Seit 15 Jahren treten Studierende der Universität Bielefeld beim internationalen iGEM-Wettbewerb (International Genetically Engineered Machine) an – dem weltweit größten Wettbewerb für synthetische Biologie. Das Besondere daran: Innerhalb weniger Monate setzen die Studierenden selbstständig ein komplettes Forschungsprojekt um, von der Themenfindung über Konzeption und Durchführung bis zur Auswertung und Präsentation der Ergebnisse. Professor Dr. Jörn Kalinowski unterstützt die Teams dabei von Beginn an, sein Kollege Professor Dr. Kristian Müller betreut iGEM-Teams bereits seit 18 Jahren – zunächst in Freiburg und Potsdam, seit 12 Jahren in Bielefeld. Hannah Bunte und Marielle Rieks vom diesjährigen Bielefelder iGEM-Team berichten, was die Forschungsarbeit bei iGEM von anderen Praxisstudien unterscheidet, inwiefern sie von der Teilnahme am Wettbewerb profitieren und welche Rolle die Professoren einnehmen.
Was ist für Sie das Besondere an iGEM, das Sie bewogen hat, an dem Wettbewerb teilzunehmen?
Hannah Bunte: Mich – und ich glaube so geht es vielen Teammitgliedern – hat die Möglichkeit sehr angesprochen, bei iGEM eigenständig an einer selbst entwickelten Forschungsfrage zu arbeiten. Bei Bedarf bekommen wir natürlich Unterstützung von den betreuenden Professoren, aber grundsätzlich liegen alle Schritte der Projektplanung und -umsetzung in unseren Händen.
Marielle Rieks: Eine weitere Besonderheit ist die interdisziplinäre Zusammensetzung des Teams. Weil wir aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen kommen, gibt es immer wieder Gelegenheiten, über den eigenen Tellerrand zu schauen, sich auszutauschen und so mit- und voneinander zu lernen.

© Elena Berz
Was unterscheidet die Forschungsarbeit für den Wettbewerb von sonstigen forschenden Tätigkeiten im Studium?
Marielle Rieks: Unser Studium ist bereits sehr praxisorientiert, mit vielen Laborpraktika und Modulen zu Projekten und Forschung – im Vergleich unterscheiden sich die jeweiligen Laborerfahrungen tatsächlich kaum. Der große Unterschied besteht darin, dass wir bei iGEM einen Blick hinter die Kulissen der richtigen Forschung werfen können: Wir lernen, wie die Organisation einer Forschungsgruppe funktioniert, auch die bürokratische Seite mit Bestellungen und Sponsoring, und wir lernen viel über Wissenschaftskommunikation, denn zum Wettbewerb gehört, das Projekt nach außen zu präsentieren.
Welche Vorteile sehen Sie durch die Teilnahme bei iGEM noch?
Hannah Bunte: Im iGEM-Projekt können wir viele unterschiedliche Methoden ausprobieren und eigene – mitunter auch unkonventionelle – Ideen verfolgen, was sonst im Studium nicht immer möglich ist. Neben den fachlichen Kenntnissen, die wir bei iGEM sammeln und vertiefen, lernen wir auch viel über Projektorganisation. Etwa unterschiedliche Aufgaben unter Zeitdruck zu priorisieren und das Projekt klar zu strukturieren, sodass für jedes Teammitglied zu jedem Zeitpunkt klar ist, was als nächstes zu tun ist und warum. Zu wissen, wie man gleichermaßen kreativ und strukturiert arbeiten kann, ist bestimmt nicht nur bei iGEM von Vorteil.
Marielle Rieks: Außerdem fordert und fördert iGEM eigenständiges Arbeiten ebenso wie die Zusammenarbeit in der Gruppe. Beides wird uns sicher in anderen Projekten oder Lernphasen des Studiums weiterhelfen.
Welche Rolle übernehmen die betreuenden Professoren bei iGEM?
Marielle Rieks: Die Professoren Müller und Kalinowski sind die Principal Investigators –die Hauptverantwortlichen für das Forschungsprojekt – und betreuen das Team die gesamte Zeit über. Zum einen dabei, das Projekt inhaltlich zu entwickeln und durchzuführen. Zum anderen bei der organisatorischen Umsetzung, etwa bei der Mittelbeschaffung oder bei uniinternen Verwaltungsangelegenheiten.
Hannah Bunte: Außerdem tauschen wir uns alle zwei Monate in einer Steuerkreissitzung mit unterschiedlichen Professor*innen aus. Dort stellen wir vor, welche Meilensteine wir zuletzt erreicht haben, wo aktuelle Probleme liegen und wir eventuell Unterstützung brauchen.
Wie läuft der Kontakt mit den Lehrenden, die ja gleichzeitig renommierte Forschende sind?
Hannah Bunte: Natürlich haben sie einen viel größeren Wissens- und Erfahrungsschatz und trotzdem ist der Kontakt sehr angenehm, weil die Kommunikation auf Augenhöhe verläuft. Wir können mit ihnen zum Beispiel ganz entspannt Fragen klären oder Vorschläge diskutieren, ohne dass sie uns je das Gefühl vermitteln, uns Gedanken wegen ihres Wissensvorsprungs machen zu müssen.
Marielle Rieks: Tatsächlich lernen wir super viel von – aber auch mit – den Professoren, denn durch unsere Gespräche entstehen neue Ideen, die wir auch mal gemeinsam weiterentwickeln. Und manchmal tauschen wir uns mit den Lehrenden über deren Forschungsschwerpunkte aus, wodurch sich mitunter für beide Seiten spannende Perspektiven für zukünftige Studieninhalte eröffnen.
Eigeninitiativ gemeinsam die Welt verbessern – die Professoren über iGEM
Als vor 15 Jahren Studierende der Molekularen Biotechnologie auf Professor Dr. Jörn Kalinowski zukamen und um Unterstützung für eine iGEM-Teilnahme baten, sagte er ohne Umschweife zu. Seitdem ist er mit Herz und Hirn dabei, das ist deutlich spürbar, wenn er von den Teams, Projekten und Erfolgen erzählt. Die Eigeninitiative der Studierenden ist für ihn dabei entscheidend: Das Engagement müsse von ihnen selbst ausgehen.
Professoren begleiten, statt zu beurteilen
„Damals wussten wir noch nicht, was auf uns zukommt. Wir haben viel gelernt, vor allem, was die Wettbewerbsteilnahme für die Studierenden bedeutet, denn sie bringt viele Vorteile, aber auch einige Härten mit sich“, sagt der seit August emeritierte Professor. Wie aus dieser Aussage herausklingt, spielt bei iGEM neben der Eigeninitiative das Gemeinsame eine zentrale Rolle – und zwar nicht nur auf das studentische Team bezogen; die Professoren schließen sich da, ohne Hierarchiedenken, durchaus mit ein. Für Professor Dr. Kristian Müller bietet „die ausgelagerte Beurteilung durch die Jury die Möglichkeit, als Lehrender fördernd und beratend aufzutreten und wahrgenommen zu werden.“ Das Wettbewerbsformat weicht von traditionellen Lehrformen ab und ermöglicht es den Teilnehmenden – egal ob gerade erst mit dem Studium begonnen oder schon viele Jahre in der Forschung tätig – gemeinsam Neues zu lernen.
Studierende forschen für die Gesellschaft
Für Studierende, die sich durch die reguläre Lehre unterfordert fühlen und ein nicht vorgedachtes wissenschaftliches Projekt zum Erfolg führen wollen, sei iGEM eine gute Gelegenheit, so Kalinowski. „Und auch im übergeordneten Sinne bringt der Wettbewerb Positives mit sich“, ergänzt Kristian Müller, „denn weder Elfenbeinturm, trockenes Bulimielernen, noch billige Massenproduktion von Abschlüssen helfen langfristig der Gesellschaft. Eine Universität sollte auf jeder Lernstufe Gelegenheiten bieten, Wissen anzuwenden und selbstmotiviert zu erweitern.“ Diesen Anspruch erfüllt iGEM, geht vielleicht noch darüber hinaus, „denn es bekräftigt Studierende darin“, sagt Jörn Kalinowski, „neugierig zu sein, erforschen zu wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält, sich nicht selbst zu limitieren – bei iGEM ist es erlaubt, geradezu erwünscht, davon zu träumen, die Welt durch die Anwendung der eigenen Forschung zu einem besseren Ort zu machen.“


