Skip to main content

„Anpassungsfähigkeit von Organismen gibt Anlass zur Hoffnung“


Autor*in: Universität Münster

Schaffen Tiere es, sich an eine immer schneller verändernde Umwelt anzupassen? Wenn ja, wie? Der Verhaltensbiologe und Freilandforscher Professor Dr. Oliver Krüger von der Universität Bielefeld gibt im Interview Einblicke in die Anpassungsfähigkeit von Tieren und die Rolle der Verhaltensbiologie angesichts des Klimawandels. Anlass ist eine Tagung des Transregio-Sonderforschungsbereichs NC³, der sich den ökologischen Nischen von Individuen bei sich ändernden Umweltbedingungen widmet, mit einem öffentlichen Vortrag von Oliver Krüger. Der Forschungsverbund wird von den Universitäten Bielefeld und Münster getragen. Die Tagung wird in Münster abgehalten.

Die Nachrichtenlage zum Klimawandel ist bedrückend. Können Sie dem etwas Positives entgegensetzen?

Um mit dem französischen Umweltschützer und Journalisten Yann Arthus-Bertrand zu sprechen: ‚Es ist zu spät, um pessimistisch zu sein‘. Zudem gibt die Anpassungsfähigkeit von Organismen durchaus Anlass zur Hoffnung. Es gibt viele Beispiele von schneller Anpassung durch Verhaltensflexibilität bei Tieren: Störche, die in Deutschland fast ausgestorben waren und durch eine Verhaltensumstellung auf andere Futterquellen ein tolles Comeback hingelegt haben; Eisbären, die gelernt haben, im Sommer Fische zu jagen, anstatt bei fehlender Eisdecke zu hungern; Hamster, die mitten in der Großstadt Wien leben. Wir müssen besser verstehen, welche Individuen am besten in der Lage sind, sich anzupassen – aber natürlich auch, wo die Grenzen der Anpassungsfähigkeit liegen. Die große Sorge ist, dass die Geschwindigkeit des Klimawandels aber auch andere anthropogen verursachten Veränderungen das Anpassungspotenzial der Organismen überfordern.

Prof. Dr. Oliver Krüger hält einen jungen Mäusebusssard.
Prof. Dr. Oliver Krüger ist begeisterter Freilandforscher.

Inwiefern spielt die Verhaltensbiologie eine Rolle bei der Forschung zum Klimawandel?

Verhaltensbiologie ist die integrative Kraft der organismischen Biologie, sie ist im Dreiklang mit Ökologie und Evolution besonders erfolgreich. Ihr kommt auch bei den Auswirkungen des Klimawandels auf Tiere eine zentrale Rolle zu. Bei vielen langlebigeren Arten ist die Generationszeit zu lang, um auf eine Anpassung durch Evolutionsprozesse zu hoffen. Hier kommt das Verhalten ins Spiel. Verhaltensinnovation, also das Entstehen neuer Verhaltensweisen, Verhaltensvariation (situationsabhängig unterschiedliches Verhalten) und Verhaltensplastizität (Veränderung bestehender Verhaltensmuster): Daraus kann in einer Generation Anpassung an sich ändernde Umwelten resultieren, und diese Prozesse müssen wir noch viel besser verstehen.

Sie sind begeisterter Freilandforscher, richtig?

Ich durfte mein Hobby zum Beruf machen, das ist ein großes Glück. Ich habe mehrere Jahre meines Lebens in der Antarktis, in verschiedenen Ländern Afrikas, auf Galapagos und Madagaskar verbracht, um Tiere im Freiland zu erforschen.

Drei Uhus, davon zwei Jungtiere
Auch Greifvögel wie diese Uhus sind Forschungsobjekte der Verhaltensbiologie.

Also heißt Biologie heute nicht unbedingt, dass man vor allem im Labor steht?

Das Verhalten der Tiere findet auf einer ökologischen Bühne und vor einem evolutionären Hintergrund statt, das können wir nicht alles ins Labor transferieren. Moderne Verhaltensforschung bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass wir nicht die modernen Methoden aus der molekularen Biologie nutzen. Genetische und epigenetische Grundlagen der Verhaltensvariation, hormonelle Korrelate, Mikrobiome als Ursachen für Verhaltensunterschiede, all das untersucht auch ein Freilandbiologe. Verhaltensforschung im 21. Jahrhundert ist gerade deswegen so spannend. Wir haben hochrelevante Fragen, die wir mit einem modernen Methodenportfolio erforschen.

Welches Ihrer aktuellen Forschungsprojekte liegt Ihnen besonders am Herzen?

Wie bei eigenen Kindern sollte man alle gleich liebhaben. Ob nun die Seelöwen auf Galapagos, die Greifvögel in Westfalen, die Kiebitze auf Madagaskar oder die Zebrafinken im Labor, jedes unserer Projekte ist äußerst spannend. Alle diese Projekte eint der Ansatz, über Jahrzehnte dabei zu sein, um zu dokumentieren, wie sich Verhalten in sich ändernden Umwelten anpasst.

Ein Eisbär mitten im Sprung fotogtrafiert
Ein Hoffnungsschimmer in Zeiten des Klimawandels: Manche Eisbären haben gelernt, im Sommer Fische zu jagen, anstatt bei fehlender Eisdecke zu hungern.

Individuelle Nischenanpassung im Fokus

Die Verhaltensforschung spielt eine Schlüsselrolle, um zu untersuchen, wie Tiere es schaffen, sich an eine immer schneller verändernde Umwelt anzupassen. Prof. Dr. Oliver Krüger von der Universität Bielefeld zeigt in einem öffentlichen Vortrag am 4. September, dass das Verhalten besonders flexibel ist und Tiere damit eine Möglichkeit haben, sehr schnell auf Veränderungen der Umwelt zu reagieren. Der öffentliche Vortrag beginnt um 17 Uhr im Fürstenberghaus in Münster. Er ist Teil einer Tagung des Transregio-Sonderforschungsbereichs (SFB/TRR) 212. In dem Verbund erforschen Angehörige der Universitäten Bielefeld, Münster, Jena und Mainz, wie sich Tiere angesichts sich verändernder Umweltbedingungen ihre individuelle ökologische Nische suchen. Oliver Krüger, Leiter der Arbeitsgruppe „Animal Behaviour“ an der Universität Bielefeld, ist derzeit Sprecher des SFB/TRR. Ko-Sprecher Prof. Dr. Joachim Kurtz, Leiter der Arbeitsgruppe „Animal Evolutionary Ecology“ an der Universität Münster, übernimmt das Sprecheramt im Januar 2025. Der vollständige Titel des SFB-TRR lautet „Eine neue Synthese zur Individualisation für die Verhaltensforschung, Ökologie und Evolution: Nischenwahl, Nischenkonformität, Nischenkonstruktion“.

Diesen Artikel haben wir von der Universität Münster übernommen. Der Originalartikel ist hier zu finden.