Vom Verhalten der Art zum Verhalten des Einzelnen


Autor*in: Universität Bielefeld

Der Lehrstuhl für Verhaltensforschung an der Universität Bielefeld war der erste seiner Art an einer deutschen Universität, als er im Wintersemester 1973/74 gegründet wurde. In 50 Jahren Forschungsarbeit hat sich der Fokus der Wissenschaftler*innen verändert – von der Beobachtung des Verhaltens einer ganzen Tierart zur Betrachtung des individuellen Verhaltens der einzelnen Tiere und von viel beachteter Pionierarbeit bis zur internationalen Spitzenforschung.

„Es war Klaus Immelmann, der sich seit seiner Berufung im Jahr 1973 um den Aufbau des Gebäudes der Verhaltensforschung und der dafür erforderlichen Tierhaltung bemühte“, berichtet Professor Dr. Oliver Krüger, der heutige Leiter des Lehrstuhls Verhaltensforschung an der Fakultät für Biologie. Vor allem Zebrafinken wurden zu Forschungszwecken gezüchtet.

Professor Dr. Oliver Krüger
Prof. Dr. Oliver Krüger leitet den Lehrstuhl für Verhaltensforschung seit 2013. Bekannt ist er insbesondere für seine Studien zu Mäusebussarden und Seelöwen.

Unter der Leitung von Professor Dr. Klaus Immelmann entwickelte sich die Abteilung für Tierverhalten in kurzer Zeit zu einem international führenden Zentrum der Verhaltensforschung. „Die ersten Forschungsfragen konzentrierten sich auf klassische ethologische und neuroethologische Fragestellungen wie die sexuelle Prägung und die Navigation von Tieren“, sagt Oliver Krüger. Bei Ethologie handelt es sich um die biologische Untersuchung des Verhaltens von Tieren. Neuroethologie bezieht in solche Untersuchungen die Aktivitäten von Nervenzellen ein.

Die Verhaltensforschung an der Universität Bielefeld


Das Video zeigt die ganze Bandbreite der Tierverhaltensforschung an der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld.

I want to understand why animals behave the way they do.
It’s like a sickness of scientists.
I can’t stop to be curious and motivated in finding out new things.
And it’s really like observing animals and finding out
why are they doing what we see them doing.
It is actually a historic building, although it doesn’t look like it.
It is the first department of animal behavior at any university in Germany.
It was founded on the 1st of November 1973,
and the first chair, Klaus Immelmann, made the department quite famous.
And hence, I believe this is indeed a historic place
and it is a wonderful place to work in because of the people who actually work here.
We study different facets of animal behavior
and we use different techniques, for example, machine learning,
but also molecular techniques to understand certain aspects of behavior.
And of course, in the long run, we hope to understand better
what is causing individual differences in behavior.
But we are also open
to all the new aspects that are hopefully coming in the future.
Behavior of animals is quite diverse,
and that’s why the research on this topic is also quite diverse.
We work with milligram heavy insects
and we see elephants that almost weigh a ton.
And as different as those animals are, are the behaviors we look at.
We do have such a variety of model systems.
In the lab we work with zebra finches and other estrildid finches.
Outside the university building,
There are the birds of prey.
So we work with goshawks, buzzards, eagle owls.
Even further afield we have long term field studies on Galapagos sea lions.
There is a long term project on Madagascar on different species of plovers.
So I think it’s the breadth and variety of model system
that really characterizes our approach to animal behavior.
For example, in the fire salamander research, where we are actually
currently looking at how much are these individuals moving in
their habitat and is there a difference between males and females?
Is there a difference between different individuals?
And in the long run, we really hope to understand
what is causing these differences.
In our department there is over 50 people.
So it’s a quite big department.
And in conjunction with Barbara Caspers and Klaus Reinhold,
there’s almost 90 people here studying all kinds of aspects
of the behavior ecology and evolutionary ecology
of a whole range of organisms, from insects to mammals and birds.
And I think that also makes this department unique,
that we have such a kind of big force of people interested in let’s say:
The over realm of animal behavior.
Whenever I tell anybody else that we help each other with money,
with space, with instruments, they usually have never heard of that.
And this is really perfectly done here in this building.
So there are many possibilities that people meet, chat often about science
or even work together from different groups,
and it doesn’t matter from which group they are.
We have an international team of scientists here
that have very different questions and that focus on different
animal species as well as different questions.
And that is something that is so inspiring on a daily routine
that I think there is no better place to work.

Immelmann-Lecture erinnert an Gründer der Bielefelder Verhaltensforschung

Klaus Immelmann organisierte sowohl den Internationalen Ethologiekongress (1977) als auch ein einjähriges Forschungsthema am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZIF), die beide Bielefeld als Zentrum für Tierverhaltensforschung national und international bekannt machten. Um das Vermächtnis des ersten Professors für Tierverhalten an der Universität Bielefeld zu ehren, wurde 2001 von Fritz Trillmich die Immelmann-Lecture ins Leben gerufen. Jedes Jahr im November oder Dezember wird ein weltweit führender Wissenschaftler eingeladen, die Vorlesung zu halten. Die Immelmann-Vorlesung 2023 wurde von dem Zoologen Professor Dr. Norbert Sachser von der Universität Münster, gehalten.

Ein Team von mehr als 50 Verhaltensforschenden

Professor Dr. Fritz Trillmich übernahm 1990 die Leitung der Abteilung und machte die Verhaltensökologie zum zentralen Forschungsthema. Nach fast 25 Jahren, in denen Fritz Trillmich die Abteilung leitete, übernahm Oliver Krüger 2013 die Leitung des Lehrstuhls. An dem Lehrstuhl ist auch der Evolutionsgenetiker Professor Dr. Joseph Hoffman tätig. Eine eigene Arbeitsgruppe zur Evolutionsbiologie unter Leitung von Professor Dr. Klaus Reinhold geht Fragen dazu nach, wie sich Individuen und Populationen, beeinflusst vom Erbgut, an ihre Umwelt anpassen. Seit 2020 wird die Verhaltensforschung auch durch einen eigenen Lehrstuhl zur Verhaltensökologie ergänzt, der von Professorin Dr. Barbara Caspers geleitet wird.

Mehr als 50 Wissenschaftler*innen gehören heute zur Bielefelder Verhaltensforschung. Sie untersuchen das Verhalten von Tieren sowohl im Labor als auch im Feld und arbeiten dabei auf Basis der vier Fragen-Theorie nach Nikolaas Tinbergen. Bekannt ist die Bielefelder Verhaltensforschung aktuell für ihre Laborstudien an Zebrafinken und Wildmeerschweinchen sowie ihre Langzeit-Feldstudien an Greifvögeln wie dem Mäusebussard und dem Habicht wie auch Feldstudien an Robbenarten wie dem Galapagos-Seelöwen und dem Kerguelen-Seebär. Die Bielefelder Verhaltensforschenden arbeiteten mit Kolleg*innen weltweit zusammen. Welches Ansehen ihre Forschung genießt, zeigt sich jüngst darin, dass sie die Behaviour 2023 nach Bielefeld holten. Der Weltkongress zur Verhaltensforschung zog mehr als 800 Teilnehmende an, darunter Spitzenwissenschaftler*innen aus allen Disziplinen der Verhaltensforschung – von der Ethologie über die Verhaltensgenetik bis hin zur Anthropologie.

Keimzelle der Fakultät für Biologie

Mit der Berufung von Professor Dr. Klaus Immelmann am 1. November 1973 begann nicht nur die Geschichte der Verhaltensforschung in Bielefeld, sondern auch die Geschichte der Biologie an der Universität Bielefeld. 1976 wurde die Fakultät für Biologie gegründet. In der Anfangszeit der Fakultät arbeiteten die Wissenschaftler*innen im 1974 errichteten Gebäude der Verhaltensforschung. Die Fakultät siedelte 1977 in das Universitätshauptgebäude um – mit Ausnahme der Verhaltensforschung.

Verbundforschung mit Kolleg*innen der Universität Münster

„Eine aktuelle Problemstellung in der Verhaltensbiologie sind die tiefgreifenden Unterschiede zwischen Individuen“, erklärt Krüger. „Dazu gehört auch der Befund, dass diese individuellen Eigenschaften über die Zeit und über verschiedene Kontexte hinweg stabil sein können. Die Erkenntnisse dazu haben zum Konzept der Tierpersönlichkeiten geführt.“ Mit diesen Themen befassen sich die Bielefelder Verhaltensforschenden seit 2018 im Sonderforschungsbereich „NC3“ zur Analyse der ökologischen Nischen von Individuen (SFB/TRR 212). Der Zusammenschluss wird gemeinsam von den Universitäten Bielefeld und Münster getragen.

Welche Rolle Individualisierung unter wechselnden Bedingungen spielt, untersuchen Wissenschaftler*innen beider Universitäten seit disziplinenübergreifend im gemeinsamen Institut JICE. JICE bildete die Basis für den 2021 eingerichteten Verbund „Individualisierung in sich ändernden UmWelten“ (InChangE). Die daran beteiligten Forschenden kombiniert Methoden und Wissen von Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, um Individualisierung systematisch und experimentell zu untersuchen. Gefördert wird der Verbund vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.

Was die Wissenschaft der Individualisierung ausmacht, damit will sich eine neue Forschungsinitiative der beiden Universitäten Bielefeld und Münster befassen. Unter dem Titel „SOFI“ bewirbt sich der Zusammenschluss aktuell um einen Exzellenzcluster als Teil der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder.