Welchen Einfluss haben staatliche Interventionen auf ein Pandemiegeschehen und die Wirtschaftskraft? In welchen medizinischen Fachbereich sollte eine Person mit chronischen Schmerzen am besten überwiesen werden? Und wie können wir mit Hilfe von Fluoreszenzsignalen etwas über die Eigenschaften unserer Zellen lernen? Mit solchen Fragen befasst sich Christiane Fuchs an der Universität Bielefeld auf der Grundlage von Daten. Sie ist Professorin für Data Science an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Ihr Ziel ist es, den Antworten mit Hilfe der Mathematik näherzukommen.
Die Antworten geben eine Bandbreite von Möglichkeiten an. „Wir können meist nicht definitiv sagen, wie genau sich eine Dynamik entwickeln wird, aber wir können Szenarien entwerfen und Wahrscheinlichkeiten bestimmen“, sagt sie: „Wichtig ist, dass wir die Rolle des Zufalls immer mitberücksichtigen und kommunizieren.“ Die Wissenschaftlerin arbeitet stark interdisziplinär: Sie verbindet Mathematik, Informatik und praktische Anwendungen und arbeitet dabei etwa mit Finanzdaten, medizinischen Daten oder Daten aus den Sozialwissenschaften.
© Philipp Ottendörfer
KI-Empfehlungen zu Antibiotikagabe
Aktuell ist die Mathematikerin beispielsweise am Projekt KINBIOTICS beteiligt. Dabei geht es darum, KI-basiert Empfehlungen auszusprechen, welches Antibiotikum für einen individuellen Fall am besten geeignet ist. Im Mittelpunkt stehen dabei Patient*innen, die an einer Sepsis (Blutvergiftung) leiden. Wenn Ärzt*innen im Alltag vor einer solchen Entscheidung stehen, spielen viele Faktoren eine Rolle, etwa die klinischen Werte der betroffenen Person, medizinische Leitlinien und Erfahrungen aus der Vergangenheit.
„Bei vielen medizinischen Zusammenhängen gibt es darüber hinaus eine Vielzahl von Parametern, die so komplex zusammenwirken, dass dies für den Menschen nicht offensichtlich ist“, sagt die Forscherin. Deshalb soll die KI hier zum Einsatz kommen und Empfehlungen aussprechen. Auf Basis von Daten sollen Algorithmen trainiert und Vorhersagen zur individuellen Wirkung und zu Nebenwirkungen ermöglicht werden. „Wichtig ist jedoch, dass am Ende nicht die Maschine die Entscheidung trifft, sondern nur Ideen gibt.“
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Arbeitsmarktzahlen, medizinische Parameter, Finanzdaten: Die Professorin ist in unterschiedlichen Disziplinen unterwegs. „Jede spricht ihre eigene Sprache“, sagt sie: „Ich finde es spannend, mit so vielen unterschiedlichen Themen in Berührung zu kommen.“ Damit Analysen verlässlich funktionieren, schaut Fuchs sich die Daten sehr genau an. Oft fehlen zum Beispiel Werte. „Wurden sie nicht eingetragen oder nicht gemessen? Oder birgt die Tatsache, dass sie fehlen, bereits relevante Information?“, gibt sie ein Beispiel. Um dies beurteilen zu können, ist ein Eindenken in die angewandte Disziplin und Kommunikation mit anderen Forschenden essentiell. Interdisziplinarität spiele eine immer bedeutendere Rolle für die Spitzenforschung: „Und die Universität Bielefeld bietet ein tolles Umfeld dafür.“
Neben der Anwendungsorientierung mag Fuchs aber auch theoretische Fragen. „Es kommt schon einmal vor, dass ich die ganze Nacht über einer Gleichung brüte“, sagt sie: „Ich liebe die Schönheit der Zahlen und ihre Ästhetik.“
Begeisterung für Mathematik schon früh entdeckt
Ihre Begeisterung für Mathematik hat Christiane Fuchs schon früh entdeckt. „Das Fach hat mir in der Schule am meisten Freude gemacht“, sagt sie. In der zwölften Klasse nahm sie in den Ferien an einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Schülerakademie teil. „Dort habe ich gemerkt, dass Mathematik mehr ist, als Parabeln zu zeichnen und Schnittpunkte zu berechnen, sondern dass es um Logiken, Erklärungen und Gedankenspiele geht.“ Das gefiel ihr so sehr, dass ihr Entschluss schnell feststand, Mathematik zu studieren. Heute zählen zu ihren Forschungsthemen unter anderem stochastische Differentialgleichungen, Unsicherheitsquantifizierung und computerintensive statistische Methoden.
Viel Freizeit bleibt der Wissenschaftlerin mit zwei Kindern neben ihrer Forschung nicht. „Ich spiele Trompete im Posaunenchor“, sagt sie: „Das Hobby habe ich mir bewahren können.“ Auch wenn sie sich selbst eigentlich gar nicht so sieht, habe sie schon mehrfach gehört, dass andere sie als Vorbild bezeichnen, weil sie als Frau mit zwei Kindern ihren Weg in der Forschung geht. „Es freut mich, wenn ich durch meinen Werdegang andere ermutigen kann, ebenfalls ihren Weg zu gehen“, sagt sie. Daneben ist ihr eine nachhaltige Forschung wichtig. „Ich setze mich dafür ein, dass Forschung offen und reproduzierbar ist“, sagt sie. Aus ihrer Sicht sind dies relevante Aspekte zur Beurteilung von Forschungsleistungen und Grundlage für das Vertrauen der Gesellschaft in die Wissenschaft.