Digitale Methoden in der Wissenschaft und deren Auswirkungen


Autor*in: Universität Bielefeld

Welche Rolle spielen digitale Methoden in der Wissenschaft und wie beeinflussen sie diverse Unsicherheiten in der Forschung und auch in der Gesellschaft? Die Historikerin Prof.’in Dr. Silke Schwandt untersucht eben jene Fragestellungen. Dabei zeigen sich zwei komplementäre Erkenntnisse. Digitale Methoden in der Wissenschaft helfen einerseits sich durch Unsicherheiten zu navigieren, anderseits können sie dazu beitragen, Unsicherheiten noch zu verstärken. Als Teil des interdisziplinären Centers for Uncertainty Studies (CeUS) der Universität Bielefeld forscht Schwandt wie digitale Tools Unsicherheiten in der Wissenschaft verringern können und zudem auch, welche Erwartungen die Gesellschaft an die Wissenschaft stellt, im Umgang mit allgemeiner Verunsicherung.

Interview mit Silke Schwandt


Im Interview erklärt Silke Schwandt, wie digitale Methoden die Forschung beeinflussen und welche Erkenntnisse dadurch gewonnen werden konnten.

Für mich können digitale Methoden in der Wissenschaft zweierlei.
Einmal können sie auf der Basis von Datenerhebungen Unsicherheit einhegen
oder überhaupt eine Möglichkeit zur Verfügung stellen, Unsicherheit zu navigieren.
Und auf der anderen Seite können digitale Methoden in Wissenschaften,
die noch nicht so sehr mit Daten arbeiten, diese Wissenschaften irritieren
und Unsicherheit hervorbringen, die dann zu neuer Erkenntnis führt.
Ich beschäftige mich mit Unsicherheit, vor allem in meiner eigenen Forschung.
Und zwar einmal als Wissenschaftlerin, die über digitale Methoden
produktiv mit Unsicherheit umgehen möchte, um neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Aber auch indem ich versuche zu verstehen, wie die Akteur*innen vor mittelalterlichen Gerichten Unsicherheit navigiert haben.
Das ist der eine Bereich, also ganz konkret.
Das zweite ist, dass wir festgestellt haben, dass es so wie es mich gibt, ganz viele Leute gibt,
die in gewisser Weise mit Unsicherheit zu tun haben oder Unsicherheit in ihren Forschungsgebieten beforschen.
Mein Kollege Andreas Zick in der Konfliktforschung zum Beispiel.
Konflikte haben ganz viel mit Verunsicherung oder mit Unsicherheit verschiedener Akteur*innen zu tun.
Und mit dem Center for Uncertainty Studies in Bielefeld haben wir versucht, diese verschiedenen Bereiche
verschiedene Akteure, Akteurinnen an der Universität zusammenzubringen,
um über die Perspektive auf Unsicherheit neue Forschungsfelder ausfindig zu machen.
Also nicht zu sagen: Wir suchen mal alle, die zu englischen Gerichten arbeiten, das ist eine viel kleinere Gruppe.
Aber wenn ich sage, ich arbeite nicht nur mit englischen Gerichten oder über englische Gerichte,
sondern es interessiert mich, wie historische Akteure Unsicherheit navigiert haben,
dann kann ich mich mit der Konfliktforschung auseinandersetzen,
wenn die sagen, stimmt, bei uns geht es auch um Unsicherheit.
Und sogar mit dem Experimentalphysiker, der sagt, na ja, bei mir in der Wissenschaft hat Unsicherheit einen ganz anderen Stellenwert.
Experimente sind immer unsicher. Das ist völlig normal.
Ja, und dann kann man sich sozusagen über diesen Begriff der Unsicherheit im Center of Uncertainty Studies
noch mal ganz anders auseinandersetzen und versuchen, sozusagen für Bielefeld ein neues, interdisziplinär aufgestelltes Feld zu etablieren.
Im Sonderforschungsbereich entwickeln wir eine Plattform, die nennt sich „nopaque“, die verschiedene Tools zur Verfügung stellt,
um digitale Analyse-Prozesse am Text zu ermöglichen.
Und damit ermöglichen wir natürlich auch die produktive Irritation von Wissen.
Was wir aber auch reduzieren wollen an der Stelle oder womit wir auch umgehen wollen, ist die Unsicherheit,
die die Kolleginnen überhaupt damit haben, zu interagieren mit digitalen Methoden.
Dadurch, dass wir ihnen ein Tool zur Verfügung stellen, das sie Schritt für Schritt durch den Vor-Verarbeitungsprozess von Text zu Daten zur Datenanalyse führt,
ist die Hoffnung, dass sozusagen die Hemmschwelle, sich mit den digitalen Methoden auseinanderzusetzen
und die Unsicherheit, die wir sozusagen im Umgang damit feststellen, zu reduzieren.
Also, wenn man darüber nachdenkt, welche Erwartungen Gesellschaft an Wissenschaft hat
in Bezug auf Unsicherheit, dann ist es, glaube ich, schon wichtig, sich vor Augen zu führen,
dass die Gesellschaft von Wissenschaft eigentlich erwartet, dass sie erklärt
und dass sie Unsicherheit verringert und nicht komplexe Situationen durch komplexe Erklärungen noch viel unverständlicher macht.
Das haben wir in der Corona Pandemie gesehen, das haben wir glaub ich alle selber erlebt.
Man wollte gerne von der Wissenschaft/Politik, von irgendwelchen Expert*innen, jetzt eine Antwort, was wir machen sollen.
Und die Tatsache, dass Wissenschaftler*innen in diesen Expert*innen-Kreisen genau das gemacht haben,
was Wissenschaftler*innen tun, nämlich relativieren und für spezifische Aussagen so präzise sein zu können wie möglich,
aber eben nicht immer auf der generalisierbaren Ebene
hat die Gesellschaft eher verunsichert und hat auch das Verhältnis
von Gesellschaft und Wissenschaft, glaube ich, auf einen neuen Prüfstein gestellt.
Und das ist wichtig, wenn man sozusagen überlegt, okay, wo befindet sich diese Unsicherheit und welche Unsicherheit wird von der Gesellschaft
an Wissenschaft herangetragen als Problem, das es zu lösen gilt,
und an welcher Stelle kann Wissenschaft Unsicherheit produktiv nutzen, um genau zu dieser Erklärung zu kommen,
die dann in der Gesellschaft vielleicht wieder zu diesem Gefühl einer sichereren Antwort sozusagen führen kann?