Globale Herausforderungen erfordern entsprechende Perspektiven. Um deren Vielfalt in den ZiF-Forschungsprojekten zu erhöhen und afrikanische Forscher*innen sichtbarer zu machen, bietet das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld jährlich zwei Stipendien für Wissenschaftler*innen aus Afrika an: die Norbert-Elias-Fellowships. Seit Februar arbeiten zwei Stipendiatinnen in der Forschungsgruppe „Erkenntnistheorie der evidenzbasierten Politikgestaltung: Wie Philosophie den Austausch zwischen Wissenschaft und Politik befördern kann“ am ZiF mit. Über ihre Forschung und die Herausforderungen der Arbeit in einer interdisziplinären Gruppe berichten sie hier: Drei Fragen an Dr. Emelda Chukwu vom Nigerian Institute of Medical Research und Dr. Temitope O. Sogbanmu vom Fachbereich Zoologie der Universität Lagos in Nigeria.
Wie lässt sich Ihre Forschung mit dem Thema der Forschungsgruppe verbinden?
Temitope O. Sogbanmu: Als Umwelttoxikologin liegt mein Forschungsschwerpunkt auf der Risikobewertung und dem Management von organischen Schadstoffen in verschiedenen Umweltmedien. Ich arbeite mit klassischen und neuen ökotoxikologischen Methoden. Ich interessiere mich auch für die evidenzbasierte Entscheidungsfindung, kurz EIDM. Und ich arbeite mit politischen Entscheidungsträger*innen zusammen, damit sie Umweltdaten in ihre Entscheidungen und Planungen integrieren können. Außerdem leite ich ein Projekt mit dem Namen „Evidence Use in Environmental Policymaking in Nigeria, kurz EUEPiN“. Vieles von dem, was ich tue, deckt sich also mit dem Schwerpunkt der Gruppe auf evidenzbasierter Politikgestaltung, insbesondere in der Umwelttoxikologie. Das hat auch mein Interesse an dieser Forschungsgruppe geweckt.
Emelda Chukwu: Ich bin medizinische Mikrobiologin und erforsche Infektionskrankheiten; mein Arbeitsgebiet sind bakterielle Infektionskrankheiten und die genetischen Grundlagen der antimikrobiellen Resistenz. Derzeit interessiere ich mich für die mikrobielle Vielfalt und die Verteilung und Übertragungsdynamik von Antibiotikaresistenzen. Ich habe mich immer für die Herausforderungen bei der Umsetzung unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse in Politik und Praxis interessiert, also für die Umsetzungswissenschaft, dieimplementation science. Dabei geht es darum, die Übernahme von evidenzbasierten Maßnahmen oder Erkenntnissen in die Politik zu fördern. Im Allgemeinen weisen wir als Wissenschaftler*innen ja nur auf wichtige, für die Politik relevante Ergebnisse hin, aber wir beteiligen uns nicht selbst an politischen Entscheidungsprozessen. Aber ich sehe jetzt, dass Wissenschaftler*innen sich stärker engagieren müssen, um eine Fehlinterpretation oder Fehlanwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu vermeiden.
© Universität Bielefeld
Wie haben sich ihre Karrieren, speziell als Frauen in den Naturwissenschaften, entwickelt?
Temitope O. Sogbanmu: Ursprünglich wollte ich in der Industrie arbeiten, meine erste Anstellung war in der Öl- und Gasindustrie. Mein Betreuer meinte aber, eine akademische Tätigkeit ließe sich besser mit dem Familienleben vereinbaren, ich hätte mehr Flexibilität, um mich auch um meine Kinder und meine Familie zu kümmern. Ich befolgte diesen Rat, doch auch im akademischen Bereich musste ich ziemlich hart und lange arbeiten. Ich unterrichte, betreue bis zu 20 Studierende bei ihren individuellen Projekten, helfe ihnen bei der Beschaffung von Fördermitteln, betreibe Forschung und habe eine Familie. Aber es macht auch viel Freude, vor allem, wenn man interessante Forschungsergebnisse erzielt und man internationale Unterstützung und Anerkennung bekommt. Und ich habe jetzt die Möglichkeit, ein Vorbild für junge Menschen zu sein, vor allem für junge Frauen, und das halte ich für sehr wichtig.
Emelda Chukwu: Ich habe als Laborantin in einem diagnostischen Labor gearbeitet, aber die Routinearbeit hat mich unterfordert. Also ging ich zurück an die Universität, um mich weiterzubilden. Während meines Masterstudiums begann ich mich für die Forschung zu interessieren: Ich hatte den Eindruck, dass ich so etwas zur globalen Gesundheit und zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen beitragen könnte. Das war meine Motivation, Forscherin zu werden. Es war auch für mich nicht leicht, meine Karriere als Forscherin mit der Betreuung meiner Kinder zu vereinbaren. Aber ich bekam viel Unterstützung von meiner Professorin. Sie ermutigte mich, nicht aufzugeben, und erzählte mir von ihren Erfahrungen und ihrer Karriere. Ich dachte mir, wenn sie es geschafft hat, kann ich es auch schaffen. Natürlich hatte ich auch viel familiäre Unterstützung. Eine der größten Herausforderungen in der Forschung ist die Beschaffung von Fördermitteln. Das ist sehr zeitaufwendig, und wir konkurrieren mit Forschenden aus dem globalen Norden, die einen anderen Hintergrund und oft auch viel bessere Bedingungen haben. Die Anreize, in der Forschung und Wissenschaft zu bleiben, sind manchmal nicht hoch.
Temitope O. Sogbanmu: Das stimmt, Frauen wurden in den MINT-Fakultäten, also Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Technik, lange Zeit an den Rand gedrängt, aber sie holen jetzt auf. Derzeit sind fast 80 Prozent des Führungspersonals an meiner Universität Frauen, und zum ersten Mal in der 60-jährigen Geschichte der Universität haben wir auch eine Vize-Rektorin. Aber die Gehälter an den Universitäten sind in den letzten Jahren deutlich gesunken. Das ist also nicht nur eine Erfolgsgeschichte in Sachen Chancengleichheit, sondern ich denke, dass viele Männer einfach in besser bezahlte Positionen abgewandert sind.
© Universität Bielefeld
Inwiefern hat die Zeit als Norbert-Elias-Fellows hier in Bielefeld ihre Arbeit und ihre Forschung beeinflusst?
Temitope O. Sogbanmu: Ich hatte schon andere Fellowships, aber dieses Mal war der Schwerpunkt ganz anders. Normalerweise arbeite ich im Labor. In der Forschungsgruppe arbeiten wir vor allem an Zugängen und Perspektiven. Es war eine interessante Gelegenheit, mit Forscher*innen aus ganz anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten. Ich habe viel gelernt, und ich glaube, mein Blickwinkel hat sich erweitert. Und es war das erste Mal, dass ich mit Forscher*innen aus so unterschiedlichen Teilen der Welt zusammengearbeitet habe. Beruflich war es also eine wirklich aufregende Zeit. Und ich habe es sehr geschätzt, dass ich mit meiner Familie hierherkommen konnte. Ich denke, es ist uns auch gelungen, neue Perspektiven über die Politikgestaltung im globalen Süden in die Forschungsgruppe einzubringen. Ich glaube, einige unserer Forschungsansätze und Herangehensweisen waren für die Gruppe ziemlich neu und überraschend. Wir haben, denke ich, viel voneinander gelernt und Erfahrungen ausgetauscht. Es war wirklich interessant, die philosophischen Perspektiven und Ansätze zur Beantwortung unserer Fragen kennenzulernen. Das nehme ich vor allem mit zurück an mein Institut. Wir waren auch an der Auswahl der Referent*innen für die kommenden Workshops der Forschungsgruppe beteiligt, die anfangs hauptsächlich aus dem globalen Norden kamen. Aber es ist uns gelungen, auch hier auf andere Perspektiven hinzuweisen und andere Namen ins Spiel zu bringen. Die Leiter*innen der Forschungsgruppe haben das gerne aufgenommen.
Emelda Chukwu: Für mich war es nicht einfach, mein Institut davon zu überzeugen, mich für ein Fellowship freizustellen, bei dem ich nicht im Labor arbeiten würde. Aber ich konnte sie davon überzeugen, dass es für meine berufliche Weiterentwicklung wichtig sein würde. Ich haben schon multidisziplinär gearbeitet, sehe aber jetzt, wie weit interdisziplinäre Forschung gehen kann. Ich habe oft mit Forscher*innen aus Biostatistik, Soziologie und anderen wissenschaftlichen Disziplinen zusammengearbeitet, aber noch nie mit Philosoph*innen oder Jurist*innen, das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Es war anregend, herausfordernd und lehrreich zugleich. Und es war toll, dass man sich hier auf seine Forschung konzentrieren kann und die gesamte Organisation vom ZiF übernommen wird. Die Sprachbarriere war im Alltag natürlich eine Herausforderung, vor allem für die Kinder in der Schule. Mit den Schulen ist es in Nigeria anders, sie sind meist in der Nähe des Arbeitsplatzes und man muss keine langen Wege mit Bus und Straßenbahn zurücklegen. Ich denke, wir haben durch die Zusammenarbeit am ZiF viel gelernt. Im ersten Monat war es eine echte Herausforderung, Menschen mit so unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlichen Perspektiven in einem Raum zusammenzubringen, damit sie zusammenarbeiten. Die Gruppe traf sich fast jeden Tag und wir haben wirklich viel diskutiert. Und irgendwann haben wir eine Balance gefunden und eine gemeinsame Sprache. Es war faszinierend für mich, diesen Prozess zu durchlaufen. Ich habe viele Ideen, die ich an mein Institut mitnehme. Ich arbeite zum Beispiel gerade einen Vorschlag aus, wie mein Institut eine Forschungseinheit für Gesundheitspolitik einrichten könnte, in der Informationen aus verschiedenen Disziplinen zusammengefasst und so aufbereitet würden, dass die politischen Entscheidungsträger*innen sie nutzen können.