Die längste Zeit haben ausschließlich Menschen für Menschen komponiert und musiziert. Inzwischen können Computerprogramme eigene Kompositionen erzeugen und Hörempfehlungen aussprechen. Das verändert nicht nur die Musik, sondern auch unser Verständnis und unser Wissen von Musik. Waren die Fachleute früher die Musiker*innen und Komponist*innen, sind jetzt auch Musikwissenschaftler*innen gefragt, die mit neuen Werkzeugen wie dem maschinellen Lernen umgehen können. Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe befasst sich im April und Mai am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld damit, wie diese Entwicklungen das Nachdenken über Musik verändern.
Einen internationalen Workshop zu ihrem Thema richtet die Gruppe vom 27. bis zum 29. April aus. Der Titel: The Future of Musical Knowledge in the Age of Machine Learning (Die Zukunft des musikalischen Wissens im Zeitalter des maschinellen Lernens).
© Universität Bielefeld
Wie kann die Musiktheorie den neuen Herausforderungen begegnen?
Technische Entwicklungen verändern nicht nur die Musik selbst, sie verändern auch, wie über Musik nachgedacht und wie Musik verstanden wird. „Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert hat immer der Mensch bestimmt, was Musik ausmacht. Mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz entwickelt sich nun eine neue Perspektive“, erklärt der Musikwissenschaftler Dr. Nikita Braguinski von der Humboldt-Universität Berlin. Er leitet die Forschungsgruppe zusammen mit dem Computerwissenschaftler Professor Dr. Eamonn Bell von der britischen Durham University und der Musikwissenschaftlerin Professorin Dr. Miriam Akkermann von der Technischen Universität Dresden.
„Bislang wird diese Entwicklung allerdings vor allem aus technischer oder ökonomischer Perspektive diskutiert“, sagt Eamonn Bell. Dabei gehe es um Fragen wie die nach den Einsatzgebieten automatisch generierter Musik oder dem Einfluss von Empfehlungsalgorithmen auf das Hören von Musik und die Musikindustrie. In die Musiktheorie habe diese Entwicklung hingegen bislang kaum Eingang gefunden. Miriam Akkermann: „Wir möchten auch verstehen, wie sich unser Bild der Musik verändert. Taugt die Musiktheorie dazu, um zu analysieren, was dort entsteht, und wie kann sie den neuen Herausforderungen entsprechen?“
Tagung nimmt auch Interessen der Musikindustrie in den Blick
Weil sich nicht nur die Musik verändert, sondern auch die beteiligten Akteure, arbeiten in der Gruppe Musiker*innen und Musikwissenschaftler*innen zusammen. Gemeinsam wollen sie Ansätze entwickeln, wie die Musiktheorie mit den schon geschehenen oder noch anstehenden Veränderungen umgehen kann. Diese sollen auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen betrachtet werden, die durch KI und Digitalisierung in anderen Bereichen der Kultur und Gesellschaft ablaufen. „Wie werden Fragen diskutieren wie: Wer sind die beteiligten Akteure und Institutionen? Was kann die KI im Bereich Musik und was wird sie bald können? Wer in der Musikbranche interessiert sich für den Einsatz von Werkzeugen aus dem Bereich der KI?“, kündigt Miriam Akkermann an.
Für ihren Workshop haben die Leiter*innen der Forschungsgruppe zwölf weitere Wissenschaftler*innen eingeladen, um ihre Thesen zu diskutieren. Am Freitag, 28.04., von 13 bis 15 Uhr, hält der renommierte Musikwissenschaftler Professor Alexander Rehding von der Harvard University in Boston einen öffentlichen Keynote-Vortrag mit dem Titel „After the Bach chorales: AI and the View from Music Theory“, der auch live übertragen wird. Teilnahme ist im ZiF und online möglich. Eine Anmeldung ist erforderlich bei Marina Hoffmann: marina.hoffmann@uni-bielefeld.de. Der Link zur Übertragung wird nach Anmeldung versandt. „Wir werden ausloten, welche neuen Möglichkeiten der interdisziplinären Kooperation sich ergeben und eine Roadmap für eine Musiktheorie im Zeitalter der künstlichen Intelligenz entwickeln“, so Eamonn Bell.
Der Workshop findet in englischer Sprache statt. Journalist*innen sind herzlich eingeladen, über die Veranstaltung zu berichten. Eine Anmeldung ist erforderlich bei marina.hoffmann@uni-bielefeld.de. Die Leiter*innen der Tagung stehen für Medienanfragen gerne zur Verfügung.