Professor Hoffman arbeitet, gekleidet im Kittel und mit einer Pipette in der Hand, in einem Labor.

Mutationen zur Erhaltung der Art


Autor*in: Maria Berentzen

Der Bielefelder Verhaltensforscher Professor Dr. Joseph Hoffman war mit Daten zu antarktischen Seebären an einer großangelegten Studie beteiligt. Bei einer vergleichenden Analyse stammbaumbasierter Mutationsraten konnten weitreichende Einblicke in die Entwicklung von Mutationen bei Wirbeltieren gewonnen werden. Individualisierung macht es den Tierarten möglich, sich an ihre Umwelt besser anzupassen, die sich etwa durch den Klimawandelt verändert. Auch Mutationen können hierbei eine Rolle spielen. Im Interview erklärt Professor Hoffman, welche Tiere untersucht wurden, warum das Wissen über Keimbahnmutationsraten so relevant ist und warum die Zeit zwischen den Generationen ein nicht zu unterschätzender Faktor im Hinblick auf Erbkrankheiten ist.

Herr Professor Hoffman, Sie waren kürzlich an einer großangelegten Studie beteiligt, bei der es um die Keimbahnmutationsrate bei Wirbeltieren ging. Was wurde dabei untersucht?

Professor Dr. Joseph Hoffman: Bei einer Keimbahnmutation handelt es sich um eine Veränderung, die in der Eizelle oder im Spermium eines Elternteils entstanden ist. Wenn sie an das Kind weitervererbt wird, lässt sich oft rückverfolgen, ob die Mutation auf den Vater oder die Mutter zurückgeht. Wir haben uns mit einem interdisziplinären Team mit der Frage befasst, wie sich die Rate dieser Mutationen zwischen verschiedenen Wirbeltieren unterscheidet.

Bild der Person
Professor Dr. Joseph Hoffman ist Verhaltensforscher an der Universität Bielefeld. Seine Forschung an antarktischen Seebären ist stark interdisziplinär ausgerichtet.

Welche Tiere wurden untersucht?

Für die Studie wurden insgesamt 68 Wirbeltierarten untersucht, darunter waren Säugetiere, Fische, Vögel und verschiedene Reptilienarten. Manche der Tiere stammten aus der freien Wildbahn, viele aber auch aus Zoos und Naturschutzprojekten. Wir müssen immer Trios untersuchen, also Mutter, Vater und die Nachkommen. Das ist in der freien Wildbahn oft schwierig.

Warum ist es wichtig, mehr über die Keimbahnmutationsrate zu wissen?

Mutationen können ein wichtiger Faktor beim Erhalt einer Art sein. Manche Mutationen sind neutral, einige wirken sich positiv aus, aber viele haben auch negative Effekte und können Krankheiten auslösen. Deshalb kann es entscheidend sein, mehr darüber herauszufinden, wie oft und wann es typischerweise zu Mutationen kommt. Wir wissen zum Beispiel, dass bei den vielen Arten die meisten Mutationen auf die Väter zurückgehen. Das kann auch wichtig für Menschen sein. Es gab in den letzten Jahren Forschungsarbeiten dazu, dass ältere Väter oft mehr Mutationen weitergeben und insofern auch das Risiko für Krankheiten beim Nachwuchs mit dem Alter der Väter steigen könnte.

Professor Joseph Hoffman neben dem Schild der Verhaltensforschung an der Universität Bielefeld.
„In einer Umwelt, die sich wandelt, steigt der Druck, sich an die neuen Bedingungen anzupassen.“
Professor Dr. Joseph Hoffman

Zu welchen Ergebnissen ist die Studie gekommen?

Wir haben große Unterschiede in den Mutationsraten zwischen den Arten gefunden. Dabei spielt vor allem die Generationszeit, also der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Generationen, zusammen mit anderen Merkmalen wie Fruchtbarkeit und Alter bei der Geschlechtsreife eine große Rolle und erklärt die Unterschiede zwischen den Arten. Bei häufig vorkommenden Arten sind sie niedriger. Haustiere wiederum haben tendenziell höhere Mutationsraten.

Was konkret war Ihr Beitrag zur Studie als Professor der Universität Bielefeld und als Mitglied des British Antarctic Survey?

Ich habe Daten zu den Genomen der antarktischen Seebären beigesteuert. Das ist eine Pelzrobbenart, die fast ausschließlich in Südgeorgien in der Antarktis vorkommt. Wir nehmen dort seit Jahrzehnten Proben der Tiere und unser Datensatz umfasst inzwischen rund 15.000 Individuen aus mehreren Jahrzehnten. Daraus habe ich verschiedene Eltern-Kind-Trios ausgewählt.

Sie arbeiten auch im Sonderforschungsbereich Transregio 212, der sich mit ökologischen Nischen befasst. Auch am interdisziplinären Nachfolgeprojekt Jice der Universitäten Bielefeld und Münster sind Sie beteiligt. Dabei geht es um die Individualisierung in einer sich wandelnden Umwelt. Sehen Sie darin einen Bezug zur Studie?

Wir haben in der Studie die Mutationsraten bestimmter Arten und nicht speziell von Individuen untersucht. Ich sehe aber Zusammenhänge, was die Evolutionsrate und Mutationen angeht. Die Umwelt, in der die antarktischen Seebären leben, wandelt sich rapide durch den Klimawandel. Daher steigt der Druck auf die Tiere, sich an die neuen Bedingungen anzupassen, wobei Mutationen eine Rolle spielen können. Die Population hat seit den 1980er Jahren um 40 Prozent abgenommen. Anhand der Genome konnten sehen, dass die Verschlechterung der Umweltbedingungen dazu geführt hat, dass die Selektion gegen Inzuchttiere zugenommen hat, die oft mehr schädliche Mutationen haben. Aktuell entwickeln wir ein Folgeprojekt, um Mutationen auf der individuellen Ebene zu untersuchen. Wir wollen einzelne Pelzrobben ein Leben lang verfolgen, um zu quantifizieren, wie sich Mutationen im Laufe der Zeit und in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, genetischen Faktoren und Umweltfaktoren ansammeln.

Aktuell konzentrieren Sie sich auf epigenetische Aspekte, also vereinfacht gesagt auf die Frage, inwieweit die Umweltbedingungen der Seebären eine Rolle dabei spielen, welche Gene angeschaltet werden und welche nicht. Worum geht es dabei?

Wir wissen, dass sich die Umwelt darauf auswirkt, wie Gene abgelesen werden. In einigen Fällen vererben sich diese Veränderungen sogar von einer Generation auf die nächste. Es gibt beispielsweise Anhaltspunkte dafür, dass sich traumatische Erlebnisse bei Menschen noch über Generationen hinweg im Erbgut zeigen können. Wir gehen davon aus, dass epigenetische Veränderungen bei Tieren einen Einfluss auf die Auswahl und die Anpassung an Nischen haben. Wir vergleichen dafür Welpen von Seebären, die unter günstigen und ungünstigen Umweltbedingungen geboren werden.

Zur Person

Professor Dr. Joseph Hoffman ist Verhaltensforscher an der Fakultät für Biologie an der Universität Bielefeld. Er forscht insbesondere im Hinblick auf antarktische Seebären zu der Frage, wie sich genetische Unterschiede auf die individuelle Fitness und die Population einer Art auswirken. Außerdem ist er Teilprojektleiter des Projekts Transregio 212 und beteiligt am Jice, dem Joint Institute for Individualisation in a Changing Environment der Universtäten Bielefeld und Münster.

Die Studie

Bergeron, L.A., Besenbacher, S., Zheng, J. et al. Evolution of the germline mutation rate across vertebrates. Nature 615, 285–291 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-05752-y