Flur der ZSB

Eine Brücke ins Studium


Autor*in: Elena Berz

Wo studiert wird, gibt es Fragen, mitunter auch Probleme – sind diese nicht fachlicher, sondern allgemein studienbezogener oder persönlicher Natur, können sich Studierende an die Studienberatung wenden. So auch an der Universität Bielefeld. Hier hat die Zentrale Studienberatung (ZSB) Anfang September ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert. Der damalige Aufbaubeauftrage der ZSB, Dr. Wolfgang Neumann, die langjährige Beraterin Professorin i.R. Dr. Ruth Großmaß sowie die heutige Leiterin, Dr. Ursel Sickendiek, berichten im Interview, wie es damals war und heute ist.

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es vereinzelt, unter anderem in Berlin, sogenannte Akademische Auskunftstellen, die – ähnlich den allgemeinen Studienberatungen heute – Informationen für Studieninteressierte und Studierende bereitstellten. Daneben entstanden in den 1960er Jahren vermehrt Institutionen, die Belastungen im Studium wahrnahmen und psychologische Beratung anboten. Wie war die ZSB an der Uni Bielefeld bei ihrer Gründung im Jahr 1973 konzeptionell aufgestellt?

Wolfgang Neumann: Zwar war die ZSB – die anfangs übrigens Zentrale Studentenberatung hieß – von Beginn an als integrierte Beratungsstelle gedacht und konzipiert, also mit allgemeinen als auch psychologischen Angeboten, doch zunächst lag unser Fokus eher auf der psychotherapeutischen Beratung. Die ZSB war von der Uni stark gewollt, allerdings waren die psychotherapeutischen Beratungsangebote damals an den Hochschulen nicht ganz unumstritten, da ging es unter anderem um die Finanzierung. Aber an der Uni Bielefeld stand es nicht wirklich zur Diskussion, das Angebot abzuschaffen – bis auf einige Kontroversen habe ich mich immer sehr unterstützt gefühlt.
Ruth Großmaß: Als ich 1976 anfing, in der ZSB zu arbeiten, legte das Rektorat tatsächlich großen Wert darauf, dass meine Stelle stärker Aufgaben einer allgemeinen Studienberatung erfüllt. Ich habe mich in dem Bereich dann auch sehr engagiert – seitdem gab es beispielsweise Studientechniken-Sprechstunden oder Fachberatertrainings. Ein weiterer Aspekt, der durch mich verstärkt in die Beratungsstelle gekommen ist, war ein Frauen-Schwerpunkt. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass ich die erste Frau im Beraterteam war. Daneben gab es zwei weibliche studentische Hilfskräfte und eineinhalb Stellen im Sekretariat, die weiblich besetzt waren – das Herz des Ladens war also sozusagen weiblich.

Wie hat sich das Konzept seitdem entwickelt?

Ursel Sickendiek: Wir sind bei dem Konzept geblieben, das die ZSB über die Jahre aufgebaut hat, sprich wir haben ein ganzheitliches, integriertes Verständnis von Beratung. Das heißt, wir Berater*innen sind qualifiziert sowohl für allgemeine Studienberatung als auch für psychosoziale Beratung. Wir möchten das nicht in ein Team trennen, das allgemeine Studieninformationen vermittelt, und ein anderes Team, das zu Schwierigkeiten im Studium berät, denn die Übergänge zwischen diesen beiden Bereichen können fließend sein. So präsentiert sich eine Frage manchmal zunächst als Informationsfrage und im Gespräch werden dann tiefergehende Fragen oder Probleme offenbar.
Neumann: Die beiden Bereiche arbeiteten natürlich unter unterschiedlichen Bedingungen, insofern, als dass es oft kurzfristiger möglich war, einer Person zu helfen, die lediglich ein paar Informationen braucht, als jemanden dabei zu unterstützen, an seiner Persönlichkeit oder einem Gefühlszustand zu arbeiten. Das braucht oft mehr Zeit. Nichtsdestotrotz hatten und haben beide Beratungsformen aus meiner Sicht in einer ZSB ihre Berechtigung und sind nebeneinander sehr wichtig.

Ursel Sickendiek, Ruth Grossmass und Wolfgang Neumann von der ZSB
(V.l.) Ursel Sickendiek, Ruth Grossmass und Wolfgang Neumann im Gespräch

Wie oft werden die Beratungsangebote der ZSB nachgefragt?

Großmaß: Spätestens 1978 hat sich das Verhältnis umgekehrt – vorher wurde, vermutlich aufgrund der anfangs beschriebenen Ausrichtung, die psychologische Beratung mehr in Anspruch genommen, doch seitdem ist die Anzahl der Personen, die die Beratungsstelle für Studieninformationen nutzen, deutlich höher.
Sickendiek: Das kann ich bestätigen: Pro Jahr haben wir vier- bis fünfhundert Ratsuchende in der psychosozialen Beratung und, ohne Clearing, zwischen 1.500 und 3.000 in der allgemeinen Studienberatung in den Beratungssprechzeiten. Letztere nehmen, neben Studierenden, auch Schüler*innen und andere Studieninteressierte und unter anderem auch Hochschulabsolvent*innen in Anspruch.

Inwiefern haben sich die Themen, mit denen Studierende sich an die ZSB wenden, über die vergangenen Jahrzehnte geändert?

Neumann: Ich denke, dass die Studierenden im Laufe der Zeit mit ähnlichen Themen in die psychologische Beratung kamen, denn die Grundgefühle verändern sich nicht. Damals waren die häufigsten Gründe: Ängste, negative Stimmungslagen, Aufschieben und Motivationsprobleme …
Sickendiek: … und das ist bis heute grundlegend gleichgeblieben. Möglicherweise verschieben sich phasenweise die Schwerpunkte, so wie bei den Themen „soziale Kontakte“ und „Anschluss finden“, wo es beispielsweise aufgrund hybrider Lehr- und Lernformate heutzutage noch leichter ist, Kontakte zu vermeiden.
Großmaß: Das habe ich auch beobachtet, also, dass sich an den generellen Themen wenig ändert – mal kommen neue dazu, andere rücken in den Hintergrund –, aber die Inhalte, an denen sich das festmacht, ändern sich häufig doch. Die Welt, die Uni verändert sich – da ist es nur logisch, dass ein Problem im Laufe der Jahrzehnte auf unterschiedliche Weise thematisiert wird.

Wie ist das Verhältnis von Einzelberatungen und Gruppenangeboten?

Neumann: Die Einzelberatung stand zunächst immer im Vordergrund, konnte aber die Quelle für Gruppenarbeit sein.
Großmaß: Genau, bei Einzelberatungen haben wir es mit individuellen Fragestellungen zu tun, aber daraus ergeben sich oft Themen für Gruppenangebote, die Menschen zusammenführen.
Neumann: Ich habe an der Uni viel Gruppenarbeit gemacht, also Studierende zusammengebracht, die voneinander lernen, sich gegenseitig helfen konnten. Das wurde gut angenommen, beispielsweise habe ich über 15 Jahre eine Männergruppe geleitet.
Sickendiek: Heutzutage ist das etwas schwieriger, in der Hinsicht, dass es für Gruppenangebote oder -workshops recht niedrige Anmeldezahlen gibt beziehungsweise die Anmelderate oft höher als die Teilnahmerate ist.

Woran könnte das liegen?

Neumann: Ich glaube, dass die Bindungsbereitschaft nicht mehr so groß ist.
Großmaß: Und es kommt vielleicht auch auf die Ausrichtung der Gruppe an: Es macht einen Unterschied, ob beispielsweise eine Frauengruppe angeboten wird, die als allgemeine Einladung zu persönlichem Wachstum verstanden werden kann, oder ob in einer Gruppe zum Thema „Abschlussarbeiten“ die Personen sozusagen direkt im Angebot mit der eigenen Schwäche konfrontiert werden.
Sickendiek: Das könnte ich mir auch vorstellen, denn bei uns gibt es natürlich auch Ausnahmen von dem beschriebenen Trend – eine queere Gruppe zum Beispiel – und die fallen tatsächlich eher in die erste Kategorie. Ein anderer Grund könnte auch die Ausdifferenzierung der Lebensalltage von Studierenden sein: Es ist teilweise möglich in hybrider Form oder online zu studieren, nicht alle ziehen für das Studium nach Bielefeld – der Alltag der Studierenden ist sehr verschieden geworden, sodass für viele schon das Treffen in Kleingruppen, um etwa ein Referat vorzubereiten, eine Herausforderung darstellt.

Berät die ZSB auch Lehrende?

Neumann: Ja klar, von Beginn an war es so, dass es eine Offenheit auch für Lehrende gab.
Sickendiek: Das gilt nach wie vor. An die ZSB können sich Lehrende wenden, die zum Beispiel in Sorge wegen einzelner Studierender oder Promovierender sind und überlegen, wie sie damit umgehen können. Das kommt nicht so oft vor, da bewegen wir uns pro Jahr an Anfragen manchmal im einstelligen Bereich. Diese Beratungen sind mitunter aber sehr intensiv, weil die zugrundeliegenden Situationen oft kritisch sind, vielleicht sogar eine Notlage darstellen und der Umgang mit den Studierenden für die Lehrenden in solchen Fällen herausfordernd sein kann. Zudem bieten wir einmal im Jahr gemeinsam mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst eine Veranstaltung zum Umgang mit psychisch kranken Studierenden an. Lehrende können sich da grundsätzlich – nicht erst während einer Akutsituation – über das Thema informieren und das ist auch immer gut besucht.

Kooperiert die ZSB mit weiteren Stellen inner- oder außerhalb der Universität?

Großmaß: Mir ist bei der Jubiläumsfeier deutlich geworden, dass es eine starke Vernetzung innerhalb der Uni gibt – mit dem AstA, den Personalräten, Gleichstellungsbeauftragten, dem Studierendenwerk, Sekretärinnen aus den Prüfungsämtern … Das sind nicht unbedingt Kooperationen, die nach außen klar ersichtlich sind – aus gutem Grund, denn einige der Themen sollten besser nicht in der Öffentlichkeit verhandelt werden, da muss die ZSB Vertrauensschutz üben –, aber sie sind für die Arbeit der ZSB sicher essenziell.
Sickendiek: Auf jeden Fall! Neben den genannten Personen und Institutionen arbeiten wir auch eng mit dem International Office, Studierendensekretariat, in unserem Zentrum für Lehren und Lernen mit dem Career-Service der Uni zusammen. Wir sind manchmal die Brücke, die den Ratsuchenden hilft, an die richtige Stelle zu kommen. Und dabei ist es wichtig, dass wir auf ein großes Netzwerk zurückgreifen können, dass die Personen auf der anderen Seite der Brücke offen und ansprechbar sind und wir gemeinsam Fragen beantworten oder Probleme angehen können. Solche Netzwerke existieren auch außerhalb der Uni, wozu Wolfgang Neumann und unsere anderen Vorgänger*innen seinerzeit maßgeblich beigetragen haben: Die damals von ihm mitgegründete Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft etwa ist bis heute ein wichtiges Gremium in der Stadt und unterstützt unterschiedliche Beratungskontexte dabei, vernetzt zu arbeiten. So können wir beispielsweise an die Psychologische Frauenberatung verweisen, wenn es dort eine Fachfrau für ein bestimmtes Anliegen gibt, ebenso wie an andere spezialisierte Beratungsstellen
Neumann: Auch zu Beginn war es mir schon sehr wichtig, dass die ZSB in die Stadt hineinwirkt. Also, dass die Universität nicht isoliert, nur für sich agiert, sondern dass wir uns auch in der Stadt mit unseren Kompetenzen tummeln.