Straßenszene aus einer belebten Fußgängerzone

„Zufriedenheit mit Pandemiemanagement variiert regional“


Autor*in: Lisa Janowski

Der Soziologe Professor Dr. Simon Kühne forscht an der Universität Bielefeld im Center for Uncertainty Studies (CeUS) zur Zufriedenheit mit dem Pandemiemanagement in Deutschland. Gemeinsam mit Fachkolleg*innen wertete er die Angaben von 6.700 Menschen aus, die während der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 bundesweit zu ihrer Einstellung bezüglich der Pandemiemaßnahmen befragt wurden und von denen 6.000 Anfang 2021 ein zweites Mal kontaktiert wurden. Die Analyse brachte Erkenntnisse, die bei der Bewältigung von zukünftigen Krisen nützlich sein können. Im Interview erklärt Simon Kühne, unter welchen Umständen die Zufriedenheit der Bevölkerung am höchsten ist und welche Erkenntnisse daraus gezogen werden können.

Die Covid-19-Pandemie hat Menschen weltweit in eine nie da gewesene Extremsituation versetzt. Die gesetzlich vorgegebenen Maßnahmen und die damit verbundenen Einschränkungen im alltäglichen Leben stießen in der Bevölkerung in Deutschland nicht immer auf Verständnis und Akzeptanz. Dementsprechend war auch der Umgang mit den vorgegebenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und die Bereitschaft, sich nach den Vorgaben zu verhalten, nicht einheitlich. Hier setzte die Studie zur Zufriedenheit mit dem Pandemiemanagement und der Einhaltung von Maßnahmen im Gesundheitswesen an, erschienen im Fachmagazin PLOS ONE. Die Studie ging der Frage nach: Wie wirkte die Zufriedenheit mit den Bemühungen der Regierung, auf die Covid-19-Krise zu reagieren, auf die Einhaltung von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie?

Was hat Sie bewogen, sich dieses Themas anzunehmen und eine umfangreiche Befragung vorzunehmen?

Simon Kühne: Das Aufkommen der Corona-Pandemie hat jeden einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes vor vollkommen neue Herausforderungen gestellt. Uns war früh bewusst, dass umfassende Daten zu den gesellschaftlichen Faktoren und Folgen der Krise benötigt werden. Insbesondere sind wir davon ausgegangen, dass die Krise nicht alle gleichermaßen trifft und betrifft, sondern dass es Unterschiede im Risiko und den zu tragenden Kosten zwischen Bevölkerungsgruppen geben wird. Schon zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 sind wir daher mit dem Projekt „SOEP-CoV: Sozio-ökonomische Faktoren und Folgen der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland“ gestartet, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. In dem Projekt haben wir viele Tausend Haushalte in ganz Deutschland mehrfach befragt – zum ersten Mal schon im April 2020 – und dafür die Befragungsinfrastruktur des Sozio-ökonomischen Panels – SOEP – genutzt, eine der größten und seit 1984 laufenden Wiederholungsbefragungen von Haushalten in Deutschland.

Professor Dr. Simon Kühne.
„Wie zufrieden die Befragten mit dem Management der Pandemie waren wich zwischen Ost- und Westdeutschland deutlich ab. Unterschiede sind auch auf Landesebene und kommunaler Ebene festzustellen“, sagt Prof. Dr. Simon Kühne.

Die Pandemie war für die Bevölkerung Deutschlands eine beispiellose Erfahrung. Lassen sich Unterschiede im Pandemiemanagement im regionalen Vergleich feststellen?

Simon Kühne: Selbst innerhalb von Deutschland, zum Beispiel im Vergleich von Bundesländern, aber auch auf regionaler Ebene wurden Unterschiede im Pandemiemanagement deutlich. Gleiches gilt für den internationalen Vergleich. Unterschiedliche Ansätze waren insbesondere im Hinblick auf die Regulierung des sozialen Lebens, der Kontakte und verordneter Hygiene-Maßnahmen zu beobachten. Hier sind Länder ganz unterschiedliche Wege gegangen.

Stellt die „deutsche Mentalität“ besondere Ansprüche an solch ein Krisenmanagement?

Simon Kühne: Welchen Einfluss eine „deutsche Mentalität“ gehabt haben könnte, ist schwer zu sagen. Auch im internationalen Vergleich gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die für etwaige Unterschiede verantwortlich sein könnten. Sicher ist jedoch, dass viele Maßnahmen und damit verbundene Verhaltensweisen die Bevölkerung in Deutschland zum ersten Mal in dieser Form getroffen haben. Hygiene-Maßnahmen wie das Tragen von Masken mussten mehr oder weniger ganz neu erlernt werden – hier waren andere Länder teilweise schon eingeübter.

Welche Schwerpunkte waren Ihnen in der Studie besonders wichtig?

Simon Kühne: Mit dem übergeordneten Projekt SOEP-CoV-Projekt haben wir das Ziel verfolgt, eine belastbare Datenbasis für die Sozialwissenschaften und verwandte Disziplinen bis hin zur epidemiologischen Forschung zu schaffen. Das auf Zufallsstichproben der Bevölkerung basierende SOEP hat sich dafür sehr gut geeignet. Über eine Zusammenarbeit mit anderen Partnern und insbesondere dem Robert Koch-Institut konnten wir die Befragungsinhalte so konzipieren, dass möglichst viel Erkenntnispotenzial für eine Vielzahl von Disziplinen entsteht. Thematische Schwerpunkte lagen in den Bereichen Prävalenz, Gesundheitsverhalten und gesundheitliche Ungleichheit, Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit, soziales Leben, Netzwerke und Mobilität, psychische Gesundheit und Wohlbefinden sowie gesellschaftlicher Zusammenhalt.

Welche Erkenntnisse konnten durch die Auswertung der Umfrage gewonnen werden?

Simon Kühne: Für einen umfassenden Überblick über Ergebnisse und Publikationen des SOEP-CoV Projekts verweise ich auf unsere Projekthomepage. In unserer konkreten Analyse zum Pandemiemanagement und der Einhaltung von Hygienemaßnahmen, die ich mit Kolleg*innen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dem IAB, in Nürnberg durchgeführt habe, haben wir uns dafür interessiert, ob sich individuelle Unterschiede im Hygiene- und Schutzverhalten rund um die Pandemie mit der individuellen Zufriedenheit mit den Pandemiemanagement erklären lassen. Falls ja, wäre dies eine wichtige Information für das weitere Management und zukünftige Krisen, ganz besonders mit Blick auf eine klare Kommunikation zum besseren Verständnis der entschiedenen Maßnahmen durch die Politik. Und tatsächlich finden wir robuste Hinweise auf einen solchen Zusammenhang: Wer zufriedener mit dem Pandemiemanagement der Bundesregierung war, war im Mittel auch eher bereit, persönlich umfassendere Hygienemaßnahmen und -verhaltensweisen zu befolgen, also zum Beispiel das Tragen einer Maske oder das Vermeiden von Menschenmengen.

Lassen sich Regionen ausmachen, in denen mit mehr Zufriedenheit reagiert wurde oder Regionen, in denen die Bevölkerung unzufriedener war als der Durchschnitt?

Simon Kühne: Auf Basis unserer Daten sehen wir für Deutschland einen regionalen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland. Befragte in Ostdeutschland waren in den Jahren 2020 und 2021 im Vergleich weniger zufrieden mit dem Pandemiemanagement als Befragte in Westdeutschland.

Simon Kühne
„Wer zufriedener mit dem Pandemiemanagement der Bundesregierung war, war im Mittel auch eher bereit, persönlich umfassendere Hygienemaßnahmen und -verhaltensweisen zu befolgen.“
Prof. Dr. Simon Kühne

Gab es Ergebnisse, die Sie so nicht erwartet hätten?

Simon Kühne: Überrascht haben uns die teils deutlichen regionalen Unterschiede innerhalb von Deutschland. Sowohl die Zufriedenheit mit dem Pandemiemanagement variiert regional stark als auch die Einhaltung der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betreffend. Neben Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland zeigen diese sich auch auf kleinerer räumlicher Ebene.

Könnten Sie das näher erläutern?

Simon Kühne: Im Vergleich einzelner Bundesländer konnten wir teils deutliche Unterschiede in der Zufriedenheit mit dem Krisenmanagement feststellen – und das auch in Bezug auf die jeweilige Zufriedenheit mit dem Handeln auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Während die Bürger*innen in Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern und Bayern im Jahr 2020 mit dem Management auf Landesebene im Vergleich zur Bundes- und Kommunalebene zufriedener waren, bewerteten Befragte das Krisenmanagement in Berlin und Nordrhein-Westfalen vergleichsweise kritisch, das heißt, sie waren im Vergleich zur kommunalen Ebene und der Bundesregierung eher unzufrieden mit dem Handeln ihrer Landesregierung.

Sind Sie der Meinung, dass im Falle einer weiteren Pandemie Lehren aus den Maßnahmen und dem entsprechenden Umgang der Bevölkerung gezogen werden können?

Simon Kühne: Wie gut jeder Einzelne und wir als Gesellschaft insgesamt auf eine weitere Pandemie vorbereitet sind, da kann ich nur mutmaßen. Ich bin mir aber sicher, dass bestimmte Verhaltensweisen und Maßnahmen relativ schnell wieder in der Breite der Bevölkerung umgesetzt würden. Auch aktuell, mit dem Aufkommen der winterlichen Erkältungswelle und trotz vergleichsweise geringer Corona-Infektionszahlen tragen viele Menschen zum eigenen Schutz und zum Schutz anderer eine Maske – auch ohne, dass es dazu aktuell eine Verpflichtung gibt.

Zur Person

Professor Dr. Simon Kühne ist seit Mai 2021 Juniorprofessor für Applied Social Data Science (Angewandte Sozialdatenwissenschaft) an der Fakultät für Soziologie. Seine Forschung umfasst eine Kombination aus Grundlagenforschung zu Datentypen und Analysemethoden in den Sozialwissenschaften und inhaltlich-soziologischer Forschung zu Aspekten sozialer Ungleichheit wie Diskriminierung und Rassismus. Simon Kühne studierte Soziologie und Survey Methodology an der Universität Duisburg-Essen und promovierte 2018 an der Humboldt-Universität zu Berlin. An der Universität Bielefeld forscht und lehrt er seit 2018 und ist seit 2020 als Wissenschaftlicher Koordinator des Leibniz-WissenschaftsCampus „SOEP-RegioHub“ tätig.