Der Bundestag hat als Teil des Corona-Notprogramms auch Maßnahmen zum Schutz von Mieter*innen beschlossen. „Die Gesetzesparagraphen zum Mietrecht sind vom Ansatz her sinnvoll, um in finanzielle Not geratene Mieter*innen zu schützen. Die Regelungen sind aber unglücklich formuliert und können so nicht beabsichtigte Folgen haben“, sagt der Rechtswissenschaftler Professor Dr. Markus Artz. Der Experte für Mietrecht fordert eine Überarbeitung. Wie Markus Artz die aktuelle Lage einschätzt:
„Es zeigt sich besonders in der Wohnraummiete: Mieten ist kein Konsumgut wie jedes andere und ein effektiver Mieter*innenschutz ist in Krisenzeiten geradezu lebensnotwendig. Die vom Bundestag wegen der Coronakrise in großer Eile verabschiedeten Regelungen zum Mietrecht zielen in die richtige Richtung. Es geht darum, zu verhindern, dass Mieter*innen gekündigt werden kann, weil sie infolge der Krise die Miete nicht mehr zahlen können.
Gut ist, dass dieser Schutz sowohl den Wohnraummieter*innen als auch den Mieter*innen von Geschäftslokalen und Büros oder anderen Immobilien zukommt.
Selbstverständlich sind aber auch Vermieter*innen darauf angewiesen, dass sie ihre Mieteinnahmen erhalten. Daher ist es richtig, dass die Mieter*innen nicht von der Verpflichtung zur Mietzahlungspflicht freigestellt wurden. Vielmehr wurde lediglich ein besonderer Kündigungsschutz eingeführt. In der Öffentlichkeit ist dies teilweise falsch verstanden worden – nämlich in dem Sinn, dass die Miete für drei Monate gestundet worden wäre.
So haben mehrere größere Unternehmen nach Verabschiedung des Gesetzes angekündigt, ihre Mietzahlungen für Geschäftsräume auszusetzen. Aus dem Gesetz ergibt sich ein solches Recht zur Nichtzahlung aber eindeutig nicht. Für Gewerbemieten stellt sich allerdings eine andere, schwierige Frage zur Höhe der Miete: Fällt dadurch, dass der Geschäftsbetrieb wegen der Pandemie zeitweise untersagt wurde, die Geschäftsgrundlage für die Mietverträge weg und ist es daher gerechtfertigt, die Miete zu kürzen?
Nicht nur wurde das Gesetz falsch verstanden. Die Eile des Gesetzgebungsverfahrens hat zu unsauberen und unglücklichen Formulierungen geführt. Insbesondere ist ein einzelnes Wort enthalten, das problematische Folgen mit sich bringen kann. Im Gesetz steht, dass die Kündigung ausgeschlossen ist, wenn sie allein auf dem Zahlungsverzug für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni 2020 beruht. Problematisch ist das Wort „allein“.
Normalerweise ist eine Kündigung – grob gesprochen – erst dann zulässig, wenn die Miete zweimal in Folge nicht gezahlt wurde. Doch angenommen, ein*e Mieter*in hat, warum auch immer, auch im März 2020 nicht gezahlt. Dann entsteht der Kündigungsgrund am Ende des dritten Werktags im April, wenn die Miete bis dahin nicht auf dem Konto der*des Vermieter*in eingegangen ist. Da der Verzug nicht „allein“ auf den Zeitraum April bis Juni beruht, könnte sich die*der Mieter*in nicht auf den Kündigungsschutz nach dem neuen Gesetz berufen. Daher bin ich für die Streichung des Wörtchens „allein“.
Es besteht noch weiterer Änderungsbedarf. So, wie das Gesetz jetzt formuliert ist, könnten Vermieter*innen den Mieter*innen auch dann kündigen, wenn die Mieten nachgezahlt werden. Deswegen muss meiner Ansicht nach ergänzt werden, dass eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs ausgeschlossen ist, wenn Mieter*innen Rückstände bis Mitte 2022 ausgleichen. Grundsätzlich empfehle ich allen Mieter*innen, die befürchten, infolge der Pandemie ihre Miete nicht rechtzeitig zahlen können, frühzeitig das Gespräch mit den Vermieter*innen zu suchen. Ich höre immer wieder, dass Vermieter*innen sich in diesen Fällen verständnisvoll und kooperativ zeigen.
Die Coronakrise führt für viele Mieter*innen zu Kurzarbeit, mitunter auch Arbeitslosigkeit. In den Gesetzen zum Mietrecht sollte daher die vorgesehene Möglichkeit genutzt werden, die Zeit zu verlängern, in der verspätete Mietzahlungen nicht zu Kündigungen führen dürfen. Weil die wirtschaftlichen Folgen der Krise lange nachwirken werden, ist es sinnvoll, dass die Bundesregierung Mieter*innen gezielt unterstützt. Ich empfehle, einen staatlichen Fonds einzurichten, der Mieter*innen kurzfristig bezuschusst, wenn sie infolge der Pandemie in Zahlungsschwierigkeiten geraten.“
Professor Dr. Markus Artz ist Dekan der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld. Er leitet den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches Privatrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtsvergleichung. Seit mehr als zehn Jahren begleitet er die Bundesregierungen wie auch einzelne Parteien bei der Vorbereitung von Gesetzen im Mietrecht. So hat er mit seinem Fakultätskollegen Professor Dr. Franz Mayer in einem Gutachten für die SPD in Berlin begründet, warum Bundesländer eigene Mietendeckel erlassen dürfen.
Aufgezeichnet von Jörg Heeren