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Auf einer Tafel steht mit Kreide geschrieben in Großbuchstaben das Wort Racism. Mit einem Schwamm, der ebenfalls zu sehen ist, wurden die Buchstaben teilweise verwischt.

Rassismus im Bildungssystem in den Fokus gerückt


Autor*in: Ludmilla Ostermann

Wer Rassismus bekämpfen will, muss ihn zunächst erkennen. Die Nachwuchs-Forschungsgruppe GraL (Gelingensbedingungen rassismussensibler Lehrer*innenbildung) unter Leitung von Prof’in Dr. Saphira Shure will deshalb bereits in Studium, Referendariat und Berufseinstieg für das Thema sensibilisieren. Ziel ist es, die Lehrkräfteausbildung rassismussensibler zu gestalten und Diskriminierung im Bildungssystem abzubauen.

„Gerade in einer Institution wie der Schule oder auch schon in der Ausbildung von Lehrkräften wird rassismusrelevantes Wissen weitergegeben. Personen werden durch rassistische Differenzverhältnisse unterschieden“, sagt die Leiterin der Gruppe, Professorin Dr. Saphira Shure. Das trage dazu bei, rassistische Verhältnisse zu reproduzieren und zu verfestigen. „Wir wollen uns anschauen, inwiefern Rassismus in den Strukturen als Thema verankert ist – in den Curricula, in Konzepten von Studiengang-Entwicklungen, Modulbeschreibungen, Konzeptpapieren und Handreichungen.“ Darüber hinaus will das GraL-Team Erfahrungen von Lehramtsstudierenden, Referendar*innen und Lehrer*innen im Berufseinstieg dokumentieren. „Uns interessieren sowohl Erfahrungen derer, die rassistisch diskreditierbar sind, als auch von denen, die es nicht sind.“

Die Erziehungswissenschaftlerin Prof’in Dr. Saphira Shure leitet die Nachwuchsgruppe GraL an der Universität Bielefeld.

Die Wissenschaftler*innen der Forschungsgruppe gehen der Frage nach, was zu einer Beschäftigung mit dem Thema Rassismus beiträgt und ob die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Beschäftigen sich vielleicht auch in erster Linie diejenigen mit Rassismus, die durch politische Themen, ihr eigenes Engagement oder durch soziale Medien mit dem Thema stärker in Berührung kommen und seine Relevanz sehen. „Es ist wichtig, dass wir in der Lehrer*innenbildung einen Beitrag zur Rassismuskritik leisten und sie nicht Social Media überlassen“, nennt Shure ein weiteres Ziel: die Etablierung und Professionalisierung der erziehungswissenschaftlichen Rassismusforschung in der Ausbildung von Lehrkräften.

Abbruch der Ausbildung nicht ausgeschlossen

Beispielhaft sei etwa die Diskussion um Lehrerinnen oder auch Referendarinnen mit Kopftuch, beziehungsweise um die Verbote im Hinblick auf das Tragen in der Schule. „Wir wollen herausfinden, was dies für Muslima bedeutet, die Lehrer*innen sind oder es werden wollen“, sagt Shure. Barrieren wie ein Kopftuch-Verbot könnten bei Studierenden und Referendar*innen zu Zweifeln an der Berufswahl führen: Ist dieser Weg richtig für mich? Nicht ausgeschlossen ist sogar der Abbruch der Ausbildung.

Berufsbiographische Interviews mit Studierenden, Referendar*innen und Berufseinsteiger*innen in Dresden und Essen bilden das Herzstück des Forschungsvorhabens, das für fünf Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,7 Millionen Euro gefördert wird. Dies geschieht im Längsschnitt: Einige Teilnehmende, die bereits im Master-Studium ihre Erfahrungen in einem Interview geteilt haben, werden demnach auch im Referendariat und den ersten Berufsjahren befragt.

„Es ist wichtig, dass wir in der Lehrer*innenbildung einen Beitrag zur Rassismuskritik leisten und sie nicht Social Media überlassen“
Prof’in Dr. Saphira Shure

Methodisch sollen die Befragungen an rassismustheoretische Perspektiven anschließen, die Rassismus als grundlegendes gesellschaftliches Differenzverhältnis verstehen, in dem Menschen in natio-ethno-kulturelle Gruppen unterschieden werden. Dazu bedient sich das Forscher*innen-Team sowohl der Critical Race Theory (CRT) als auch der kritischen erziehungswissenschaftlichen Migrationsforschung.

Verschiedene Disziplinen sorgen für Perspektiven-Vielfalt

„Wir haben einen starken kulturtheoretischen Blick auf Lehrer*innenbildung“, sagt Saphira Shure, die selbst Lehramt studiert hat. Die Mitarbeiterinnen ihrer Nachwuchs-Forschungsgruppe bringen verschiedene Disziplinen und damit auch Perspektiven ins Team: Dr’in Natascha Khakpour ist promovierte Erziehungswissenschaftlerin, Jaël In ‘t Veld kommt aus den Kulturwissenschaften und arbeitet erst seit kurzer Zeit in der Erziehungswissenschaft. Vanessa Ohm studierte Soziale Arbeit und Erziehungswissenschaften Roya Saadati Fashtomi wie Shure ebenfalls Lehramt.

Bezug auf Ergebnisse aus vorangegangenem Projekt

Das GraL-Projekt nimmt auch Bezug auf Ergebnisse aus dem Projekt „Pädagogisches Können in der Migrationsgesellschaft“ das 2016-2019 an den Universitäten Oldenburg und Bremen durchgeführt worden ist. Die Analysen von relevanten Dokumenten hätten deutlich gemacht, wie wenig das Thema Migration in der Lehrer*innenbildung angekommen sei. „Oft sind die Studiengänge auf das Thema Heterogenität ausgerichtet“, berichtet Shure. „Eine dezidierte Auseinandersetzung mit Rassismus ist unter dieser Perspektive aber gering ausgeprägt.“

Der Bielefelder Erziehungswissenschaftler Professor Dr. Paul Mecheril gilt als Begründer der Rassismuskritik in Deutschland. „Mittlerweile merken wir, dass sich langsam etwas tut. Professuren entstehen, es wird gefördert. Doch noch immer gibt es Leerstellen in der Auseinandersetzung“, sagt Shure. Während angloamerikanische Länder als Vorläufer gelten, ist in Deutschland das Thema Rassismus durch den Nationalsozialismus ganz anders behandelt worden. „Es galt: Rassismus ist etwas, das in der Geschichte liegt.“ Die Bedeutung von Rassismus nach 1945 herauszuarbeiten habe lange gedauert. „Sie wurde zu oft de-thematisiert und Rassismus eher dem rechten Rand zugeordnet.“

Anfang Mai hatten die Forscher*innen von GraL gemeinsam mit der ebenfalls durch das BMBF geförderten Forschungsgruppe KoNIR (Kontinuitäten und Neuformierungen von Institutionellem Rassismus in der Schule) der Universität Oldenburg erstmals gemeinsam Akteur*innen zu einer Kickoff-Veranstaltung geladen: Schule, Lehrer*innenbildung und Politik. „Der Austausch ist gelungen“, sagt Saphira Shure, denn bei aller Forschung dürfe auch die Übersetzung in die unterschiedlichen Handlungsfelder nicht vergessen werden: „Es ist wichtig, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, um Veränderung zu ermöglichen.“

Zur Person

Erziehungswissenschaftlerin Professorin Dr. Saphira Shure ist seit März 2023 Juniorprofessorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Rassismus- und Differenzforschung an der Universität Bielefeld. Zu ihren Lehr- und Forschungsschwerpunkten zählen auch Bildung in der Migrationsgesellschaft sowie die kritische Migrations- und Rassismusforschung.