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Bild eines Mikroskops.

„Wir übersetzen chemische Reaktionen in Mathematik“


Text: Ludmilla Ostermann

Wie kann Mathematik dabei helfen, Fettleibigkeit zu verstehen und zu bekämpfen? Im Projekt MATOMIC (Mathematical Modelling for Microbial Community Induced Metabolic Diseases) entschlüsseln der Informatiker Professor Daniel Merkle und sein interdisziplinäres Team die Wechselwirkungen im Darm-Mikrobiom und treffen Vorhersagen über Darmprozesse. Das von Merkle geleitete Projekt wird von der dänischen Novo Nordisk Stiftung finanziert. Im Interview spricht er über Herausforderungen und Chancen dieser interdisziplinären Forschung.

Wie beeinflusst das Mikrobiom unsere Gesundheit, und wie kann es zur Behandlung von Fettleibigkeit genutzt werden?

Daniel Merkle: Wir wissen, dass das menschliche Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen im Körper, nachweislich einen enormen Einfluss auf unsere Gesundheit hat. In unserem Darm etwa leben Tausende von Bakterien, die essenziell für die Funktion unseres Körpers sind. Bei Fettleibigkeit ist das Mikrobiom verändert. Ein Therapieansatz ist die sogenannte Fäkaltransplantation (Fecal Microbiome Transplantation): Dabei wird das Mikrobiom einer schlanken Person auf eine fettleibige Person übertragen. Alle bisherigen FMT-Versuche scheitern an Inkompatibilitäten zwischen den Mikrobiomen von Spender*innen und Empfänger*innen, was die Stabilität beeinträchtigt. Wir bei Matomic arbeiten daran, das Verständnis für diese Prozesse zu verbessern – mit mathematischen Modellen.

Portraitbild von Professor Merkle in einem Uni-Flur.
Dr. Daniel Merkle ist Professor für Algorithmische Chemieinformatik an der Technischen Fakultät der Universität Bielefeld.

Das heißt, Sie übersetzen Prozesse im Darm in mathematische Sprache?

Genau. Bei MATOMIC versuchen wir, chemische Reaktionen in mathematische Beschreibungen zu übersetzen. Anschließend analysieren wir, welche Prozesse wir mit den modellierten Reaktionen nachvollziehen können. Unser Modell dieser Reaktionen hilft dann dabei, vorherzusagen, was tatsächlich auf chemischer Ebene im Körper passiert. Ein Beispiel einer solchen chemischen Reaktion: Wenn Zucker aufgenommen wird, verarbeiten bestimmte Bakterien den enthaltenen Kohlenstoff, geben ihn an andere Bakterien weiter und beeinflussen so wichtige Prozesse im Körper.

Wie können Ihre Forschungsergebnisse in die Medizin einfließen?

Autoimmunerkrankungen werden stark vom Mikrobiom beeinflusst. In unserer Modellierung ist es nicht entscheidend, ob es um Asthma, Fettleibigkeit oder andere Erkrankungen geht. Der Fokus liegt auf personalisierter Medizin, die noch nicht etabliert ist. Jeder Mensch hat ein einzigartiges Mikrobiom, und dieses Zusammenspiel gilt es besser zu verstehen.

Und wie konkret erlangen Sie das Verständnis?

Wir nutzen Methoden aus der Informatik, um die Abläufe im Mikrobiom besser zu verstehen. Man kann sich das wie eine Landkarte der chemischen Prozesse vorstellen. Ein zentrales Werkzeug dabei sind sogenannte Graphgrammatiken. Sie ermöglichen es, chemische Reaktionen als Netzwerk von Verbindungen darzustellen. So lässt sich nachvollziehen, wie Stoffe im Körper umgewandelt werden. Zusätzlich verwenden wir spezielle Analysen, um herauszufinden, welche Prozesse welche Auswirkungen haben – also, welche chemischen Veränderungen zu bestimmten Reaktionen im Körper führen. Ein weiteres Werkzeug sind Modelle, die parallele chemische Abläufe erfassen. Ein Beispiel: Eine Mitarbeiterin untersucht mit Netzwerkanalysen, wie verschiedene Bakterien im Darm sich gegenseitig beeinflussen.

Portraitbild von Professor Merkle in einem Uni-Flur.
„Das ist eben Forschung – wir müssen es ausprobieren“
Professor Dr. Daniel Merkle

Sie untersuchen derzeit acht Bakterienspezies im Bioreaktor – aber in der realen Welt existieren tausende. Wie gehen Sie mit dieser Diskrepanz um, und ist eine Vorhersage überhaupt möglich? 

Das ist eine der Kernfragen, die uns schon bei der Verteidigung des Projekts gestellt wurde. Das ist eben Forschung – wir müssen es ausprobieren. Wenn wir die Prozesse mit acht Spezies nicht verstehen, dann werden wir sie mit 8000 erst recht nicht entschlüsseln können. Die Idee ist natürlich, von kleinen Modellen auszugehen und die Erkenntnisse dann auf größere Systeme zu übertragen.

Wie überprüfen Sie die Genauigkeit und Zuverlässigkeit Ihrer Ergebnisse?

Wir kombinieren unsere Modellierungstechniken mit experimentellen Kultivierungen von Mikrobiomen unterschiedlicher Komplexität. In Leipzig untersucht das Team um Martin von Bergen vom dortigen Helmholtz-Institut, wie die acht Bakterienarten im Darm zusammenwirken. Parallel analysiert Peter Stadler von der Universität Leipzig die mikrobiellen Spezies, während Christoph Flamm von der Universität Wien dynamische Modellierungstechniken einsetzt, um zeitliche Wechselwirkungen zu analysieren. So verfeinern wir kontinuierlich unsere Modelle und verbessern deren Vorhersagekraft.

Sie befinden sich also in einer Dauer-Feedbackschleife?

Genau, wir treffen uns dreimal im Jahr persönlich und haben monatliche virtuelle Meetings. Es wird viel diskutiert. Aber das ist wichtig für die gemeinsame Forschung. Man darf sich nicht zu fein sein, Fragen zu stellen, die für Wissenschaftler*innen aus anderen Disziplinen vielleicht einfach zu beantworten sind.

Interdisziplinarität ist für Ihre Forschung also unabdingbar.

Der Wechsel von der University of Southern Denmark nach Bielefeld vor einem Jahr kam für mich deshalb zum perfekten Zeitpunkt. In Dänemark fehlte mir ein wenig die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die hier an der Universität intensiv gelebt wird. Seit meinem Start im Dezember 2023 habe ich wertvolle Kontakte geknüpft, etwa bei Retreats am CeBiTec, Gesprächen mit Physiker*innen, Mathematiker*innen, Chemiker*innen, und Biolog*innen. Dieser wissenschaftliche Austausch ist für mich sehr bereichernd – hier in Bielefeld sehe ich meine Zukunft.

TACsy

Die Training Alliance for Computational Systems Chemistry (TACsy) ist ein weiteres EU gefördertes Großprojekt, das Prof. Dr. Daniel Merkle leitet. Hier wird die nächste Generation von Wissenschaftler*innen ausgebildet, wobei großer Wert auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Informatik, Chemie und maschinellem Lernen gelegt wird. Das Projekt fokussiert sich auf Anwendungsgebiete wie CO2-Recycling, enzymatisches Synthesedesign und Lipidomics. Doktorand*innen arbeiten mit mehreren Forschungsgruppen und Industriepartnern zusammen, um Methoden zu entwickeln und in die Industrie zu übertragen.

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