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Abstraktes gemales Bild

Gendersensible Sprache aus sprachwissenschaftlicher Sicht


Autor*in: Jana Haver

Sprache wandelt sich stetig. Gendersensible Sprache hält immer mehr Einzug in den Sprachgebrauch. Gleichzeitig polarisiert das Thema „Gendern“ – in der Gesellschaft sowie in der Linguistik selbst. Welchen Beitrag kann die Sprachwissenschaft zur Debatte liefern und wo liegen ihre Grenzen? Auch hier gibt es ganz unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Einordnung gendersensibler Sprache. Das Trennen von wissenschaftlicher Einschätzung und persönlicher Meinung fällt häufig schwer. Fünf Bielefelder Professor*innen aus der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft blicken mit ihrem jeweiligen Forschungsschwerpunkt auf das Thema und sehen Vorteile bei der Verwendung von gendersensibler Sprache. Die Aufgabe der Sprachwissenschaft besteht für sie darin, sprachstrukturelle, empirische Argumente zu sammeln, ohne Vorschriften zu machen.

Gruppenbild: Joana Cholin, Petra Wagner, Sina Zarrieß, Hendrik Buschmeier und Jutta Hartmann (v.l.)
Die Linguist*innen Prof’in Dr. Joana Cholin, Prof’in Dr. Petra Wagner, Prof’in Dr. Sina Zarrieß, Prof. Dr.-Ing. Hendrik Buschmeier und Prof’in Dr. Jutta Hartmann (v.l.) blicken aus unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen Perspektiven auf gendersensible Sprache.

Was ist gendersensible Sprache?

Gendersensible Sprache ist eine Sprache, die alle Geschlechter anspricht. In der geschriebenen und gesprochenen Sprache wird häufig das generische Maskulinum verwendet, zum Beispiel: „Die Studenten feiern ihren Abschluss“. Hierbei bleibt unklar, ob nur männliche Studierende gefeiert haben oder die anderen Geschlechter „mitgemeint“ waren. Gendersensibel könnte man es zum Beispiel so formulieren: „Die Studierenden feierten ihren Abschluss“ oder „Die Student*innen feierten ihren Abschluss“.

Professorin Dr. Joana Cholin ordnet das Gendern aus psycholinguistischer Sicht ein und zeigt Grenzen auf.

„Die Psycholinguistik beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, inwieweit die spezifischen sprachlichen Kategorien und Formen einer Sprache unsere Wahrnehmung und unseren Erwartungsraum beeinflussen. Schreiben wir zum Beispiel Objekten mit maskulinem Genus per se eher prototypisch männliche Eigenschaften zu als Objekten mit femininem Genus? Wie stark sind Genderstereotype mit Wörtern verbunden und werden automatisch mitaktiviert? Experimentelle Methoden können solche (unbewussten) Zuschreibungen sichtbar machen und testen, inwieweit die Verwendung des generischen Maskulinums mit einem „male bias“ – also einem Verzerrungseffekt zur männerzentrierten Interpretation – einhergeht. Die Psycholinguistik kann solche Tendenzen aufdecken und kritische Annahmen mit entsprechenden Werkzeugen gezielt und systematisch empirisch untersuchen. Die Entscheidung, ob und wie wir als Gesellschaft zu sprachlicher Inklusion gelangen wollen, die eine Adressierung aller Menschen ermöglicht, kann sie uns nicht abnehmen.“

Bild der Person: Joana Cholin
Prof‘in Dr. Joana Cholin ist Professorin für Psycholinguistik an der Universität Bielefeld.

Professorin Dr. Jutta Hartmann sieht aus der theoretischen Sprachwissenschaft heraus Nachteile in der Verwendung des generischen Maskulinums.

„Aus grammatischer Perspektive ist ein zentraler Aspekt der Diskussion das sogenannte generische Maskulinum, also die Verwendung einer grammatisch männlichen Form zur geschlechtsneutralen Bezeichnung. Das Problem ist, dass Ausdrücke, die eine männliche und eine weibliche Form haben können, wie beispielsweise „Dozenten/Dozentinnen“ in der grammatisch männlichen Form „Dozenten“ systematisch mehrdeutig sind und entweder nur Männer oder – als generisches Maskulinum – Menschen verschiedener Geschlechter bezeichnen können. Für Frauen in der Schweiz bedeutete die Formulierung „Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich“ in der Schweizer Verfassung über Jahrzehnte, dass sie nicht gleichberechtigt waren, weil die nur aus Männern bestehende Richterschaft die ausschließlich männliche Lesart übernahm. Dies zeigt beispielhaft, warum es insbesondere für benachteiligte und/oder marginalisierte Gruppen wichtig ist, ausdrücklich mitgenannt zu sein. Die Form mit Genderstern, also „Schweizer*innen“, zielt genau darauf ab, die Mehrdeutigkeit dieser Ausdrücke zu umgehen und explizit alle Geschlechter einzubeziehen. Die systematisch angelegte Mehrdeutigkeit kann auch durch andere Formen vermieden werden, zum Beispiel durch Verbindungen wie „Dozentinnen und Dozenten“ oder durch geschlechtsneutrale Bezeichnungen wie „die Studierenden“, „das Team“, „die Leute“ oder andere Umschreibungen.“

Bild der Person: Jutta Hartmann
Prof‘in Dr. Jutta Hartmann ist Professorin für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Bielefeld.

Professorin Dr. Petra Wagner sieht den Sprachwandel als Chance an und stellt aus phonetischer Perspektive Stärken und Schwächen des gesprochenen Gendersternchens dar.

„Sprache bewegt sich immer zwischen inhaltlicher Präzision und einer gut zu verarbeitenden Form. Gendersensible Sprache versucht in diesem Spannungsfeld, alle Adressierten explizit anzusprechen, ohne dabei zu kompliziert zu werden. Der Glottalverschluss als gesprochenes „Gendersternchen“ ist hier ein Lösungsvorschlag, der bekanntermaßen zu Irritationen führt. Der Laut ist an sich gut geeignet, weil er anders als seine phonetischen Verwandten „p,t,k“ wortintern keine Missverständnisse auslöst. Aber er markiert Wortgrenzen, so dass das gesprochene „Tischler*innen“ nicht wie ein gegenderter Tischler klingt, sondern wie ein Tischler, der sich „innen“ befindet. Ich beobachte aber eine starke Dynamik in der Aussprache des Gendersternchens. Einige ersetzen den Glottalverschluss durch eine Betonung, andere setzen eine Knarrstimme ein, viele verkürzen das „innen“ auf eine einzelne Silbe. All dies integriert die neue Form stärker ins Sprachsystem und macht sie weniger „holprig“, ohne sie zu neutralisieren. Wir sollten den Sprachwandel da einfach mal machen lassen.“

Bild der Person: Petra Wagner
Prof‘in Dr. Petra Wagner ist Professorin für Phonetik an der Universität Bielefeld.

Professorin Dr. Sina Zarrieß blickt aus computerlinguistischer Sicht auf das Gendern und sieht eine Problematik von „Gender Biases“ bei Anwendungen wie ChatGPT.

„In der computerlinguistischen Forschung spielen sogenannte „Gender Biases“ in sprachlichen Daten und in Sprachmodellen derzeit eine große Rolle. So zeigt sich in vielen Studien, dass Sprachmodelle, die Wortähnlichkeiten auf großen Mengen von Texten lernen, auf umfassende und erschreckende Weise stereotype Vorstellungen von Geschlechterrollen reproduzieren. Die Modelle assoziieren zum Beispiel eine Berufsbezeichnung wie „Arzt“ eher mit dem Wort „männlich“ als „weiblich“, oder das Wort „Frau“ eher mit „Familie“ als „Karriere“. Wenn diese Modelle dann in Anwendungen wie ChatGPT eingesetzt werden, besteht die Gefahr, dass sie diese Biases verfestigen und verstärken. Viele Computerlinguist*innen versuchen daher, Methoden zu entwickeln, den Gender Bias in sprachlichen Daten und Sprachmodellen zu korrigieren. Kürzlich haben wir in einem Projekt untersucht, inwieweit gendersensible Sprache dabei helfen könnte – auf Grund der schwierigen Datenlage waren die Ergebnisse aber nicht ganz eindeutig.“

Bild der Person: Sina Zarrieß
Prof‘in Dr. Sina Zarrieß ist Professorin für Computerlinguistik an der Universität Bielefeld.

Professor Dr.-Ing. Hendrik Buschmeier beschreibt aktuelle Probleme und mögliche Lösungen hinsichtlich des Gender Bias und der Aussprache von gendersensibler Sprache in sprachbasierten Assistenzsysteme

„Forschung zu gendersensibler Sprache spielt auch für die Entwicklung praktischer Anwendungen in sprachbasierten Assistenzsystemen (Sprachassistenten wie Siri und Alexa, Sprachsynthesesysteme in der Verwendung als Screenreader) eine Rolle. Ein Aspekt ist, dass die ‚Personae‘ weit verbreiteter Sprachassistenten über Name und Stimme meist weiblich gestaltet sind. So werden Gender Biases über eine Technologie, die eigentlich auch genderneutral sein könnte, transportiert: Siri, Alexa und Co. haben die Rolle einer „Assistent:in“, ihr Verhalten ist immer freundlich und leicht unterwürfig und sie stehen ihren Nutzer:innen stets zu Diensten. Ein Versuch, dem entgegenzuwirken, ist die Erforschung und Entwicklung von genderneutralen, und trotzdem menschlich wirkenden, synthetischen Stimmen. Zum anderen sollen sprachbasierte Assistenzsysteme souverän mit Texten, die gendersensible Sprache verwenden, umgehen können. Sie sollen also Wörter mit Gendersternchen, -doppelpunkt, -gap oder -schrägstrich korrekt aussprechen. Viele Systeme können dies aktuell noch nicht oder müssen von ihren Nutzer:innen erst dementsprechend konfiguriert werden.“

Bild der Person: Hendrik Buschmeier
Prof. Dr.-Ing. Hendrik Buschmeier ist Juniorprofessor für Digitale Linguistik und forscht und lehrt im Bereich Dialog mit konversationalen Agenten, Computerlinguistik und Sprachtechnologie.

Gendersternchen in der Kommunikation

Die Universität Bielefeld empfiehlt seit 2019 die Verwendung des Gendersternchens in der Kommunikation, um zu einer Gleichberechtigung und Sichtbarkeit aller Geschlechtsidentitäten beizutragen. Es gibt aber auch andere Methoden, wie den Doppelpunkt, den Unterstrich, den Schrägstrich oder das Binnen-I.