Pandemie sei zwar die Zeit der Quarantäne für manche Bürger*innen, nicht aber für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das sagt der Staatsrechtler Professor Dr. Christoph Gusy von der Universität Bielefeld. Außergewöhnliche Maßnahmen wie das jetzt verhängte bundesweite Kontaktverbot müssten deutlich an rechtliche Vorgaben gebunden sein, und es müsse geregelt sein, wann die Ausnahmebefugnisse enden. Wie Christoph Gusy die aktuelle Lage sieht:
„Der gegenwärtige Umgang mit dem Coronavirus folgt weitgehend den Logiken des Infektionsschutzrechts und – vereinzelt – des Katastrophenschutzrechts. Beide stehen vor qualitativ neuen Herausforderungen: Pandemien, die also solche im Vorhinein erkannt und abgewehrt werden sollen, hat es in den vergangenen 50 Jahren nicht gegeben. Daher fiel auch das auf Pandemien anwendbare Recht in einen Dornröschenschlaf. Es wurde außer Acht gelassen und ist nur wenig ausgearbeitet. Insoweit ist die Corona-Krise ein Stresstest für das Recht und die Rechtsanwendung.
Ein demokratischer Rechtsstaat muss handlungsfähig sein auf der Grundlage und in den Grenzen des Rechts. Neue Herausforderungen können neue Handlungsnotwendigkeiten begründen. Sie sind auf ihre Rechtsgrundlagen verwiesen – der Krisenmodus ist der schlechteste Zeitpunkt, um neues Recht zu schaffen. Das Recht muss pandemietauglich bleiben: In der Pandemie sollen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit notwendige Maßnahmen begründen und begrenzen, aber nicht ausschließen. Soweit der Staat dabei berechtigt sein muss, in die Rechte der Bürger*innen eingreifen, gilt: Wichtig ist, dass auch außergewöhnliche Maßnahmen an hinreichend eindeutige rechtliche Vorgaben und an eindeutige Grenzen gebunden sind. Und: Es muss eindeutig bestimmt sein, wann die Ausnahmebefugnisse enden.
Sei es zum Beispiel Ausgangsbeschränkung in Bayern oder die bundesweite Kontaktsperre: Die besonderen Maßnahmen der vergangenen Tage sind rechtlich teilweise innovativ und noch nicht in allen rechtsstaatlichen Details ausgeleuchtet. Ob sie rechtlich in Ordnung sind, muss gründlich erörtert werden. Diese Erörterung kann aber angesichts der sich rasch wandelnden Faktenlage aktuell kaum angemessen gelingen. Umso wichtiger ist es, dass derzeit offenkundige Rechtsbrüche vermieden und eindeutige rechtliche Vorgaben eingehalten werden. Das Wichtigste ist: Pandemie ist die Zeit der Quarantäne für manche Bürgerinnen, nicht aber für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Ob auch die Infektions- und Katastrophenschutzgesetze insgesamt den Stresstest bestehen, wird sich erst im Nachhinein unter Normalbedingungen erweisen. Dabei ist nicht alles schlecht: Der Föderalismus erweist sich gegenwärtig als krisen- und zukunftstauglicher als mancher Mediendiskurs über ihn.“
Professor Dr. Christoph Gusy leitet den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte der Fakultät für Rechtswissenschaft. Er ist seit 2006 stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen.