Am 8. März ist der jährliche internationale Frauentag. Die Soziologin Heidemarie Winkel erforscht, mit welchen Begründungen Frauen diskriminiert werden. „Der Weltfrauentag regt an, auf hiesige Verhältnisse in der Bundesrepublik zu schauen“, sagt Professorin Dr. Heidemarie Winkel von der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. „Frauen werden bis heute ungleich behandelt – das ist charakteristisch für alle Gesellschaften weltweit. In Deutschland werden Frauen nicht weniger diskriminiert als in anderen Gesellschaften.“
Dass Frauen tatsächlich diskriminiert werden, zeigt beispielsweise die Gewalt gegen Frauen. Laut Bundeskriminalamt waren im Jahr 2018 insgesamt 140.755 Menschen Opfer versuchter und vollendeter Gewalt. Davon waren 81,3 Prozent Frauen. „Das sind nur die Fälle, die zur Anzeige gebracht worden sind. Studien, die untersuchen, wie hoch die Gesamtzahl an Gewalttaten ist, kommen zu dem Ergebnis, dass in Deutschland jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen war“, sagt Heidemarie Winkel. „Oft wird Religionen zugesprochen, in besonderem Maß für die Diskriminierung von Frauen verantwortlich zu sein. Das ist aber nicht der Fall. Auch wenn in religiösen Kontexten wie den Kirchen zweifelsohne eine hohe strukturelle Ungleichheit und Diskriminierung besteht, steht dies nicht ursächlich mit der Gewalt gegenüber Frauen oder dem Gender Pay Gap in unserer säkularen Gesellschaft im Zusammenhang.“
Mit Biologie die Benachteiligung begründen
„Wer Frauen diskriminiert, reduziert sie meist auf wenige Merkmale. Sie werden dann beispielsweise als weniger kompetent – als weniger gestanden – wahrgenommen“, sagt Winkel. „Es gibt sehr unterschiedliche gesellschaftliche Formen, wie die vermeintliche Andersheit oder Besonderheit von Frauen legitimiert wird“, erklärt sie. So werde zum Beispiel auf die Biologie verwiesen. „Aber bloß, weil es Frauen vorbehalten ist, Kinder zu gebären, bedeutet das nicht, dass sie automatisch für die Erziehung und Betreuung der Kinder zuständig sein müssen. Wer zu welchem Anteil dafür zuständig ist, ist nicht naturgegeben, sondern kann zwischen Partner*innen ausgehandelt werden. Unsere Gesellschaft ist sehr von einer spezifischen normativen Vorstellung des Geschlechterverhältnisses geprägt, in der zum Beispiel nicht-heterosexuelle Menschen und Paare immer noch jenseits der Norm verortet werden.“
Religion benutzen, um zu diskriminieren
Religion werde in diesem Zusammenhang instrumentalisiert, um Frauen zu benachteiligen. „Wir untersuchen etwa, wie Religion in rechtspopulistischen Kontexten genutzt wird, um orthodoxe Familienvorstellungen und hegemoniale Männlichkeitsbilder durchzusetzen“, sagt Winkel. „In solchen Vorstellungen werden oftmals problematische Vorstellungen von männlicher Macht propagiert und Frauen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung aberkannt.“ Religion werde darüber hinaus auch instrumentalisiert, um Menschen anderer Religionen abzuwerten.
Rechtspopulistisch Politik als Nutznießerin
„Häufig stellen Politiker*innen aus dem rechtspopulistischen Spektrum einen Zusammenhang zwischen familialer und nationaler Ordnung her. Damit weisen sie Frauen einen „festen Platz und Aufgabenbereich innerhalb dieser nationalen Ordnung zu“, sagt Winkel. „Frauen sind in dieser Sicht primär für das Funktionieren der Familie und die nationale Reproduktion zuständig. Misogyne – also frauenverachtende – Vorstellungen sind dabei für bestimmte Männlichkeitsbilder typisch. Aktuell werden Gleichstellungsrechte in rechtsextremen Kreisen sogar zunehmend infrage gestellt und Geschlechterthemen gleichzeitig für rassistische Argumentationen gegen sogenannte andere genutzt.“
Gemeinsam mit zwei Bielefelder Kolleg*innen, der Soziologin Privatdozentin Dr. Alexandra Scheele und der Amerikanistin Professorin Dr. Julia Roth, hat Professorin Dr. Heidemarie Winkel eine Forschungsgruppe initiiert, die sich mit den weltweiten Anfechtungen von Frauen- und Geschlechterrechten befasst. Die Forschungsgruppe startet ab Oktober am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld.