Die Abteilung für Psychologie der Universität Bielefeld ist mit ihren neu aufgestellten und erweiterten Forschungs- und Lehrambulanzen umgezogen in das H1-Hochhaus in der Bielefelder Innenstadt. Hier erfolgt ab sofort die Ausbildung der angehenden Psychotherapeut*innen in Diagnostik und Therapie, sowie die Forschung. Die Universität hat dafür Lehr- und Forschungsflächen (u. a. Therapie- und Seminarräume) auf sechs Etagen angemietet, baut ihr Studienangebot im Bereich Psychologie aus und wird zu einem der größten Ausbildungsstandorte für Psychotherapeut*innen in Nordrhein-Westfalen. Die wissenschaftlichen und geschäftsführenden Leiter*innen haben die Ambulanzen nun vorgestellt.
Die staatliche Zulassung als Psychotherapeut*in erfolgt nach der bundesweiten Reform des Gesetzes zur Ausbildung von Psychotherapeut*innen nun nach einem fünfjährigen Universitätsstudium. In diesem Zusammenhang reformiert und erweitert die Universität Bielefeld ihr Ausbildungsangebot und erhöht die Anzahl der Studienplätze um ein Viertel: Bis zum Wintersemester 2025/2026 werden die Studienplätze im Bereich Psychologie um ein Viertel erweitert auf insgesamt 1.100 Plätze im Bachelor- und Masterbereich. Pro Jahrgang sind das 170 Studienplätze im Bachelor und 140 Studienplätze im Master.
Nach einem einheitlichen Bachelorstudium belegen die Studierenden im Masterstudium nach Interesse einen spezialisierten Masterstudiengang in angewandter Psychologie (30 Studienplätze pro Studienjahr), in experimenteller Psychologie (20 Studienplätze pro Studienjahr) oder im Studiengang Klinische Psychologie und Psychotherapie (90 Studienplätze pro Studienjahr). Der Masterstudiengang Klinische Psychologie und Psychotherapie ermöglicht die staatliche Prüfung in Psychotherapie. In den Hochschulambulanzen nehmen die Studierenden an drei Lehrtherapien teil, die mindestens 12 aufeinanderfolgende Sitzungen umfassen. Unter Anleitung approbierter Therapeut*innen werden die Studierenden in die Behandlung einbezogen und beteiligt.
© Universität Bielefeld / Sarah Jonek
Für diese aufwändige Ausbildung der künftigen Psychotherapeut*innen mit viel Raum- und Personalbedarf konnte die Universität Bielefeld die Räumlichkeiten im H1-Gebäude anmieten. Auf dem Campus standen keine ausreichenden Flächen zur Verfügung. Die Studierenden werden in drei Ambulanzen ausgebildet.
Die Psychotherapie-Ambulanz der Universität Bielefeld (PAdUB) wird geleitet von Professor Dr. Frank Neuner und Geschäftsführerin Dr. Hanna Kley. „Wir erforschen insbesondere, welche Faktoren und Mechanismen psychische Erkrankungen aufrecht erhalten und wie wir mit pragmatischen Behandlungsansätzen wie Kurzzeittherapien und Gruppentherapien Patientinnen und Patienten schnell helfen können“, sagt Professor Dr. Frank Neuner. Darüber hinaus werden bis-lang wenig untersuchte Störungsbilder erforscht, dazu gehört beispielsweise die Überempfind-lichkeit gegenüber Geräuschen (Misophonie). Ein eigenes neurophysiologisches Labor wird künftig die Verbindung zur Grundlagenforschung vor allem auch zu Traumafolgestörungen darstellen. Die neuen Räume erlauben hier auch das erweiterte Angebot von Gruppentherapien für Menschen mit sozialen Ängsten und Depressionen.
Die Psychotherapie-Ambulanz für Kinder, Jugendliche und Familien (PAJUFAM) wird geleitet von Professorin Dr. Nina Heinrichs und Geschäftsführerin Ina Och. „Wir legen den Schwerpunkt in unserer Ambulanz auf interpersonelle Beziehungen und wenig erforschte Störungsbilder. Wir profitieren von den neuen Räumlichkeiten vor allem, weil wir nun die Möglichkeit haben, psychotherapeutische Angebote für unterschiedliche Entwicklungsphasen zu machen, familienorientiert zu arbeiten und die Forschung, auch räumlich, in die ambulanten Prozesse einzubinden und Studierenden eine Ausbildung unter Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven anzubieten“, erklärt Professorin Dr. Nina Heinrichs. In dieser Ambulanz wird erforscht, wie Beziehungen, in denen wir leben, sowohl eine Ressource als auch ein Risiko für die Entwicklung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen darstellen können und wie Psychotherapie davon profitiert, wichtige Beziehungen zu berücksichtigen bei der Therapieplanung und -durchführung. Ein zweiter Schwerpunkt liegt darauf zu erforschen, wie Kinder und Jugendliche Informationen aus der Umwelt verarbeiten. Ein dritter Schwerpunkt liegt auf der Optimierung von Interventionen, besonders bei bisher wenig erforschten Problemlagen im Kindes- und Jugendalter. Dabei erforscht das Team auch die Ergänzung durch innovative Methoden (etwa Virtual Reality), sodass Patient*innen von modernen Therapieansätzen profitieren können. Auch bietet die Ambulanz eine Anlaufstelle für Familien, die sich entschieden haben, Fürsorge für ein Kind im Pflege- oder Adoptivkontext zu übernehmen. Das Team dieser Ambulanz arbeitet gemeinsam mit den Studierenden sowohl mit Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern im Bereich Diagnostik sowie im Einzel-, Familien und/oder Gruppenpsychotherapie-Format.
Die Dritte im Bunde ist die neu eingerichtete Neuropsychologische Ambulanz der Universität Bielefeld (NeuroPABi) unter der wissenschaftlichen Leitung von Professorin Dr. Katja Werheid und der Geschäftsführerin Johanna Hoff. Hier werden Patient*innen mit emotionalen und kognitiven Beeinträchtigungen bei Erkrankungen und Schädigungen des Gehirns behandelt, etwa nach Schlaganfällen, Schädelverletzungen oder Hirntumoren. Das Angebot richtet sich sowohl an Kinder als auch an Erwachsene. „Wir können in den neuen Räumlichkeiten mit neuen Behandlungsmethoden arbeiten, wie Neurofeedback oder Augmented Reality, um ADHS und Neglect – also Wahrnehmungsstörungen – zu therapieren“, erklärt Professorin Dr. Katja Werheid. Auch Gruppentherapien sind hier möglich, beispielsweise bei psychischer Belastung nach einem Schlaganfall. Neuropsychologische Therapie ist erst seit 2011 als ambulante Therapieform zugelassen und ein Zukunftsfeld angesichts der demografischen Entwicklung. Bielefeld gehört zu den bundesweit etwa zehn Standorten, an denen diese Therapie schon im Studium nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch gelehrt wird.
Die Ambulanzen kooperieren eng mit Kliniken und Praxen in der Stadt und in der Region. Dies gilt für die Zusammenarbeit bei der Behandlung von Patient*innen, für spezielle Therapien, die nur im Rahmen von Forschungsprojekten angeboten werden können, und auch für die praktische Ausbildung im Rahmen des Studiums. Mit acht Kliniken in OWL hat die Universität Bielefeld bereits Kooperationsverträge für die stationären Praktika abgeschlossen, die in der neuen Approbationsordnung vorgeschrieben sind: Mit dem Evangelischen Klinikum Bethel / Universitätsklinikum OWL (hier mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie), dem LWL Klinikum Gütersloh (einschl. Reha-Einrichtung Hans Peter Kitzig-Institut, dem LWL-Klinikum Paderborn, dem LWL-Klinikum Marsberg, dem LWL Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstadt, der Berolina Klinik Löhne / Bad Oeynhausen, der Klinik am Rosengarten Bad Oeynhausen und dem AMEOS Klinikum Bad Salzuflen. Weitere Kooperationen sollen in den nächsten beiden Jahren hinzukommen.
Darüber hinaus arbeiten die Ambulanzen auch übergreifend zusammen: Es gibt einige altersübergreifende Angebote von den Teams um Professor Neuner und Professorin Heinrichs, die wissenschaftlich begleitet werden. Beispielsweise gibt es Projekte mit auch minderjährigen Geflüchteten, ein Angebot für Kinder von Eltern mit einer psychischen Störung oder altersübergreifende Angebote zu den Bereichen Misophonie und körperdysmorphe Störung.