Krill in der Nähe der Insel, die Mütter mussten für vier Tage auf Jagd gehen. „Je länger die Jungen allein gelassen werden, desto schwieriger ist es für sie, zu überleben“, sagt Nagel. „Eine Überlebensstrategie für die Jungtiere könnte sein, dass sie sich mehr bewegen, um weniger angegriffen zu werden.“ Um zu erfahren, wie stark die Situation die Jungtiere belastet, werten die Forschenden derzeit Blutproben der Tiere auf vermehrte Stresshormone aus.

In den Ergebnissen zu der Populationsdichte sehen die Forschenden einen direkten Bezug zum Klimawandel. „Je weniger Krill es gibt, desto weniger Seebären können überleben. Den Riesensturm-vögeln geht es aktuell gut, aber wenn immer weniger Seebären überleben, wird es auch bei den Sturmvögeln einen Rückgang in der Population geben“, so Nagel. „Um Bird Island zu erreichen, ist eine dreitägige Schifffahrt von den Falkland-Inseln aus nötig. Hier treffen wir auf die Wildnis mit Pinguinen, Walen und Seebären und dennoch haben wir Menschen auch hier einen so großen Einfluss auf die Natur.“

Das Jungtier des Antarktischen Seebären bleibt zehn Tage nach seiner Geburt auf der Insel zurück, während die Mutter auf Nahrungssuche geht. Foto: Camille Toscani

Der Transregio SFB NC³

Warum wählen Tiere ganz individuell ihren eigenen, unverwechselbaren Platz im Ökosystem, ihre ökologische Nische? Wie passen sie sich an sie an? Wann formen sie ihre Nische selbst? Und wie können wir diese Prozesse verstehen? Das sind die zentralen Fragen des Transregio-Sonderforschungsbereichs (SFB/TRR) 212 mit dem Kurznamen „NC³“. Darin verknüpfen 40 Forschende der Universitäten Bielefeld, Münster und Jena Verhaltensbiologie und Evolutionsforschung mit theoretischer Biologie und Philosophie. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert NC³ seit Januar 2018 für zunächst vier Jahre mit rund 8,5 Millionen Euro. Sprecher ist Verhaltensforscher Professor Dr. Oliver Krüger von der Universität Bielefeld.