Mit Vertrauen gegen die Unsicherheit


Autor*in: Dr. Kristina Nienhaus

Während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt in Krisenzeiten eine wichtige Rolle für den Einzelnen spielt. Von einer hohen Impfquote profitieren alle, doch unter welchen Umständen sind Menschen bereit, sich zum Wohle der Allgemeinheit impfen zu lassen, auch wenn sie selbst kein hohes Risiko hätten, schwer zu erkranken? Und das mit einem Impfstoff, der gerade erst entwickelt wurde und Langzeitfolgen nicht absehbar waren. Der Bielefelder Soziologe Professor Dr. Martin Kroh beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit dem hierfür notwendigen generalisierten sozialen Vertrauen und dessen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Kollektivgut.

Ein allgemeines Vertrauen in Mitmenschen kann in unsicheren Zeiten ein Stabilitätsanker sein. In seinem von der VolkswagenStiftung geförderten Projekt „Corona Crisis and Beyond – Perspectives for Science, Scholarship and Society“ („Die Corona-Krise und darüber hinaus – Perspektiven für Wissenschaft, Forschung und Gesellschaft“) untersucht Kroh zusammen mit Philipp Eisnecker und Simon Kühne (beide Bielefeld) das zwischenmenschliche Vertrauen während der Corona-Pandemie. „Frühere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass zwischenmenschliches Vertrauen ein wichtiger Faktor für die öffentliche Reaktion auf Krisen wie etwa Naturkatastrophen oder Pandemien ist und gleichzeitig durch die mehr oder weniger erfolgreiche gesellschaftliche Bewältigung dieser Krisen verändert werden kann“, beschreibt der Soziologe. Bei ihrer Forschung stützen sich Martin Kroh und seine Kollegen auf einzigartige Daten der SOEP-CoV-Studie, einer zwischen März 2020 und Januar 2021 durchgeführten Befragung in Haushalten des „Sozio-oekonomisches Panel“ (SOEP), einer der international führenden Haushaltspanel-Erhebungen. Sie konzentrieren sich sowohl auf Bedeutung zwischenmenschlichen Vertrauens für die Bewältigung der Pandemie als kollektive Aufgabe als auch auf die Auswirkungen der Pandemie auf das zwischenmenschliche Vertrauen und damit auf die Möglichkeiten der sozialen Zusammenarbeit in zukünftigen Krisen.

Portrait-Bild von Professor Kroh.
Professor Dr. Martin Kroh forscht zu gesellschaftlichem Zusammenhalt in unsicheren Zeiten.

Forschungsbeitrag zur Impfbereitschaft

In einer jüngst veröffentlichten Studie im PLOS ONE Magazin zum Thema „The role of generalized trust in COVID-19 vaccine acceptance“ („Die Rolle des allgemeinen Vertrauens bei der Akzeptanz des Impfstoffs gegen COVID-19“) geht es weiterführend um die Impfbereitschaft der Menschen zu Beginn der Bereitstellung von Impfstoffen Anfang 2021. Generalisiertes Soziales Vertrauen, das heißt, die grundsätzliche Haltung „Im Allgemeinen kann man den Menschen vertrauen“, ist laut Kroh als grundlegende Orientierung wichtig für Einstellungen und Verhalten in diversen Bereichen. So zeige die Forschung, dass beispielsweise Personen mit populistischen Einstellungen und Verschwörungsglauben, Anderen wenig Vertrauensvorschuss geben. Kroh erklärt: „Wir beschäftigen uns in dem PLOS ONE-Beitrag damit, was für das Erreichen eines Kollektivguts in Zeiten extremer Unsicherheit nötig ist. In diesem Fall, der Umsetzung einer sehr hohen Impfquote in Zeiten, in denen Impfstoffe gerade erst entwickelt wurden und Studien zu Langzeitfolgen noch nicht vorliegen konnten.“

Die Daten, die Anfang 2021 erhoben wurden, eröffnen ein eindringliches Bild der Situation, in der die Menschen in höchstem Maße verunsichert waren. Andere Forschung habe bereits gezeigt, so Kroh, dass generalisiertes Vertrauen Kooperation und die Überwindung des Kollektivgutproblems ermöglicht. Das heißt, dass Menschen, die über solch ein Vertrauen verfügen, eher dazu bereit sind, bei unvollständigen Informationen und persönlicher Unsicherheit, Risiken zugunsten des kooperativen Verhaltens in Kauf zu nehmen. „Wir stellen gleichsam fest, dass generalisiertes Vertrauen die Impfbereitschaft in der unsicheren Situation erklären kann“, sagt der Soziologe über die veröffentlichte Studie. Dieser Effekt sei besonders bei denjenigen Personen stark, die selbst ein geringes Risiko einer schweren Erkrankung haben, also bei jungen, gesunden Menschen. In der Gruppe mit hohem Risiko, das heißt älteren und vorerkrankten Menschen, übersteigt der individuelle Nutzen die individuellen Kosten der Impfung. Die Kollektivgutproblematik – die so genannte „free rider“-Problematik: Ich lasse mich selbst nicht impfen, profitiere aber von einer hohen Impfquote – stellt sich bei diesen Personen nicht in gleichem Maße wie bei jungen Menschen ohne Vorerkrankungen.

Vertrauen schon im Elternhaus angeeignet

Am Forschungsinstitut für gesellschaftlichen Zusammenhalt (FGZ) leitet Kroh ein Projekt zum Thema: „Das Elternhaus als gesellschaftlicher Mikrokosmos: Intergenerationale Transmission von Einstellungen zu Zusammenhalt.“ Die hohe Bedeutung elterlicher Sozialisation für soziale und politische Einstellungen bis ins Erwachsenenalter sind durch eine Vielzahl empirischer Studien aus Soziologie, Politikwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Psychologie belegt. Kroh und sein Team nehmen in ihrem Teilprojekt speziell den Einfluss von Erfahrungen im Elternhaus auf Einstellungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Fokus. Unter anderem wird hier der direkte aber auch der indirekte Einfluss von einer Generation auf die nächste betrachtet. Eine Untersuchungsfrage lautet, inwieweit prosoziale Einstellungen direkt an die folgende Generation weitergegeben werden. Eine weitere lautet, inwieweit Praktiken, die einen Gemeinschaftsbezug fördern, wie etwa Konfliktlösungsstrategien oder der Umgang mit unterschiedlichen Meinungen im Elternhaus dazu beitragen, die Haltung gegenüber anderen im Gemeinwesen positiv zu beeinflussen und kollektives Handeln in der Kindergeneration zu stärken. Kinder erlernen durch die gelebte Interaktion von Eltern und Geschwistern gelingenden Zusammenhalt im Mikrokosmos Familie, so die Hypothese des Projekts. Im Fokus stehen hierbei die langfristigen Effekte von elterlicher Sozialisation, die bis ins Erwachsenenalter wirken.

Zur Person

Martin Kroh ist Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung mit dem Schwerpunkt Quantitative Methoden an der Universität Bielefeld. Zuvor war er stellvertretender Leiter der forschungsbasierten Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) am DIW Berlin sowie Professor für Sozialwissenschaftliche Methoden an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch Gründungsmitglied des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) war. Aktuelle Forschungsprojekte befassen sich mit politischer Ungleichheit und Polarisierung, Lebenslagen queerer Menschen sowie ehrenamtlichen Integrationsmaßnahmen für Eingewanderte. Ein besonderer Forschungsfokus liegt auf der Bedeutung längsschnittlicher sowie intergenerationaler Veränderungen sozialer und politischer Einstellungen und der Güte quantitativer Forschungsdaten.