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Nahaufnahme von Händen, die eine Probe halten

Forschung inspiriert von der Natur


Autor*in: Gesa Seidel

Heutzutage ist es überall zu finden: Mikroplastik. Es wird insbesondere durch die Luft und durchs Wasser in die entlegensten Winkel der Erde transportiert. Eine der großen Fragen lautet: Wie können wir verhindern, dass Mikroplastik in unsere Gewässer und damit in die Umwelt gelangt? Einer, der einer Antwort ganz nah ist, ist Bio­physiker Tim Robertino Baumann. In InCamS@BI, einem gemeinsamen Projekt der HSBI und Universität Bielefeld, entwickelt er ein neuartiges Filtersystem für die kleinen Partikel. Schließlich ist Plastik aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken.

Majestätisch schwimmt er durch die tropischen Ozeane: der Riesenmanta. Mit wellenförmigen Schwingungen seiner Flossen bewegt sich der bis zu acht Meter lange und sieben Meter breite Meeresbewohner fort – ein bisschen wie ein Vogel mit seinen Flügen. Diese Art Teufelsrochen kann bis zu zwei Tonnen wiegen und ernährt sich unter anderem von winzigem Zooplank­ton. Das filtert der Riese während seiner Wanderung einfach aus dem Wasser. Damit das möglich ist, hat er in seinem Inneren ein ausgeklügeltes System, wodurch er die Kleinstlebewesen vom Wasser trennt.

Genau dieses Filtersystem ist aus biophysikalischer Sicht hoch spannend für die Separation von Mikroplastik aus Flüssigkeiten. Tim Robertino Baumann, Doktorand an der Universität Bielefeld, beschäftigt sich jetzt seit fast zwei Jahren damit, diese Methode zu übertragen. Der Biophysiker ist zusätzlich Technologiescout im Transferprojekt InCamS@BI, dem Innovation Campus for Sustainable Solutions der Hochschule Bielefeld (HSBI) und der Universität Bielefeld. Die Idee für seine Forschung hat er aus einer wissenschaftlichen Publikation aus den USA, doch die Forscher*innen dort haben ihren Ansatz bis­her nicht weiter verfolgt. Baumann sah mehr Potenzial als seine amerikanischen Kolleg*innen – und das zu Recht. In seinem Projekt „Bluewater“, wie er seine Masterarbeit nannte, konnte er zeigen, dass die Methode funktioniert. Jetzt will er „seine“ Filter optimieren.

Tim Robertino Baumann hält eine Probe
Tim Robertino Baumann forscht an Mikroplastikfiltern in den Laboren der Biophysik an der Universität Bielefeld. Er ist Teil des gemeinsamen Transferprojekts der Universität und Hochschule Bielefeld.

Mikroplastik im Wasser: der größte Emittent ist Kleidung

Zur Einordnung: Als Mikroplastik werden feste und in Wasser unlösliche Partikel und Fasern bezeichnet, die aus synthetischen oder biologischen Polymeren bestehen und häufig mit Additiven versetzt sind. Ihr Durchmesser beträgt einen Mikrometer bis fünf Millimeter – alles, was kleiner ist, gehört zur Kategorie Na­noplastik. Auf der in der Regel recht rauen Oberfläche der Partikel können sich sogar Kontaminanten, wie pathogene Erreger oder Toxine, anlagern. Da Mikro­plastik mit herkömmlichen Filtermethoden durch Kläranlagen flutscht, ist es mittlerweile fast überall nachgewiesen: In landwirtschaftlich genutzten Böden, in Klärschlämmen, in Meeres- und Flusswässern, in der Atmosphäre, im Schnee, in arktischem Eis und der Tiefsee.

Wo soll man da anfangen? Tim Robertino Baumann hat sich entschieden: im Wasser. Schaut man sich das Mikroplastik im Meer an, lässt sich feststellen, dass 35 Prozent der Partikel aus synthetischer Kleidung kommen, 28 Prozent vom Reifenabrieb und 24 Prozent aus städtischem Feinstaub. Der Rest ent­springt u.a. Straßenmarkierungen, Schiffsbeschichtungen und Kosmetik. Der größte Emittent ist also Kleidung. Studien zufolge besteht diese heute aus 60 Prozent Kunstfasern. Insbesondere, wenn die Textilien gewaschen werden, können sich Partikel und Fasern lösen und so ins Wasser gelangen. Laut Umweltbundesamt geraten bis zu 2.000 Kunstfasern aus Fleece-Kleidungs­stücken pro Waschgang über Fließgewässer in die Meeresumwelt. Wie man dem entgegenwirken kann: Verbraucher*innen könnten zum Beispiel weniger schleudern, die Textilien weniger heiß waschen und vermeiden, Fleece-Stoffe mit „harten“ Kleidungsstücken wie Jeans zu waschen. Am größeren Hebel sitzt in dem Kontext jedoch die Industrie: Sie könnte – wie in Frankreich ab 2025 vorgeschrieben – Waschmaschinen mit Mikroplastikfiltern anbieten. Doch da­für braucht es eine sehr gut funktionierende Technik.

Zwei Forscher arbeiten im Labor
Um neue Filter herzustellen, benötigen die Forscher ungefähr einen Tag im Labor.

Sekundäres Mikroplastik ist eine Gefahr für Menschen und Tiere

Das Projekt InCamS@BI, in dem Baumann zusätzlich zu seiner Promotion tätig ist, ist sehr interdisziplinär und hat sich auf die Optimierung der zirkulären Wert­schöpfungskette – insbesondere im Hinblick auf Kunststoffe – spezialisiert. Mikroplastikfilter passen thematisch perfekt dazu, da Mikroplastik oft ein End­erzeugnis von Kunststoffen ist – und dessen Wiederbeschaffung ist nicht trivial. Werden K unststoffprodukte nicht fachgerecht entsorgt, enden die Produkte schlimmstenfalls in der Umwelt und degradieren hier zu Mikroplastik. So entste­hende Partikel werden als sekundäres Mikroplastik bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird primäres Mikroplastik schon so klein hergestellt und beispielsweise in Kosmetika oder Scheuermitteln eingesetzt.

Mikroplastik ist ein akutes allgegenwärtiges Risiko – nicht nur für die Umwelt, sondern auch für Tiere und Menschen. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO hat Mikroplastik Auswirkungen auf das Verdauungs-, Atemwegs-, Herz­kreislauf- und Fortpflanzungssystem, auf Nieren, Leber und Schilddrüse. Da es weder chemisch in Wasser gelöst, noch biologisch abgebaut werden kann (außer von speziellen Bakterien oder Pilzarten), verweilt Mikroplastik sehr lange im Kreislauf und lagert sich im Laufe der Zeit in und um Zellen sowie an zellu­lären Bestandteilen an. Dies ist besonders kritisch, wenn sich am Kunststoff angelagerte Toxine und Erreger oder schädliche Additive herauslösen und so zu Entzündungen führen. „Ohne gezielte Versuche der Rückgewinnung bleibt Mikroplastik im Wasser und stellt ein totes Ende im Kunststoffkreislauf dar“, verdeutlicht Tim Robertino Baumann. „Mit zielgerichteter Grundlagenforschung jedoch kann dieser Teil des Kreislaufs geschlossen und durch den anschlie­ßenden Transfer von der Forschung in die Industrie übertragen werden. So können wir Probleme direkt am Ansatz lösen.“

Tim Robertino Baumann hält eine Probe
„In diesem Job muss man einsehen: Alles beginnt mit einem Problem und endet mit einem neuen.“
Tim Robertino Baumann, Doktorand und InCamS@BI-Technologiescout

Der vom Manta inspirierte Filter: ein System aus Kanälen und Lamellen

Seit seiner Entscheidung hat Tim Baumann viele Monate in den Laboren der Fakultät für Physik an der Universität Bielefeld verbracht. Der Anfang war für den 26-Jährigen am schwierigsten: „Ich habe so viele Materialien ausprobiert, mit verschiedenen Klebemethoden gearbeitet, bin einem Fehler nach dem anderen auf den Grund gegangenen – das war oft sehr frustrierend“, erinnert er sich. „Aber dann kam dieser eine Tag nach neun oder zehn Monaten Arbeit, an dem ich bei meiner damaligen Mentorin Dr. Martina Viefhues im Büro saß, richtig demotiviert, weil nichts geklappt hat. Sie riet mir, weiterzumachen, war immer optimistisch. Ich bin dann also zurück ins Labor – und auf einmal hat es funktioniert. Ich war sprachlos und sehr glücklich“, berichtet Baumann von seinem Durchbruch.

Die Filter, die er hergestellt hat, sehen etwas ungewöhnlich aus und ähneln ei­nem Kanalsystem: Zwischen einem eigens hergestellten und geformten Silikon und einer Glasplatte befindet sich der Strömungskanal, durch den das mit Mik­roplastik versetzte Wasser von einer Seite mit zehn bar Druck – vier bis fünf Mal so viel wie in einem Autoreifen – gepumpt wird. Die Partikel wandern geradeaus durch den Kanal und landen zusammen mit etwas Wasser im „Waste“-Behälter. Das restliche, reine Wasser, sucht sich einen anderen Weg und zwar links und rechts der Mitte um eine Art Lamellen herum. Aufgrund des Drucks fließt es nicht wieder zurück, sondern in ein zweites Gefäß, den „Filtrat“-Behälter.

Prof. Dario Anselmetti spricht mit seinem Doktoranden
Prof. Dario Anselmetti spricht mit seinem Doktoranden und Studenten über das vergrößerte Modell des Filters.

Am PC fertigt Baumann zunächst ein Modell an und simuliert den Wasser­durchfluss. Wenn am Computer alles funktioniert, startet er die reale Produkti­on. Das bedeutet, er erstellt zunächst eine Maske, mit der er einen sogenannten Masterwafer mittels Photolithographie erzeugt. Dadurch entsteht ein negatives Relief der Struktur, das mit weichem Silikon abgeformt wird. Das Material mischt der Wissenschaftler selbst an. Anschließend wird das Silikon zurecht­geschnitten, gestanzt und mit einem speziellen Verfahren auf ein Glas geklebt, das Plasmaoxidation genannt wird. Danach kann das eigentliche Experiment losgehen: Mit hohem Druck wird die Probe durch den Filter getrieben. Sie be­steht aus Wasser, das mit Mikroplastikpartikeln versetzt ist. Zum Schluss wird die Partikelkonzentration der Filterausgänge, also der „Waste“ und das „Filtrat“, miteinander verglichen.

Die menschengemachten Auswirkungen auf die Umwelt sind nicht unter Kontrolle

Aktuell können mit der Methode etwa 81 Prozent der Partikel aus der Probe ge­filtert werden. Die beiden Behälter (sauber und verunreinigt) sind nach den Versuchen stets ungefähr gleich voll. 25 Milliliter Flüssigkeiten werden pro Minute durch den Filter „gejagt“. In Zukunft möchte Baumann zeigen, dass die Technik auch mit einem geringeren Wasserdruck funktioniert. Denn: Im Haushalt fließt das Wasser in der Regel mit etwa 2,5 Bar, also nur einem Viertel dessen, was er aktuell in den Experimenten nutzt. Sein zusätzliches Ziel ist es, noch mehr sauberes Wasser zu erhalten.

Mittlerweile hat er Unterstützung im Labor: Ioannis Gkekas schreibt zurzeit sei­ne Bachelorarbeit bei Tim Robertino Baumann. Gkekas verändert verschiedene Parameter im Filter, passt zum Beispiel die Lamellenform an oder variiert die Ab­stände. „Die Forschung hier ist cool, weil viel Potenzial in den Filtern steckt. Ich habe mir die Arbeit bewusst ausgesucht, weil die Belastung unserer Umwelt mit Mikroplastik gesellschaftlich einfach relevant ist“, so Gkekas. Das wissenschaftliche Forschungsgebiet, auf der ihre Arbeit fußt, ist die sogenannte Mirkofluidik.

Tim Robertino Baumann bei der Arbeit mit den Filtern
Rund 200 Filter hat Baumann im Laufe seiner Arbeit schon hergestellt. Nicht alle haben die Experimente „überlebt“ – für die ersten Varianten war das Silikon für den hohen Druck zu weich und ist geplatzt.

Baumanns Masterarbeit ist abgeschlossen, jetzt promoviert er bei Prof. Dr. Dario Anselmetti zu dem Thema und ist in Teilzeit als Technologiescout im Transferprojekt InCamS@BI tätig. Dario Anselmetti erklärt, warum der Transfer von Forschung so wichtig ist: „Der Austausch von Wissen und der Transfer von Forschungsergebnissen sind die Grundlage für die langfristige und nachhaltige Weiterentwicklung unserer Bildungsgesellschaft auf Basis der faktenbasierten Wissenschaftlichkeit. Es ist eine der Hauptaufgaben der Hochschulen und ihrer Wissenschaftler*innen als Teil dieser Gesellschaft, ihre neuen Erkenntnisse nicht nur in wissenschaftlichen Journalen zu veröffentlichen, sondern diese ebenfalls möglichst direkt den Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und der Zivilgesellschaft zur Verfügung zu stellen“, so der Prorektor für Studium und Lehre der Universität Bielefeld. Erst das ermögliche die anwendungsorientierte Umsetzung des Wissens in innovative Produkte und Dienstleistungen und trage damit zur Stärkung der Wirtschaft und der Schaffung neuer zukunftsorientierter Arbeitsplätze bei. „Heute haben wir längstens erkannt, dass unser oft noch zu ressourcenintensiver Lebensstil unsere eigene Lebensgrundlage gefährdet, wobei der Mensch selbst zu einer Art geologischem Faktor geworden ist. Ein Ausdruck davon ist die Belastung unserer Umwelt mit Mikroplastik, die vor zehn Jahren kaum bekannt war. Hier innovative, das bedeutet schnelle und prakti­kable, Lösungen anzubieten, ist herausfordernd und wissenschaftlich extrem spannend. Und da setzt auch die Arbeit von Tim Baumann an“, erklärt der Ex­perte. Sein Doktorand, Mikrofluidik-Experte Baumann, fügt hinzu: „Als Wissen­schaftler will ich den Herausforderungen nicht aus dem Weg gehen, sondern in sie hineinblicken.“

Forscher hält zwei Proben in die Höhe
Das Ergebnis der Experimente ist gut zu sehen: Im linken Behälter befindet sich der Waste, also das Wasser mit Mikroplastikpartikeln. Rechts: sauberes, klares Wasser.

Das Ziel ist eine großflächige anwendung in Kläranlagen, Haushaltsgeräten und Aufbereitungsanlagen

Baumann ist überzeugt: „In diesem Job muss man einsehen: Alles beginnt mit einem Problem und endet mit einem neuen.“ Wenn das Filtersystem dann mit verbesserten Eigenschaften im Labor funktioniert, muss die Technik natürlich den Weg in die Anwendung schaffen. Baumanns Traum ist es, so lange an den Filtern zu forschen, bis sie tatsächlich in Kläranlagen, Wasch- oder Spülma­schinen, Wiederaufbereitungsanlagen oder als Eingangsfilter für Hauswasser­leitungen eingesetzt werden können. „Vielleicht gründe ich dann ja auch ein Unternehmen, wer weiß?“, überlegt er. Sein großes Ziel: eine gute und günstige Lösung für den Masseneinsatz zu entwickeln, bei der der Durchsatz möglichst hoch ist und eine große Bandbreite von Partikelgrößen extrahiert wird. Können in Zukunft auch Teilchen im kleinsten Mikrometerbereich gefiltert werden, sind auch Anwendungen abseits von Mikroplastik denkbar, zum Beispiel als Trink­wasserfilter gegen Mikroorganismen.

Für Baumann bis heute faszinierend: „Die Natur liefert oft die Lösung für Probleme, die sie betrifft“ – ohne das Vorbild der Riesenmantas wäre die For­schung vielleicht gar nicht auf diese Idee gekommen. Denn wenn Baumanns Filter irgendwann eingesetzt werden können und weniger Mikroplastik in die Meeresumwelt gelangt, profitieren nicht nur wir Menschen – sondern auch die Riesenmantas.

InCamS@BI – Innovation Campus for Sustainable Solutions

Im Projekt InCamS@BI an der Hochschule Bielefeld und der Universität Bielefeld entwickelt ein interdisziplinäres Team innovative Ideen, die Antworten auf die Frage liefern sollen, wie Kunststoffe in die Circular Economy integriert werden können. Expert*innen aus Kunststofftechnik, Ingenieurwesen, Physik, Chemie, Wirtschaftsrecht, Wirtschaftspsychologie und Innovationsmanagement er­arbeiten Projektskizzen – gemeinsam mit und für Unternehmen und Gesell­schaft. Um dafür mit unterschiedlichen Akteur*innen außerhalb der Hochschule in Austausch zu treten, gestaltet InCamS@BI neue Veranstaltungs- und Dialog­formate. Die Ziele des Projekts sind Ideengenerierung und eine Stärkung des Transfers an der Hochschule. InCamS@BI ist ein Transferprojekt und wird von der Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ von 2023 bis 2027 geför­dert.

Mehr Informationen: www.hsbi.de/incamsbi