In diesem Jahr feiert das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung, sein 70. Jubiläum. In diesem Rahmen feiert die Fakultät für Physik der Universität Bielefeld in der Woche vom 16. bis zum 20. September mit täglichen Vorträgen den besonderen Geburtstag. Die beiden Physiker Professor Dr. Sören Schlichting und Dr. Bastian Brandt erläutern im Gespräch die Bedeutung des CERN für die Forschung und Gesellschaft und welchen Einfluss die dortigen Experimente auf ihre eigene Arbeit haben. Zudem geben sie einen Ausblick auf Vorträge und geplanten Programmpunkte der Jubiläumswoche in Bielefeld.
Die internationale Forschungseinrichtung CERN in der Nähe von Genf ist sicherlich vielen ein Begriff. Neben der physikalischen Grundlagenforschung mit Hilfe großer Teilchenbeschleuniger wie dem Large Hadron Collider (LHC), steht das CERN auch für technologische Entwicklungen, die gesellschaftlich höchst relevant sind. Zum 70. Jubiläum des CERN bietet die Universität Bielefeld eine Reihe an Vorträgen, die auch Fachfremden die Welt der Teilchenphysik näherbringen wollen. Physiker Professor Dr. Sören Schlichting und Dr. Bastian Brandt geben im Interview Aufschluss über die Bedeutung des CERN für Forschende und über die Verbindung zur Bielefelder Fakultät für Physik.
© Universität Bielefeld
Das CERN ist eine einzigartige Forschungseinrichtung, mit Wissenschaftler*innen aus über 80 Nationen, um dort Grundlagen der Physik zu erforschen. Welche Bedeutung messen Sie der Institution bei?
Bastian Brand: Vor 70 Jahren war die Teilchenphysik noch in ihren Anfängen. Man wusste zwar, dass Materie aus elementaren Bausteinen besteht, aber die genauen Bausteine und die Details über ihre Interaktion waren weitgehend unerforscht. Das CERN hat in dieser Hinsicht bahnbrechende Arbeit geleistet. Es wurden die ersten Teilchenbeschleuniger entwickelt, um diese Wechselwirkungen zu vermessen. Der Zusammenhalt von Kernen, Protonen und Neutronen war damals ein Rätsel, und das CERN ermöglichte uns, diese fundamentalen Prozesse zu erforschen.
Ein Meilenstein war der Nachweis des Higgs-Bosons 2012. Es erklärt, warum Teilchen Masse besitzen, ein zentraler Baustein des Standardmodells. Vorher wurden bereits bedeutende Entdeckungen, etwa zur Existenz der neutralen Ströme und der W- und Z-Bosonen, gemacht. Diese Fortschritte haben unser Verständnis revolutioniert und nebenbei Anwendungen wie das World Wide Web hervorgebracht
Sören Schlichting: Für die Forschung in Bielefeld ist das CERN sehr wichtig. Ein Schwerpunkt unserer theoretischen Arbeit ist die Untersuchung der starken Wechselwirkung im Inneren eines Atomkerns. Wir erforschen, ob es möglich ist, diese Bindungszustände aufzulösen und wie sich elementare Bausteine zu komplexen Systemen zusammensetzen. Solche Experimente am CERN helfen uns, unsere theoretischen Modelle zu überprüfen und Voraussagen für neue Experimente zu verbessern.
Bastian Brand: Das CERN bietet die Infrastruktur, um unsere Vorhersagen in der Praxis zu testen.
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Können Sie Beispiele nennen, wie Ihre Forschung am CERN möglicherweise Einfluss auf andere Fachgebiete an der Universität Bielefeld hat?
Bastian Brandt: Die CERN-Forschung hat Auswirkungen weit über die Teilchenphysik hinaus. Ein Beispiel ist die Technologieentwicklung, besonders im Bereich Computing. In Bielefeld nutzen wir einen GPU-Cluster für Gitter-QCD-Berechnungen, der auch von anderen Fachbereichen und Fakultäten genutzt wird. Die Nutzung dieser Technologien findet auch in der Informatik und Datenwissenschaft, insbesondere mit Bezug zur künstlichen Intelligenz, Anwendung.
Sören Schlichting: Unsere Arbeit hat auch enge Verbindungen zur Mathematik. Das Arbeiten mit Quantenfeldtheorien erfordern komplexe mathematische Methoden, die oft auf aktuellen Entwicklungen basieren. Dieser Austausch zwischen Physik und Mathematik ist in Bielefeld stark und fördert beide Disziplinen. Die Forschung am CERN legt Grundlagen für technologische Innovationen und wissenschaftliche Erkenntnisse, auch in der Mathematik und Computertechnologie.
Welche Bedeutung hat das CERN als Institution selbst für Wissenschaftler*innen?
Sören Schlichting: Das CERN ist ein Zentrum der wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Forscher*innen aus der ganzen Welt kommen dort zusammen, um die fundamentalen Fragen der Physik zu beantworten. Der Austausch vor Ort ist enorm wichtig.
Bastian Brandt: Für junge Wissenschaftler hat das CERN eine besondere Strahlkraft. Es bietet die Möglichkeit, auf höchstem Niveau zu arbeiten und sich mit den Besten der Welt auszutauschen. Das Prestige des CERN begeistert den wissenschaftlichen Nachwuchs und schafft eine einzigartige Atmosphäre der Zusammenarbeit
Was erwartet die Besucher*innen der Vortragsreihe zum 70. CERN-Jubiläum und an wen richten sich die Vorträge?
Bastian Brandt: Die Vortragsreihe richtet sich an ein breites Publikum, vom Laien bis zu Expert*innen. Es gibt eine Einführung in die Welt der Teilchenphysik, besonders in die Phänomenologie der vier fundamentalen Wechselwirkungen, die unser Universum zusammenhalten.
Sören Schlichting: Wir zeigen, wie die Forschung am CERN und in Bielefeld funktioniert. Neben theoretischen Grundlagen stellen wir aktuelle Experimente vor, etwa mit echten Daten vom Large Hadron Collider im Rahmen des Open-Data-Programms.
Bastian Brandt: Auch Einblicke in die Forschung hier in Bielefeld sind geplant und man erhält Informationen zu unserer Arbeit im Netzwerk ‘Teilchenwelt’, das Schüler*innen ermöglicht, an echten Forschungsprojekten mitzuwirken.