Wie kann man in einer unvorhersehbaren Welt fundierte Entscheidungen treffen? Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Graduiertenkolleg Coping with Uncertainty in Dynamic Economies (CUDE) am Zentrum für Mathematische Wirtschaftsforschung erforscht wirtschaftliche Unsicherheit – von Arbeitsmärkten bis zu Klimarisiken. Die Professor*innen Herbert Dawid und Anna Zaharieva sowie die Doktoranden Asimamaw Belete und Luoyuan Gan geben Einblicke in Forschung und Erkenntnisse.
Was ist der Forschungsschwerpunkt von CUDE?
Herbert Dawid: Wir untersuchen, wie Einzelpersonen, Unternehmen und Regierungen in einer unsicheren Welt Entscheidungen treffen. Unsicherheit ist allgegenwärtig – auf Finanzmärkten, beim technologischen Wandel oder auch im Alltag. Wir nutzen mathematische Modelle und Simulationen, um zu verstehen, wie wirtschaftliche Akteur*innen auf unvorhersehbare Veränderungen reagieren und wie sich dies auf die Gesamtwirtschaft auswirkt. Das ist entscheidend, denn Unsicherheit kann zu ineffizienten Entscheidungen, finanzieller Instabilität und schwachem Wirtschaftswachstum führen.

© Universität Bielefeld/M. Adamski
Welche Formen von Unsicherheit untersuchen Sie konkret?
Anna Zaharieva: Wir unterscheiden zwischen klassischer Unsicherheit, bei der Entscheidungsträger die genauen Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen kennen – zum Beispiel eine 70-prozentige Eintrittswahrscheinlichkeit – und Knight’scher Unsicherheit, bei der diese Wahrscheinlichkeiten nicht verlässlich geschätzt werden können. Diese tiefere Form der Unsicherheit, auch Ambiguität genannt, tritt in vielen Situationen auf. Bei CUDE entwickeln wir Modelle, die über klassische Annahmen hinausgehen und diese Ambiguität berücksichtigen.
Können Sie Beispiele für solche Unsicherheit nennen?
Anna Zaharieva: Während der COVID-19-Pandemie mussten Unternehmen und Beschäftigte schnell auf Lockdowns, veränderte Nachfrage und gestörte Lieferketten reagieren. Einige Unternehmen florierten, andere hatten Schwierigkeiten. Solche Szenarien untersuchen wir, um zu verstehen, welche Faktoren die wirtschaftliche Erholung fördern und welche politischen Maßnahmen die Resilienz verbessern können. Ein weiteres Beispiel ist der Klimawandel. Durch unberechenbare Wetterverhältnisse müssen Unternehmen und politische Entscheidungsträger Risiken besser antizipieren und Strategien anpassen. Das sind neue Ursachen für Unsicherheit – und wir wollen wissenschaftlich fundierte Instrumente und Orientierung bieten, um damit rational umzugehen.

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Woran forschen Sie aktuell?
Asimamaw Belete: Ich untersuche, wie Arbeitssuchende mit Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt umgehen. Wir analysieren, wie Menschen nach Jobs suchen – insbesondere welche Rolle soziale Netzwerke, Mobilität und verschiedene Job-Plattformen spielen – und wie das die Effektivität der Jobvermittlung beeinflusst. Wir unterscheiden drei Arten von Unsicherheit: Wann kommt ein Jobangebot, woher kommt es und um welche Art von Stelle handelt es sich? Anhand realer Daten und theoretischer Modelle untersuchen wir, wie diese Unsicherheiten das Suchverhalten beeinflussen und was das für bessere Arbeitsmarktergebnisse bedeutet.
Luoyuan Gan: Ich konzentriere mich stärker auf die Marktseite. Ich wende die so genannte Realoptionstheorie an, um zu erforschen, wie Unternehmen Investitionsentscheidungen bei Marktunsicherheit treffen. Dabei geht es vor allem darum, wie Firmen auf die Unmöglichkeit reagieren, Marktentwicklungen wie Nachfragewachstum oder -rückgang sicher vorherzusagen. Wir untersuchen insbesondere, wie Unternehmen entscheiden, ob und wann sie ihre Kapazitäten ausbauen – etwa bei der Einführung neuer Produkte – und wie sie dabei Unsicherheiten über Nachfrage, Innovation oder politische Maßnahmen (wie Steuern oder Subventionen) berücksichtigen. Auch Finanzierungsbeschränkungen spielen eine Rolle – vor allem bei jungen Firmen mit wenig Liquidität oder Sicherheiten.

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Welche Methoden wenden Sie an?
Herbert Dawid: Wir arbeiten mit mathematischen und rechnergestützten ökonomischen Modellen. Manchmal analysieren wir Entscheidungen einzelner Akteur*innen – etwa eines Unternehmens – und manchmal simulieren wir ganze Volkswirtschaften auf dem Computer. So können wir verschiedene Szenarien testen, etwa was passiert, wenn Regierungen neue Vorschriften zur Stabilisierung der Märkte einführen oder wenn Beschäftigte durch Automatisierung den Arbeitsplatz wechseln. Diese Simulationen zeigen mögliche Auswirkungen und helfen uns, bessere politische Maßnahmen vorzuschlagen. Unser Ansatz vereint Datenanalyse, ökonomische Theorie und computerbasierte Modellierung, um Unsicherheit in Wirtschaftssystemen besser zu verstehen.
Was sind zentrale Erkenntnisse Ihrer Forschung bisher?
Anna Zaharieva: Eine überraschende Erkenntnis aus unserem Projekt zum Thema Arbeit war der Zusammenhang zwischen Suchmethoden und Umzugsdistanzen. Wir hatten erwartet, dass die Nutzung von sozialen Netzwerken, wie beruflichen Kontakten, zu weiteren Umzügen führt. Doch die Daten zeigten das Gegenteil: Personen, die auf soziale Netzwerke bei der Jobsuche setzten, zogen eher in einem kleineren Radius um. Der Grund: Die meiste Unterstützung kam von engen Freunden und Familie – also aus dem lokalen Umfeld – und nicht von weit entfernten beruflichen Kontakten. Das führte eher dazu, in der Nähe zu bleiben.
Welche Chancen bietet das Programm Promovierenden?
Luoyuan Gan: Das Programm bietet viele gute Möglichkeiten um eine wissenschaftliche Karriere aufzubauen. Wir haben wöchentliche Seminare, ein Doktoranden-Workshop mit internationalen Teilnehmer*innen und ein Kolloquium, in dem wir unsere Arbeiten vorstellen. Zudem gibt es regelmäßige fachspezifische Treffen – unsere sogenannten CUDE Reading Groups –, in denen wir neue Forschungsergebnisse diskutieren. All das schafft ein dynamisches, kollaboratives Umfeld.
Asimamaw Belete: Ich bin froh, Teil des CUDE-Programms zu sein. Für mich als Doktorand bietet es eine Lernumgebung, in der ich mit Menschen aus verschiedenen Fachrichtungen wie Data Science, Industrieökonomik und Arbeitsmarktforschung zusammenarbeite. Wir haben regelmäßige Treffen zur Diskussion von Forschungsarbeiten zur Unsicherheit, zudem bekommen wir Trainings von Gastprofessor*innen – etwa aus Glasgow oder der Paris School of Economics. Auch Forschungsaufenthalte im Ausland und die Teilnahme an internationalen Konferenzen und Workshops werden unterstützt. Das ist eine tolle Plattform zur Weiterentwicklung.