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Wie rational ist unser Sozialverhalten?


Text: Universität Bielefeld

Das Sozialverhalten des Menschen ist kompliziert. Unter den zahlreichen Theorien, die versuchen, sich einem Reim darauf zu machen, ragt seit vielen Jahren die Spieltheorie hervor. Mit dieser versuchen Forschende, Entscheidungen von Menschen als rational zu erfassen: Handeln Menschen ihren Interessen zuwider, verlangt das nach einer Erklärung. Um diese Kernannahme herum ist eine Vielzahl verschiedener Theorien entstanden. In dem Workshop „Game Theory and Beyond“, der vom 3. bis zum 5. April am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) stattfindet, wollen Forschende aus Philosophie, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie diese Vielfalt sichten und eigene Vorschläge zur Erklärung sozialen Verhaltens diskutieren. Im Interview gibt Professor Dr. Wolfgang Spohn von der Universität Konstanz, einer der Workshop-Leiter, Einblick in die Besonderheiten der Spieltheorie und seinen eigenen Forschungsansatz.

Viele Theorien versuchen das Sozialverhalten der Menschen zu erklären. Was macht die Spieltheorie besonders?

Wir versuchen, uns als vernünftige Lebewesen mit einer normativen Ich-Perspektive zu verstehen, das heißt als Lebewesen, die sich fragen können: „Was soll ich tun?“, und darauf eine rationale Antwort finden. Das gelingt uns allenfalls annähernd. Auch lassen wir uns nicht darauf reduzieren. Aber der Handlungsbegriff setzt diese Perspektive voraus, und als handelnde Wesen sind wir wesentlich durch diese Perspektive bestimmt. Also müssen wir versuchen, diese Perspektive theoretisch zu erfassen. Dazu hat die Entscheidungstheorie die allgemeinste und detaillierteste Theorie anzubieten. Doch auch soziale Interaktionen – wir sind fast immer in sie verwickelt – sind rational strukturiert. Das wird wiederum am allgemeinsten und detailliertesten durch die Spieltheorie erfasst. In der Tat kann man die Spieltheorie als die Grundlagentheorie der ökonomischen Wissenschaften betrachten.

Sie schlagen einen neuen Ansatz vor, um soziale Interaktion zu erklären. Was zeichnet diesen aus?

Die grundlegende Idee der Spieltheorie ist, soziale Interaktionen als eine Art Verhaltensgleichgewicht zu verstehen, in dem sich keiner der Beteiligten durch Abweichung vom Gleichgewicht verbessern kann. Das erklärt einerseits das Gleichgewichtsverhalten aller Beteiligten als rational und andererseits die Stabilität dieses Verhaltensmusters. Der dominante Gleichgewichtsbegriff ist der des Nash-Gleichgewichts. Aber es gibt mittlerweile viele, auch komplizierte, Varianten und Alternativen. Ein sehr großes Problem besteht darin, auf der Grundlage von Nash-Gleichgewichten kooperatives Verhalten rational zu erklären. Doch ist Kooperation gewiss nicht irrational. In meinem Reinhart-Koselleck-Projekt „Reflexive Decision and Game Theory“ arbeite ich einen wieder anderen Gleichgewichtsbegriff aus, den des ‚dependency equilibrium‘, der insbesondere menschliche Kooperation einfach und direkt zu erklären vermag.

Kann die Philosophie helfen, den sozialen Zusammenhalt zu verbessern?

Alle sollten am sozialen Zusammenhalt arbeiten. Diese Arbeit ist vor allem praktische Arbeit in den Gruppen und Institutionen, sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Philosoph*innen liefern dazu theoretische Vorstellungen. In der Moralphilosophie und spezifischer in den vielen angewandten Ethiken werden Leitlinien für unsere Normen und Werte diskutiert und erarbeitet – vielleicht intensiver als anderswo. Aber auch sie müssen sich dem öffentlichen Diskurs stellen. Diese dann in der Praxis umzusetzen, wenn sie gut sind und akzeptiert werden, vermögen die Philosoph*innen alleine aber nicht zu leisten. Meine eigene Arbeit ist freilich noch mehr auf der theoretischen Seite. Ich versuche zu verstehen, wie Normen und Werte ‚funktionieren‘ – welche immer es sind, die man akzeptieren sollte.

Portrait Wolfgang Spohn
Die Philosophen Professor Dr. Wolfgang Spohn (Bild) und Dr. Mantas Radzvilas, beide von der Universität Konstanz, leiten den Workshop.

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