Wie sich Europa durch seine Grenzpolitik verändert


Autor*in: Universität Bielefeld

„Die europäischen Außengrenzen werden aufgerüstet, Überwachungssysteme werden ausgebaut, Gewalt wird normalisiert. Diese harsche Grenzpolitik passt nicht nur schlecht zum liberalen Selbstverständnis und den viel beschworenen europäischen Werten oder menschenrechtlichen Normen, die die Grundlage der europäischen Union und ihrer demokratischen Gesellschaften bilden sollen. Sie wirkt auch zurück auf die Gesellschaften, die sich abschotten“: Das ist die These, die die neue Forschungsgruppe „Internalizing Borders: The Social and Normative Consequences of the European Border Regime“ („Internalisierung von Grenzen: Die sozialen und normativen Folgen der europäischen Grenzpolitik“) in den nächsten zehn Monaten am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) untersuchen wird. Die Eröffnungstagung der Forschungsgruppe findet vom 8. bis zum 10. November statt. Das Programm umfasst auch zwei öffentliche Veranstaltungen: einen Vortrag und eine Podiumsdiskussion.

„In den letzten Jahren haben wir uns sehr viel damit beschäftigt, wie Migration Gesellschaften verändert. Doch neben der Migration sehen wir eine zunehmende Tendenz zur Abschottung vor Migration – insbesondere in der EU, deren Selbstverständnis einerseits stark auf geöffneten Grenzen aufbaut und die andererseits neue Mauern errichtet. Wir möchten erforschen, wie die gewalthafte Verhinderung von Migration Europa sozial und normativ verändert“, sagt der Historiker Privatdozent Dr. Frank Wolff (Universität Osnabrück), der die Forschungsgruppe zusammen mit der Kulturanthropologin Professorin Dr. Sabine Hess (Universität Göttingen), der Rechtswissenschaftlerin Dr. Dana Schmalz (Max Planck Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg) und dem Politikwissenschaftler Professor Dr. Volker Heins (Kulturwissenschaftliches Institut Essen) leitet. Diese Abschottung der Europäischen Union mithilfe von biometrischer Überwachung, Grenztruppen, direkter Gewalt, Lagern und der Kriminalisierung humanitärer Hilfe wirke nicht nur nach außen, sie wirke auch auf die europäischen Gesellschaften zurück, vermuten die Leiter*innen der Forschungsgruppe.

Teilnehmende der Forschungsgruppe im ZiF
Die neue Forschungsgruppe „Internalizing Borders: The Social and Normative Consequences of the European Border Regime“ mit (von links): Sebastian Lemme, Frank Wolff, Lise Känner, Maurizio Albahari, Jens Adam, Deborah Bunmi Ojo, Volker Heins und Albert Manke.

Auswirkungen auf die Europäische Union selbst

„Wir werden untersuchen, wie sich diese Entwicklungen auf das rechtliche, moralische und soziale Gewebe der Gesellschaften auswirken, die an diesem Prozess beteiligt sind“, erklärt Dana Schmalz: „Das nennen wir ‚Internalisierung der Grenzen‘.“ Denn die Auswirkungen der europäischen Abschottungsbemühungen auf andere Länder seien zwar vielfach untersucht worden, nicht jedoch die Auswirkungen auf die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer selbst.

„Wir verfolgen mit der Forschungsgruppe zwei eng verbundene Ziele“, ergänzt Sabine Hess: „Wir werden nicht nur die Bedeutung und die Folgen des neuen Grenzregimes für die Gesellschaften untersuchen, die an diesem Prozess beteiligt sind, sondern auch einen interdisziplinären Rahmen entwickeln, der Begriffe und Ansätze bietet, um diese Vorgänge wissenschaftlich zu beschreiben.“ 

30 Forschende aus 12 Ländern sind zum Austausch geladen

Dazu haben die Leiter*innen der Gruppe 30 Fellows aus zwölf Ländern eigeladen. Anthropolog*innen, Politikwissenschaftler*innen, Soziolog*innen und Jurist*innen sind ebenso an dem Projekt beteiligt, wie Vertreter*innen von Gender-, Umwelt- und Migrationswissenschaften und der Stadtplanung. „Jede*r Fellow wird sich mit einer bestimmten Fallstudie befassen“, berichtet Volker Heins. „So werden wir herausarbeiten, wie die Außengrenzen wirken, wie sich das Wissen von und die Geschichten über Grenzen verändern und welche Konflikte die Verteidigung der Grenzen in den sich abgrenzenden Gesellschaften verursachen.“

Die Eröffnungskonferenz beginnt am Mittwoch, 8. November, um 18.15 Uhr mit einem öffentlichen Abendvortrag der Rechtswissenschaftlerin Professorin Elpeth Guild, die an der Queen Mary University in London und an der Radboud University in Nijmegen lehrt. Sie spricht zum Thema: „State Violence and European Borders – The Performance of What Imaginary of State Sovereignty?” (“Staatliche Gewalt und europäische Grenzen – Was bedeutet hier staatliche Souveränität?“) Auch am Donnerstag, 9. November, gibt es einen öffentlichen Teil: Um 10 Uhr diskutieren die Politikwissenschaftlerin Professorin Dr. Elizabeth F. Cohen von der Boston University und der Rechtswissenschaftler Dr. Dr. Maximilian Pichl (RheinMain University of Applied Sciences) darüber, wie repressive Grenzpolitik alle Bürger*innen bedroht („How Repressive Border Regimes Threaten Us All). Der Kulturanthropologe Dr. Bernd Kasparek von der Humboldt-Universität Berlin wird die Diskussion moderieren.

Um Anmeldung bei Susanne Fizell unter: zif-researchsupport@uni-bielefeld.de wird gebeten.