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„Rehabilitation muss sensibler für Diversität werden“


Autor*in: Linda Thomßen

Menschen mit Migrationshintergrund nehmen Rehabilitation seltener in Anspruch als Menschen ohne Migrationshintergrund, obwohl sie einen teilweise höheren Bedarf haben. Gesundheitswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Universität Bielefeld, der Universität Witten/Herdecke und der Universität zu Lübeck sind den Gründen hierfür nachgegangen. Tugba Aksakal von der Universität Bielefeld hat als Nachwuchswissenschaftlerin mitgeforscht. Drei Fragen an Tugba Aksakal:

Frau Aksakal, wie sind Sie und Ihre Forschungsgruppe in dem Projekt vorgegangen?

Aus vorangegangener Forschung wussten wir, dass Menschen mit Migrationshintergrund häufiger von einigen chronischen Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2 oder psychischen und physischen Belastungen betroffen sind. Dennoch nehmen sie seltener Rehabilitation in Anspruch als Menschen ohne Migrationshintergrund. Wenn sie an einer Rehabilitationsmaßnahme teilnehmen, ist diese oft weniger erfolgreich und die Patientinnen und Patienten sind häufig unzufrieden. In unserem Projekt haben wir die Gründe dafür erforscht. Befragt haben wir elf Hausärztinnen und -ärzte, 18 Patientinnen und Patienten in unterschiedlichen Phasen ihrer Rehabilitation sowie 50 Mitarbeitende aus Rehabilitationseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Außerdem haben wir orthopädische Rehabilitationseinrichtungen einen postalischen Fragebogen ausfüllen lassen und ihre Internetseiten bewertet.

Welche Gründe wurden für den geringeren Erfolg von Rehabilitation bei Menschen mit Migrationshintergrund genannt?

Zum einen gibt es Zugangsbarrieren vor der Rehabilitation. Menschen mit Migrationshintergrund erhalten nicht immer die notwendige Unterstützung bei der teils komplizierten Antragstellung. Zum anderen haben diese Patientinnen und Patienten oft unrealistische Erwartungen an eine Rehabilitation. Sie erwarten zum Beispiel, dass eine chronische Krankheit geheilt werden könne. Unter anderem wissen die Patientinnen und Patienten nicht, was während einer Rehabilitation überhaupt auf sie zukommt.

Rehabilitationseinrichtungen selbst gehen außerdem oft nicht ausreichend auf die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund ein. Die Rehabilitation muss sensibler für Diversität werden. Zum Beispiel sollten Schulungsprogramme durchgeführt werden, die die Bedürfnisse unterschiedlicher Patientinnen und Patienten abdecken. Auch sollten Informationen in unterschiedlichen Sprachen – oder noch besser in Form von sprachunabhängigem Material – angeboten werden. Alles in allem wird vieles nicht richtig kommuniziert und die Patientinnen und Patienten fühlen sich unwohl. Das liegt natürlich auch an zeitlichen und finanziellen Einschränkungen in den Rehabilitationseinrichtungen. Seitens des Gesundheitssystems müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Sie erhalten gemeinsam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen für das Projekt den Forschungspreis der NRW-Gesellschaft für Rehabilitationsforschung. Was bedeutet der Preis für Sie persönlich?

Ich habe selbst einen Migrationshintergrund. Meine Eltern sind aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Auch mein Vater hat nach einem Unfall die Erfahrung gemacht, dass ihm keine Rehabilitation empfohlen wurde, obwohl er ein halbes Jahr krankgeschrieben war. Wofür gibt es denn solche Angebote, habe ich mich gefragt. Ich war aus diesem Grund immer auch persönlich an dem Projekt interessiert und freue mich nun besonders über die Auszeichnung. Ich finde es toll, dass das Thema auf diese Weise Aufmerksamkeit bekommt. Außerdem hoffe ich, dass Nachfolgeprojekte entstehen, in denen Handlungsempfehlungen ausgearbeitet oder die Versorgungserwartungen genauer analysiert werden.

Die Preisträgerinnen und Preisträger des Forschungspreises der NRW-Gesellschaft für Rehabilitationsforschung: Prof. Dr. Patrick Brzoska (Universität Witten/Herdecke), Tugba Aksakal, Prof.’in Dr. Ruth Deck (Universität zu Lübeck) und Prof. Dr. Oliver Razum (Universität Bielefeld) (v.l.). Es fehlen: Dr. Jana Langbrandtner (Universität zu Lübeck) und Dr. Yüce Yilmaz-Aslan (Universität Bielefeld)

Finanziert wurde das Projekt von der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie dem Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein (vffr). Die Forschungsgruppe besteht neben Tugba Aksakal aus Professor Dr. Oliver Razum und Dr. Yüce Yilmaz-Aslan von der Universität Bielefeld, Professor Dr. Ruth Deck und Dr. Jana Langbrandtner von der Universität zu Lübeck sowie Professor Dr. Patrick Brzoska von der Universität Witten/Herdecke (vormals an der TU Chemnitz). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben am 17. April den diesjährigen Forschungspreis der Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften NRW (GfR) auf dem 28. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium in Berlin erhalten. Der Preis ist mit 7.500 Euro dotiert.