Staatliche Grenzen sind in den letzten zwei Jahrzehnten wieder zu höchst umstrittenen öffentlichen Themen geworden, insbesondere im Zusammenhang mit der Steuerung der Migration. Die internationale Forschungsgruppe „Internalizing Borders: The Social and Normative Consequences of the European Border Regime” („Die Internalisierung von Grenzen: Die sozialen und normativen Folgen der europäischen Grenzpolitik“) hat die gesellschaftlichen Auswirkungen von Grenzpolitiken am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) zehn Monate lang erforscht. Auf ihrer Abschlusskonferenz stellen die Forscher*innen nun ihre Ergebnisse vor. Die Konferenz trägt den Titel „Border Internalization: Authoritarian Transformation and the Societal Impact of Border Work” („Die Internalisierung von Grenzen: Autoritäre Transformation und die gesellschaftlichen Auswirkungen von Grenzarbeit“) und findet vom 27. bis zum 29. November in Bielefeld statt.
Die Forschungsgruppe hat sich intensiv mit den umfangreichen Arbeiten im Bereich der Grenzstudien und anderen Disziplinen befasst, um eine Antwort auf die Frage zu finden, wie sich Grenzbefestigung und Grenzgewalt vor allem in Europa auf die Gesellschaften auswirken, die sie umsetzen. „In Europa, aber auch in anderen Weltregionen, können wir einen Zusammenhang zwischen Grenzpolitik, den Diskussionen um die Grenzen, der Kriminalisierung humanitärer Hilfe und dem Aufstieg rechtspopulistischer, autoritärer und nativistischer Diskurse und Politiken beobachten“, berichtet der Historiker Dr. Frank Wolff, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung in Berlin und Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Osnabrück. Er hat die Forschungsgruppe zusammen mit der Kulturanthropologin Professorin Dr. Sabine Hess (Direktorin des Centers für globale Migrationsforschung der Universität Göttingen), der Rechtswissenschaftlerin Dr. Dana Schmalz (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg) und dem Politikwissenschaftler Professor Dr. Volker Heins (Kulturwissenschaftliches Institut Essen) geleitet. „Auf der Abschlusskonferenz werden wir diskutieren, wie die Brutalisierung des europäischen Grenzregimes mit gesellschaftlichen Veränderungen, der Erosion des Rechtsstaates, dem rechts-populistischen Angriff auf die liberale demokratische Ordnung und dem Aufstieg des Autoritarismus zusammenhängt“, ergänzt Sabine Hess.
© Universität Bielefeld/ Philipp Ottendörfer
Abschottung passt nicht zum Selbstverständnis einer liberalen EU
Die Auswirkungen der europäischen Abschottungsbemühungen auf andere Länder seien zwar vielfach untersucht worden, nicht jedoch die Auswirkungen auf die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer selbst. Denn die Abschottung passe schlecht zum Selbstverständnis einer liberalen der EU, werde aber zunehmend als einzige Möglichkeit propagiert, eben diese liberale Gesellschaft zu schützen und zu erhalten. „Wir haben untersucht, wie sich diese Entwicklungen auf das rechtliche, moralische und soziale Gewebe der europäischen Gesellschaften auswirken“, erklärt Dana Schmalz: „Das fassen wir unter den Begriff der ‚Internalisierung der Grenzen‘“.
Für dieses Projekt hatten die Leiter*innen der Gruppe 30 Fellows aus zwölf Ländern eingeladen. Anthropolog*innen, Geschichtswissenschaftler*innen, Politikwissenschaftler*innen, Soziolog*innen und Jurist*innen waren ebenso an dem Projekt beteiligt, wie Vertreter*innen von Gender- und Kulturwissenschaft. Die Wissenschaftler*innen haben sich neben umfassenden theoretischen Fragen auch jeweils mit konkreten Fallstudien befasst, um herauszuarbeiten, wie die Außengrenzen funktionieren, wie sich das Wissen über Grenzen verändert und welche Konflikte die Grenzsicherung in den sich abgrenzenden Gesellschaften verursachen. Vor allem die Perspektiven der nicht aus Europa stammenden Forscher*innen habe sich dabei häufig als hilfreich erwiesen, so die Leiter*innen.
„Dabei haben wir nicht nur die Bedeutung und die Folgen des neuen Grenzregimes für die europäischen Gesellschaften untersucht, sondern auch einen interdisziplinären Rahmen entwickelt, der Begriffe und Ansätze bietet, um diese Vorgänge wissenschaftlich zu beschreiben. Diesen werden wir auf der abschließenden Tagung jetzt erproben“, berichtet Sabine Hess. Dazu sind außer den Fellows der Forschungsgruppe weitere Expert*innen für Grenzen, Rassismus und Populismus eingeladen, darunter die Spezialistin für Menschenrecht und Internationales Flüchtlings- und Migrationsrecht Tendayi Achiume (Stanford University), die Anthropologin Miriam Ticktin (New York) und der Jurist Maximilian Steinbeis (Verfassungsblog). Der Soziologe und Politikwissenschaftler William Walters (Ottawa, Kanada) wird einen Keynote-Vortrag zum Thema „‘Mapping Schengenland‘ Revisited: Legacies and Lacunae“ halten.
Die Konferenz findet in englischer Sprache statt. Anmeldungen bei Susanne Fizell unter: zif-researchsupport@uni-bielefeld.de