Seit 2018 untersucht der Transregio-Sonderforschungsbereich „NC3“ (SFB/TRR 212), wie es Lebewesen individuell gelingt, sich an ihre Umwelt anzupassen und ihre eigene ökologische Nische auszuprägen und zu nutzen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat heute (25.11.2021) bekannt gegeben, die Laufzeit des interdisziplinären Forschungsverbunds zu verlängern. Für die zweite Förderphase ab Januar 2022 erhält der Transregio rund zehn Millionen Euro. Der Verbund wird von der Universität Bielefeld und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster getragen. Die Universität Bielefeld koordiniert „NC3“.
„Dass der Transregio verlängert wird, ist eine hocherfreuliche Nachricht für den Wissenschaftsstandort Bielefeld. Durch die Weiterbewilligung gehören auch künftig fünf Sonderforschungsbereiche zur Universität Bielefeld“, sagt Professor Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, Rektor der Universität Bielefeld. „Ich bedanke mich herzlich bei den beteiligten Wissenschaftler*innen für ihre vorzügliche Forschung im Transregio – ihre Leistungen waren eine wesentliche Voraussetzung für die jetzige Entscheidung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.“ Auch sein Amtskollege aus Münster, Professor Dr. Johannes Wessels, freut sich über die Verlängerung: „Die Zusammenarbeit zwischen unseren Universitäten stärkt weiterhin das anspruchsvolle, aufwendige und langfristig konzipierte Forschungsvorhaben zu individuellen ökologischen Nischen und treibt damit die exzellente Forschung an der Schnittstelle von Verhalten, Evolution und Ökologie standortübergreifend voran.“
Individuen unterscheiden sich. Diese vermeintlich triviale Aussage – vor 2.400 Jahren schon von Aristoteles geäußert – steht für eine junge Leitvorstellung in der organismischen Biologie, die sich mit der Vielfalt der Lebewesen und ihren Beziehungen beschäftigt. „Sie geht damit weg vom Fokus auf Merkmale einer Population oder Art. Vielmehr haben die letzten vier Jahre gezeigt, wie und warum Tiere individuelle Eigenschaften besitzen beziehungsweise ausbilden, mit denen sie jeweils unterschiedlich in ihrer Umwelt bestehen“, sagt Professor Dr. Oliver Krüger von der Universität Bielefeld. Der Verhaltensforscher ist Sprecher des Transregios. Sein Stellvertreter ist der Evolutionsbiologe Professor Dr. Joachim Kurtz von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
„Unser Ziel ist es weiterhin, das Nischenkonzept auf der Ebene des Individuums zu definieren, zu etablieren und die ökologischen und evolutionären Konsequenzen dieser veränderten Sichtweise zu verstehen“, sagt Oliver Krüger. Der SFB/TRR „NC3“ hat in den vergangenen vier Jahren das Konzept der ökologischen Nische um neuartige Aspekte erweitert, indem die individuellen Unterschiede von Tieren in den Mittelpunkt gerückt wurden. Joachim Kurtz ergänzt: „Jedes Individuum setzt sich mit seiner Umwelt auseinander, aber Individuen unterscheiden sich darin, wie sie sich dadurch anpassen. Wir sprechen daher von individualisierten Nischen, und interessieren uns für drei mögliche Prozesse dabei: Nischenwahl, Nischenkonformität und Nischenkonstruktion.“ Dafür arbeiten Wissenschaftler*innen verschiedener Fachrichtungen auch zukünftig in 19 Teilprojekten zusammen. Sie kommen vor allem aus der Verhaltensforschung, Ökologie und Evolutionsbiologie. Weitere beteiligte Disziplinen sind unter anderem Philosophie, Statistik und die Theoretische Biologie. Über den SFB werden von 2022 bis 2025 unter anderem 19 Promotionsstellen und zehn Stellen von Postdoktorand*innen gefördert.
„NC3“, das Akronym des Transregio-Sonderforschungsbereichs, steht für „A Novel Synthesis of Indi-vidualisation across Behaviour, Ecology and Evolution: Niche Choice, Niche Conformance, Niche Construction“ (Eine neue Synthese zur Individualisation für die Verhaltensforschung, Ökologie und Evolution: Nischenwahl, Nischenkonformität, Nischenkonstruktion). Neben den Universitäten Bielefeld und Münster als Trägerinnen des Transregio ist auch die Friedrich-Schiller-Universität Jena an dem Verbund beteiligt.
Ein Institut und ein neuer Forschungsverbund ergänzen Analysen des Transregio
Die Forschung des Transregio hat zu neuen Initiativen geführt, die die Analyse von Individualisierung weiter ausdehnt. Wissenschaftler*innen der Universitäten Bielefeld und Münster haben im März 2020 das Institut JICE (Joint Institute for Individualisation in Changing Environments) gegründet, das sich interdisziplinär mit der Individualisierung in sich wandelnden Umwelten befasst. Die beteiligten Wissenschaftler*innen untersuchen, was Individualisierung generell für Lebewesen bedeutet – sowohl für Menschen als auch für Tiere. Im August 2021 hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) des Landes Nordrhein-Westfalen zudem einen neuen Forschungsverbund der Universitäten Bielefeld und Münster bewilligt. Er trägt den Titel „Individualisierung in sich ändernden UmWelten“ (InChangE). Der Verbund wird vom Institut JICE koordiniert. Er soll die Methoden und das Wissen von Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften kombinieren, um Individualisierung systematisch und experimentell zu untersuchen.
Fünf Sonderforschungsbereiche an der Universität Bielefeld
Durch die Verlängerung des Transregios gehören weiterhin fünf Sonderforschungsbereiche zur Universität Bielefeld. Der SFB/TRR 212 zur Nischenwahl, Nischenkonformität und Nischenkonstruktion wird durch die jetzige Verlängerung bis Ende 2025 gefördert. Im Juli 2021 wurde der neue SFB/TRR 318 zur Erklärbarkeit von künstlicher Intelligenz (KI) bewilligt. In dem Transregio kooperieren die Universitäten Bielefeld und Paderborn. Er wird bis Mitte 2025 gefördert. Ebenfalls im Juli wurde die Verlängerung von zwei Sonderforschungsbereichen der Universität Bielefeld bekannt gegeben: Der mathematisch ausgerichtete SFB 1283 der Universität trägt den Titel „Unsicherheit beherrschen und Zufall sowie Unordnung nutzen in Analysis, Stochastik und deren Anwendungen“. Der SFB/TRR 211 untersucht die Wechselwirkungen von Materie unter extremen Bedingungen. In dem Transregio kooperiert die Universität Bielefeld mit der Technischen Universität Darmstadt und der Goethe-Universität Frankfurt. Bereits Ende 2020 wurde der SFB 1288 der Universität Bielefeld verlängert, der sich mit den historisch variablen Praktiken des Vergleichens beschäftigt.
Sonderforschungsbereiche (SFB) sind langfristig angelegte Forschungseinrichtungen der Universitäten, in denen Wissenschaftler*innen im Rahmen eines fächerübergreifenden Forschungsprogramms zusammenarbeiten. Sie werden von der DFG finanziert und ermöglichen die Bearbeitung anspruchsvoller, aufwendiger und langfristig konzipierter Forschungsvorhaben. Die Dauer der Förderung beträgt im Idealfall zwölf Jahre, wobei eine Förderperiode vier Jahre umfasst. Transregio heißt ein Sonderforschungsbereich, wenn er von zwei oder drei Universitäten gemeinsam beantragt und getragen wird.