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Blick von unten auf den Queen Elizabeth II Great Court (British Museum London)

Christopher Voll entdeckt Ästhetik in Zahlen


Autor*in: Maria Berentzen

Für Professor Dr. Christopher Voll ist Mathematik mehr als Zahlen und Formeln – sie ist eine Form der Kunst. „Wenn ich eine kombinatorische Struktur in der Algebra entdecke, erlebe ich die Schönheit der Mathematik“, sagt er. Für ihn besitzen mathematische Strukturen eine Ästhetik, die er mit Musik oder anderen Kunstformen vergleicht. „Ich sehe mich als Wissenschaftler und als Künstler, auch wenn ich eine andere Sprache spreche.“ Diese Sichtweise prägt seine Arbeit – in der Forschung, in der Lehre und im Austausch mit anderen.

Als Ko-Leiter von gleich drei Teilprojekten im Sonderforschungsbereich/Transregio 358 „Ganzzahlige Strukturen in Geometrie und Darstellungstheorie“ widmet sich Christopher Voll intensiv sogenannten kombinatorischen Strukturen in der Algebra. In der Mathematik gibt es Bereiche, die zunächst unterschiedlich wirken, aber sich miteinander verbinden lassen – Kombinatorik und Algebra gehören dazu. Vereinfacht gesagt, beschäftigt sich Kombinatorik damit, wie sich Dinge zählen, anordnen oder verbinden lassen: Wie viele verschiedene Möglichkeiten etwa gibt es, Gäste einer Dinnerparty an einem Esstisch zu platzieren? Algebra hingegen befasst sich mit der Theorie und Praxis des Lösens von Gleichungen.

Prof. Dr. Christopher Voll an Wand gelehnt
Prof. Dr. Christopher Voll legt viel Wert darauf, in der Mathematik neue Perspektiven zu gewinnen.

Kombinatorik und Algebra miteinander zu verbinden, öffnet neue Perspektiven. Kombinatorische Probleme lassen sich mit algebraischen Werkzeugen modellieren und lösen – und umgekehrt. Die Algebra liefert dabei häufig die Sprache und die Methoden, um kombinatorische Zusammenhänge präzise zu beschreiben und neue Erkenntnisse zu gewinnen. „Für mich haben diese Strukturen auch einen geometrischen Aspekt“, sagt Voll. „Wenn ich an das Glasdach des British Museum in London denke, das aus vielen Dreiecken zusammengesetzt ist, sehe ich ähnliche Muster wie in den mathematischen Strukturen, die ich in meiner täglichen Arbeit untersuche. Abstrakte algebraische Strukturen zu visualisieren und damit greifbar zu machen – das ist eine wichtige Herangehensweise für mich.”

Forschungsverbund zu ganzzahligen Strukturen

Der Sonderforschungsbereich/Transregio „Ganzzahlige Strukturen in Geometrie und Darstellungstheorie“ (SFB/TRR 358) wird seit Januar 2023 von der DFG für vier Jahre gefördert. Getragen wird der Verbund von den Universitäten Bielefeld und Paderborn, wobei auch die Universität Bonn beteiligt ist. Insgesamt arbeiten darin 20 Professor*innen und drei Studienleiter*innen an 20 Teilprojekten. Erforscht werden zum Beispiel Gitter, Pflasterungen und symmetrische Muster, die in der Geometrie als wiederholende Teilflächen auftreten können. Die Forschung erstreckt sich von algebraischer Geometrie über die Analysis auf Mannigfaltigkeiten bis hin zur Darstellungstheorie assoziativer Algebren.

Denken in Bildern

Diese bildhafte Herangehensweise prägt sein Arbeitsumfeld. „Ich mache viele Zeichnungen und fertige Bilder an.“ Im Algebralabor an der Universität stehen drei Dinge im Mittelpunkt: ein Sofa, eine Kaffeemaschine und eine große Tafel. „Manchmal kommen Doktorand*innen oder andere Wissenschaftler*innen vorbei, um nach dem Mittagessen einen Kaffee zu trinken“, sagt er. „Aber da eine Tafel da ist, machen wir oft spontan gemeinsam Mathematik.“ Die enge Zusammenarbeit ist für den Forscher grundlegend. „Früher haben wir vereinzelt in unseren Büros gearbeitet und uns höchstens zum Seminar getroffen. Heute sind Zusammenarbeit und der Austausch untereinander viel wichtiger. Das Algebralabor ist dafür ein wichtiger Katalysator.”

Diese Vielfalt des Perspektiven ist auch ein zentraler Aspekt von ESyMath (Emergente Synergien in der Mathematik), einer Forschungsinitiative, das verschiedene Richtungen, Blickwinkel und Arbeitsweisen aus der Mathematik an der Universität Bielefeld miteinander vereint. „Eine der Grundideen von ESyMath ist es, andere Perspektiven in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt Voll, der die Initiative mit ins Leben gerufen hat. „Es entsteht ein großer Mehrwert, wenn fundamental verschiedene Arbeitsweisen zusammenkommen.“

Gemeinsame Sprache der Zahlen

An der Initiative sind viele Forschende der Universität beteiligt, die sich mit Mathematik beschäftigen – also nicht nur Wissenschaftler*innen aus der mathematischen Fakultät, sondern etwa auch aus den Wirtschaftswissenschaften, der Physik und der Technischen Fakultät. „Es ist erstaunlich einfach, mit Menschen zusammenzukommen, denen die Mathematik am Herzen liegt“, sagt Christopher Voll. „Wir reden gemeinsam über mathematische Objekte und Probleme und stellen fest, dass wir zwar eine andere Sprache sprechen, aber oft die gleichen Dinge meinen.“

Seine Neugierde, mathematischen Fragestellung von verschiedenen Blickwinkeln her anzugehen, begleitete Voll durch seine akademische Laufbahn. Nach seiner Promotion an der Universität Cambridge war er als Postdoktorand an der Universität Oxford tätig. Es folgten Forschungsaufenthalte am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn und an der EPFL, der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne. Bevor er 2011 an die Universität Bielefeld kam, war Voll Reader an der University of Southampton.

Tiefere Einblicke durch Methodenvielfalt

Bei seiner Arbeit greift Voll auf verschiedenste Methoden und Konzepte zurück. „An manchen Tagen bilde ich mir ein, dass ich meine Herangehensweise selbst entwickelt habe“, sagt er und lacht. „Wenn ich realistisch bin, weiß ich, dass ich mich in meiner Arbeit von der vieler anderer inspirieren lasse, sei es in der Algebra, der Kombinatorik oder der Geometrie.”

Die Kombination solcher verschiedener Techniken ermöglicht es ihm, tiefere Einblicke in komplexe mathematische Strukturen zu gewinnen. Praktische Anwendungen ergeben sich aus dieser Grundlagenforschung eher nicht, sondern es geht um neue Blickwinkel. Aber prinzipiell ist es laut Voll denkbar, dass sich mit der Verbindung der Gebiete auch Probleme aus anwendungsnahen Feldern lösen lassen.

Portrait von Prof. Dr. Christopher Voll
„Ich sehe es als meine Aufgabe, neue Perspektiven auf die mathematische Grundlagenforschung zu entwickeln.“
Prof. Dr. Christopher Voll

Die neue Generation einbeziehen

Seine Begeisterung für Mathematik möchte Voll auch an Studierende und jüngere Wissenschaftler*innen weitergeben. „Forschung baut immer auf dem Nachwuchs auf“, sagt er. In seiner Arbeitsgruppe arbeiten aktuell Menschen aus vier Ländern und mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen. „Es ist mir wichtig, dass Talente nicht verloren gehen“, erklärt er. „Zu meinen Studienzeiten gab es fast nur männliche Professoren, heute sind glücklicherweise auch mehr Frauen in der Mathematik vertreten.“ Er hält es für eine wichtige Aufgabe, Schüler*innen früh für die Mathematik zu begeistern. Dabei ist ihm das Teutolab Mathematik der Universität Bielefeld ein besonderes Anliegen – ein Mitmach- und Experimentierlabor, in denen Schüler*innen Mathematik praktisch erleben können.

Christopher Voll geht seine Arbeit mit großer Freude und Elan an – auch und gerade weil sie oft intensives Nachdenken erfordert und intellektuell anspruchsvoll ist. „Es ist nicht einfach, Mathematik auf einem hohen künstlerischen Niveau zu betreiben“, sagt er. „Aber genau das macht es so spannend.“