Chemische Reaktionen laufen nicht von alleine ab, sondern benötigen oftmals Katalysatoren – chemische und biologische, die bislang typischerweise getrennt voneinander eingesetzt werden. Dadurch werden aufwändige Trennschritte bei der Aufarbeitung der jeweiligen Produkte erforderlich, die zu hohen Lösungsmittel-Verbrauchen und entsprechend Abfallmengen führen. Mit solchen Verfahren werden in der Industrie jährlich Millionen Tonnen an Industriechemikalien hergestellt.
Der Chemiker Professor Dr. Harald Gröger von der Universität Bielefeld ist Pionier auf dem Gebiet der so genannten chemoenzymatischen Ein-Topf-Synthese. Das Konzept beschreibt die Durchführung mehrerer Reaktionen ohne Trennschritte in einem Reaktor, bei der konventionelle Chemokatalysatoren und umweltfreundliche Biokatalysatoren (Enzyme) kombiniert werden. Diese Verzahnung macht Produktionsprozesse effizienter und reduziert Abfälle. Gemeinsam mit Kollegen der US-amerikanischen University of California, Santa Barbara, und dem Schweizer Pharma-Unternehmen Novartis hat Gröger einen Beitrag über solche effizienten Synthesen im Journal Chemical Reviews veröffentlicht.
© Universität Bielefeld/Michael Adamski
Grögers Forschungsgruppe ist auf die Kombination von Bio- und Chemokatalysatoren spezialisiert. Biokatalysatoren finden sich als Enzyme in der Natur. Chemokatalysatoren sind künstlich entwickelt. Wenn beide Katalysatoren in einem einzigen Reaktor funktionieren sollen, bedarf es eines gemeinsamen Reaktionsmediums. Für Gröger und seine Kollegen ist Wasser die Lösung: „Wasser ist billig, in großen Mengen verfügbar und umweltfreundlich“, sagt der Chemiker.
Doch es gibt Herausforderungen: Während die meisten Enzyme ohnehin Wasser brauchen, um Reaktionen anzutreiben, werden Chemokatalysatoren routinemäßig in organischen Lösungsmitteln genutzt. Solche Lösungsmittel wie etwa Ether oder Alkane können allerdings Enzyme deaktivieren. „Wenn wir es aber schaffen, im Wasser zu bleiben, könnten wir prinzipiell alle Enzyme, die es gibt, verwenden. Wir könnten dadurch prinzipiell das ganze Spektrum der Enzyme in der Natur einsetzen und somit Energie und Abfall sparen.“
Verschiedene Ansätze kombinieren
Damit das funktioniert, setzen die drei Wissenschaftler an beiden Seiten an: „Wir müssen einerseits Enzyme dazu bringen, unnatürliche Ausgangsstoffe mit hoher Produktivität umzusetzen. Dafür verändern wir teilweise auch den Aufbau der Enzyme und die DNA der Mikroorganismen, die die Enzyme herstellen. Und andererseits müssen wir den chemischen Katalysator so konzipieren, dass er in der Lage ist, in Wasser Reaktionen durchzuführen.“ Die Kombination der beiden Katalysatorarten habe weitere Herausforderungen zur Folge, nämlich die Vermeidung ungewünschter zusätzlicher Reaktionswege, wenn etwa ein chemischer Katalysator das Produkt der nachfolgenden Biotransformation zersetzt.
Mit ihrem Übersichtsbeitrag bringen die Autoren ihre Forschungsergebnisse mit denen von inzwischen zahlreichen auf diesem Fachgebiet tätigen Arbeitsgruppen zusammen: „Es war spannend, zu dritt an der Veröffentlichung zu arbeiten“, sagt Gröger, denn: Die drei kannten sich zuvor nicht und haben verschiedene Ansätze. Professor Dr. Bruce H. Lipshutz von der University of California, Santa Barbara, erforscht seit Jahren das Gebiet der chemischen Synthese in Wasser. Dr. Fabrice Gallou ist Industriechemiker beim Pharmakonzern Novartis in der Schweiz und arbeitet daran, Katalyse-Prozesse kompatibel für die Industrie zu machen.
© Universität Bielefeld/Michael Adamski
Grüne Chemie vom Rohstoff an
Der Ansatz der Ein-Topf-Synthese steht im Einklang mit den Grundsätzen der grünen Chemie, einem Forschungsgebiet, das vor allem in den vergangenen Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen hat. „Das Interesse der Industrie an nachhaltiger Produktion wächst und mit ihr die Zahl der Forschenden“, sagt Gröger. Das Konzept zielt darauf ab, Umweltauswirkungen chemischer Prozesse und Produkte zu minimieren. Doch bleibt es nicht nur beim Optimieren von Verfahren: „Mit der Forschung zur Ein-Topf-Synthese in Wasser lässt sich Effizienz und Nachhaltigkeit der Herstellverfahren verbessern, allerdings löse ich noch nicht die Frage, wie wir herkömmliche Rohstoffe aus fossilen Quellen ersetzen können.“ Rohöl bildet derzeit die Grundlage zahlreicher Produkte des täglichen Bedarfs und trägt gleichzeitig massiv zum Klimawandel bei. „Mit erneuerbaren Rohstoffen lassen sich der CO2-Fussabdruck deutlich verringern und zudem neue Materialien designen“, beschreibt der Wissenschaftler einen zweiten großen Bereich seiner Forschungsarbeit an der Universität Bielefeld.
Gemeinsam mit der Münchner Firma Klüber Lubrication entwickelte eine Gruppe von Bielefelder Chemiker*innen um Gröger neue Schmierstoff für insbesondere marine Anwendungen: „In Hafenbecken liegen Boote dicht an dicht und belasten das Wasser durch nicht abbaubare Öle.“ Mit einem Verfahren, das chemische und enzymatische Stoffumwandlungen verzahnt, wurden Schmierstoffe im Labor derart gestaltet, dass diese aus nachwachsenden Rohstoffen zugänglich und zugleich leichter biologisch abbaubar sind. In einer weiteren Kooperation zusammen mit der Technischen Universität Hamburg und dem Chemieunternehmen BASF in Ludwigshafen entwickeln Wissenschaftler*innen der Arbeitsgruppe Gröger Bio-Weichmacher, bei dem statt Erdöl unter anderem Kleie aus Abfallströmen der Lebensmittelproduktion als Rohstoff eingesetzt wird.
© Universität Bielefeld/Michael Adamski
Mit Biotechnologie neue Produktionsabläufe ermöglichen
Harald Gröger forscht seit fast zwei Jahrzehnten an der Kombination von chemischen und enzymatischen Prozessen. Er arbeitete lange in der chemischen Industrie und kam dort erstmals mit dem Gebiet der Biotechnologie in Berührung. „Kolleg*innen haben mich immer wieder gefragt, was besser sei – Bio- oder Chemokatalyse. Ich fand diese Frage berechtigt, aber auch unangenehm, weil ich beide Gebiete gerne mache. Jetzt geht es mir darum, das Beste aus diesen beiden Welten zusammenzuführen.“
Heute ist die Biotechnologie als effiziente Produktionstechnologie auf dem Vormarsch, vor allem im Pharmabereich. Mit Einschränkungen: „Große Industrieunternehmen haben es leichter, Biotechnologie zu betreiben, denn es bedarf einer umfangreicheren, interdisziplinären Forschungsinfrastruktur, die kleineren Firmen oftmals nicht zur Verfügung steht“, sagt Gröger. „Die weitere Verbreitung der Biotechnologie in der Industrielandschaft ist deshalb auch davon abhängig, wie gut der Mittelstand zukünftig Zugang zu Biotechnologie bekommt. Die Perspektiven für nachhaltige industrielle Anwendungen jedenfalls sind enorm.“