Zu Wanderarbeiter*innen, Expatriates oder auch Grenzpendler*innen wird bisher meist nur erforscht, was ihre Ein- oder Auswanderung für die betroffenen nationalen Arbeitsmärkte bedeutet. Ein gemeinsames Graduiertenkolleg der Universitäten Bielefeld und Duisburg-Essen geht darüber hinaus: Es untersucht grenzüberschreitende Arbeitsmärkte als eigenständiges Phänomen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet das Kolleg zur Qualifizierung von Wissenschaftler*innen in frühen Karrierephasen zum April 2024 ein. Das hat die DFG heute (08.11.2023) bekannt gegeben. Gefördert wird das Kolleg über fünf Jahre mit bis zu 6,7 Millionen Euro.
Sprecherin des Kollegs wird die Arbeits- und Wirtschaftssoziologin Professorin Dr. Ursula Mense-Petermann von der Universität Bielefeld, ihre Stellvertreterin wird Professorin Karen Shire PhD von der Universität Duisburg-Essen, deren Arbeitsschwerpunkt in der vergleichenden Arbeitsmarkt- und Asienforschung liegt.
Bisher dominiert nationale Sicht auf grenzüberschreitende Arbeitsmärkte
Von Seeleuten über Pflegekräfte bis hin zu Programmierer*innen oder auch Fleischzerlegern: Angehörige dieser Berufe sind vielfach im Ausland tätig, ohne sich von ihrem Heimatland zu lösen. Ihre Arbeitsplätze sind in transnationale Arbeitsmärkte eingebunden. Die Arbeitskräfte wechseln in mehr oder weniger kurzen Abständen zwischen Heimat- und Arbeitsland oder arbeiten im Homeoffice für eine Firma im Ausland. „In der Forschung wird grenzüberschreitende Arbeit vor allem als Immigration in einen nationalen Arbeitsmarkt oder Emigration aus einem nationalen Arbeitsmarkt untersucht“, sagt die künftige Kollegsprecherin Ursula Mense-Petermann. „Das greift zu kurz. Grenzüberschreitende Arbeitsmärkte sind in ein eigenes Geflecht von länderübergreifenden Organisationen, Infrastrukturen und Institutionen eingebettet.“
© Foto li.: Universität Bielefeld, Foto re.: AD-MPIfG
„Uns treibt die große Frage an, wie eine soziale Ordnung der Arbeitsmärkte im transnationalen Maßstab überhaupt möglich ist“, sagt die stellvertretende Kollegsprecherin Karen Shire. Welche Akteure und Institutionen diese Ordnung herstellen und sich so auf die grenzüberschreitend tätigen Arbeitskräfte auswirken, das wird künftig im Kolleg erforscht. Elf Professor*innen kooperieren in dem Graduiertenkolleg. Zu ihnen gehört außer den Forschenden der Universitäten Bielefeld und Duisburg-Essen auch eine Forscherin der Universität Osnabrück. Ihr gemeinsames Forschungsprogramm geht der Frage nach, wie ökonomisches Handeln auf Arbeitsmärkten in soziale Netzwerke, Institutionen oder politische Gefüge eingebettet ist. „Dafür setzen wir auf eine innovative interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen soziologischer und ökonomischer Arbeitsmarkt- und Migrationsforschung – ergänzt um Globalisierungs- und Transnationalisierungstheorie“, sagt Mense-Petermann.
In der ersten Förderphase nimmt das Graduiertenkolleg 22 Doktorand*innen und eine*n Postdoktorand*in auf. In ihren Forschungsprojekten analysieren sie grenzüberschreitende Arbeitsmärkte aus unterschiedlicher Sicht. So kann es etwa um die geografische Reichweite von Arbeitsmärkten gehen – diese reicht von Pendelmigration in Grenzregionen bis hin zu globalen Arbeitsmärkten, zum Beispiel im Fall von Fußballspieler*innen. Ebenfalls ein Aspekt ist das unterschiedliche Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte – seien es ungelernte Arbeiter*innen in Landwirtschaft, Fleischverarbeitung und Logistik oder hochqualifizierte Fachkräfte wie Ingenieur*innen und Ärzt*innen. Erforscht wird zum Beispiel ebenfalls, dass grenzüberschreitende Arbeitsmärkte geschlechtsspezifisch und ethnisch geprägt sind.
Künftig sechs DFG-Graduiertenkollegs an der Universität
Das neue Graduiertenkolleg trägt den Titel „Cross-border Labour Markets: Transnational Market Makers, Infrastructures, Institutions“ (Grenzüberschreitende Arbeitsmärkte: Transnationale „market makers“, Infrastrukturen, Institutionen, GRK 2951). Graduiertenkollegs sind Einrichtungen der Universitäten zur Förderung von Forschenden in frühen Karrierephasen, die von der DFG für maximal neun Jahre gefördert werden. Durch die Bewilligung des neuen Kollegs gehören künftig sechs Graduiertenkollegs zur Universität Bielefeld.