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ERC Consolidator Grant: 4 Millionen Euro für Soziolog*innen


Autor*in: Jörg Heeren

Zwei Forschende der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld, Professorin Dr. Minh Nguyen und Professor Dr. Carsten Sauer, erhalten die hochdotierten Consolidator Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC). Ihre Projekte werden insgesamt mit rund 4,4 Millionen Euro gefördert. Nguyen wendet sich in ihrem neuen ERC-Projekt der Finanzialisierung, also der zunehmenden Bedeutung von Finanzmärkten, in Asiens Arbeitswelt zu. Sauer befasst sich in seinem Projekt mit geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden in Europa. Der ERC gab heute (03.12.2024) bekannt, wer die neuen ERC Consolidator Grants erhält.

„Die Vergabe der ERC Consolidator Grants an Minh Nguyen und Carsten Sauer unterstreicht die hohe Qualität ihrer Forschungsarbeiten. Ich freue mich sehr mit den beiden über diesen Erfolg“, sagt Professorin Dr. Angelika Epple, Rektorin der Universität Bielefeld. „Ihre Projekte verbinden ausgefeilte Methoden mit gesellschaftlich hochrelevanten Fragestellungen – ein bedeutender Beitrag für unsere Forschungsuniversität.“

Professorin Dr. Minh Nguyen, in grünem Hemd und schwarzer Jacke, steht neben einer Säule mit Plakaten.

Finanzmärkte und ihre Effekte auf Arbeiter*innen in Asien

Professorin Dr. Minh Nguyen beschäftigt sich in ihrem Projekt „FinancialLives“ damit, dass der Alltag von Arbeiter*innen in Ländern wie China, Vietnam und Laos zunehmend der Logik von Finanzmärkten unterworfen ist. Diese Länder kombinieren sozialistische Politik mit marktwirtschaftlichen Prinzipien. Berufstätige müssen zunehmend finanzielle Strategien in ihren Alltag integrieren, um wirtschaftlich abgesichert zu sein. „In dem neuen Projekt versuchen wir, zu verstehen, wie finanzielles Risiko in diesen Gesellschaften zur Normalität geworden ist und was das für die Arbeit, für die arbeitenden Menschen und für das soziale und politische Leben im Allgemeinen bedeutet“, sagt Minh Nguyen. Für ihre Analyse setzt sie auf eine langfristige ethnografische Forschung mit Beobachtungen und Gesprächen vor Ort. Das Projekt baut auf ihrem ERC-Starting-Grant-Projekt „WelfareStruggles“ auf, das in diesem Jahr abgeschlossen wird. Die Untersuchungen in dem Projekt zeigen, dass Erwerbstätige in China und Vietnam aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse finanzielle Lösungen nutzen, weil die Sozialsysteme sie kaum vor Marktrisiken schützen.

Professor Dr. Carsten Sauer, gekleidet in einem Anzug, steht neben einer Betonsäule, im Hintergrund grüne Schließfachschränke.

Lohnungleichheit in Europa

Professor Dr. Carsten Sauer befasst sich in seinem Projekt „FAIRGAP“ mit den Mechanismen hinter dem Gender Pay Gap – der geschlechtsspezifischen Lohnlücke – in Europa. Er geht der Frage nach, warum Frauen oft weniger als Männer verdienen, trotz Bemühungen, diese Ungleichheit zu beseitigen. Sauer und sein Team fokussieren auf die subjektiven Wahrnehmungen gerechter Löhne. Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen empfinden es aufgrund von Geschlechternormen oft als gerecht, dass Männer mehr verdienen. Mit experimentellen Umfragen und anderen neuartigen Methoden untersuchen Sauer und sein Team, wie unbewusste Denkmuster und Normen die Ergebnisse von Lohnverhandlungen beeinflussen. Sauer analysiert diese Mechanismen in mehreren europäischen Ländern. „Wir wollen herauszufinden, wie individuelle, organisatorische und gesellschaftliche Faktoren zusammenwirken und dadurch Geschlechterungleichheiten bei Gerechtigkeitsvorstellungen und Löhnen entstehen und über die Zeit stabil bleiben“, berichtet Carsten Sauer. Mit umfangreichen Daten soll das Projekt wissenschaftlich fundierte Ansätze für gerechtere Verhandlungsprozesse und Arbeitsmarktpraktiken aufzeigen.

Spezialistin für sozialen Wandel

Professorin Dr. Minh Nguyen studierte Englisch und Soziologie an der Vietnam National University in Hanoi. Ihren Master in Sozialplanung erhielt sie an der University of Queensland in Australien. Sie promovierte an der University of East Anglia in Großbritannien. Vor ihrer Berufung nach Bielefeld arbeitete sie fünf Jahre als Research Fellow am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle/Saale, wo sie Studien zu sozialen Transformationen in Ost- und Südostasien vertiefte. Seit 2018 ist sie Professorin für Sozialanthropologie in Bielefeld mit Forschungsschwerpunkten in Pflege, Migration, Mobilität sowie Geschlechter- und Klassengesellschaft in Ost- und Südostasien.

Fachmann für soziale Ungleichheiten

Professor Dr. Carsten Sauer hat an der Universität Konstanz Soziologie, Philosophie und Volkswirtschaftslehre studiert. Er promovierte an der Universität Bielefeld. Er war Fellow der Radboud Excellence Initiative an der Radboud Universität in Nijmegen (Niederlande) und als Professor für Soziologie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. 2021 wurde er als Professor für Sozialstrukturanalyse sozialer Ungleichheiten nach Bielefeld berufen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Arbeits- und Organisationsforschung, empirische Ungleichheits- und Gerechtigkeitsforschung sowie Methodenforschung.

Erhebliche finanzielle Unterstützung

Die ERC Consolidator Grants (CoG) ermöglichen den beiden Forschenden, ihre ambitionierten Projekte über fünf Jahre hinweg umzusetzen. Professorin Dr. Nguyen erhält für ihre neue Forschung etwa 2,42 Millionen Euro, während das Projekt von Professor Dr. Sauer mit rund 2 Millionen Euro gefördert wird. Die CoG richten sich an herausragende Wissenschaftler*innen, deren eigene Arbeitsgruppe sich in der Konsolidierungsphase befindet. In dieser Förderrunde gehört die Universität Bielefeld zu den sieben Forschungsstandorten in Nordrhein-Westfalen, deren Wissenschaftler*innen neue CoG eingeworben haben. An der Universität Bielefeld wurden in den Vorjahren bereits sieben Forschende und ihre Projekte durch den ERC Consolidator Grant gefördert. Der Europäische Forschungsrat (ERC), 2007 von der EU gegründet, ist die führende europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung und unterstützt Wissenschaftler*innen aller Nationalitäten und Altersgruppen in Europa.