„Möglichst flächendeckend“, soll bis Ende 2021 an der Universität Bielefeld über das stets aktuelle Thema „Zensur“ diskutiert werden, so wünscht es sich der Programmleiter des Zentrums für Ästhetik Dr. Hans-Martin Kruckis: „‘Zensur‘, das ist ein komplexer, schillernder und viel weniger eindeutiger Begriff als es zunächst scheint, ein Begriff, der in einer demokratischen und sich dynamisch entwickelnden Gesellschaft immer wieder neu diskutiert und definiert werden muss.“ Podcasts, Diskussionen, eine Audio-Installation – Kunst und Wissenschaft beleuchten das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Und alle Beschäftigten sind aufgerufen, selbst Vorschläge zur Darstellung des Themas zu machen.
Ein Aspekt von „Zensur“ ist besonders aktuell: Fake News-Erfinder und Verschwörungstheoretiker sind schnell mit dem Zensur-Vorwurf bei der Hand, wenn seriöse Medien es ablehnen, ihre Ansichten zu verbreiten. Kruckis: “Zensur” ist zum Totschlagargument und zum (oft rechtspopulistischen) Kampfbegriff geworden.“
„Achtung Zensur!“ – Der Wegweiser durch das Dickicht
Dr. Hans Martin Kruckis: “Es gibt einen großartigen Wegweiser durch das Dickicht um den Begriff: Das Buch „Achtung Zensur! Über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen“ der Kasseler Literaturwissenschaftlerin Nikola Roßbach.“ Es verschaffe einen fundierten Überblick über die enorme Bandbreite des Phänomens. „Und das Schöne ist dabei, dass es ganz unakademisch daher kommt, spannend zu lesen ist und zugleich äußerst differenziert argumentiert.“ Zu Beginn des Jahres hatte das Zentrum für Ästhetik finanzielle Unterstützung im Programm „Eine Uni – ein Buch“ des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft eingeworben, um „Achtung Zensur!“ auf allen Ebenen der Universität und in den unterschiedlichsten Formen zu diskutieren. Wegen Corona musste die geplanten Veranstaltungen dazu abgesagt werden.
Diskussionsbeiträge im Netz
Manches konnte man aber auch ins Netz transferieren. In einem auf viele Folgen angelegten Podcast in Kooperation mit dem Campusradio Hertz 87,9 äußern sich beispielsweise renommierte Bielefelder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu unterschiedlichen Aspekten von Zensur. Aber auch mit künstlerischen Mitteln erfolgt die Auseinandersetzung mit dem Thema: Der Klangkünstler Marcus Beuter hat sich in einer Audio-Installation mit dem Umgang deutscher Gerichte und Behörden mit der Gemeinnützigkeit von politischen Vereinigungen wie “Attac” auseinandergesetzt. Die English Drama Group der Universität Bielefeld bezieht sich in kurzen Videos auf das Thema „Mental Health und Selbstzensur“, und vieles weitere aus Kunst und Wissenschaft soll aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln in den nächsten Monaten folgen. „Dazu gehört auch, mit prominenten Expertinnen und Experten über die Hauptthesen von Roßbachs Buch zu diskutieren – nicht zuletzt mit der Autorin selbst. Und das hoffentlich irgendwann auch wieder in öffentlichen Präsenzveranstaltungen!“, hofft Kruckis.
Rektor Professor Dr.-Ing. Gerhard Sagerer zeigt sich über die Belebung der Debattenkultur an der Universität sehr erfreut: „Ich begrüße es ausdrücklich, dass auch unter Corona-Bedingungen an der Universität Bielefeld gesamtgesellschaftlich wichtige Diskussionen geführt werden, und lade alle ein, sich daran zu beteiligen. Wo Zensur anfängt, ist in vielen Fällen schwieriger zu bestimmen, als man auf den ersten Blick erwarten würde. Soviel ist für mich aber klar: Für den Wissenschaftsbetrieb ist es essenziell, die Freiheit von Forschung und Lehre immer und ohne Wenn und Aber zu verteidigen!“
Für genügend Exemplare ist gesorgt!
In Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Ästhetik hat die Universitätsbibliothek zahlreiche Exemplare von “Achtung Zensur!” angeschafft und bietet sie sowohl im Universitätshauptgebäude (Bibliothek Linguistik und Literaturwissenschaft) wie im Gebäude X (Soziologie) zur Ausleihe an. In der Bibliothek der Linguistik und Literaturwissenschaft steht dazu eine Vitrine, in der neben “Achtung Zensur!” weitere Literatur zum Thema ausgestellt ist.
Das Zentrum für Ästhetik freut sich über Wünsche und Ideen zur Belebung der Diskussion und eigene Vorschläge, wie man an das Thema „Zensur“ herangehen könnte. Bis Ende 2021 sei ausreichend Zeit, dass man viele Ideen realisieren könnte, meint Hans-Martin Kruckis.