Eine hohe Wochenstundenzahl im Schichtdienst definiert den Arbeitsalltag an Krankenhäusern. Zusätzlich zur klinischen Tätigkeit zu forschen und zu lehren, bringt einen deutlichen Mehraufwand mit sich. Insbesondere Frauen entscheiden sich aufgrund individueller und struktureller Bedingungen – zum Beispiel, wenn zusätzlich noch Care-Aufgaben hinzukommen – gegen eine wissenschaftlich-klinische Karriere. Um diesem Phänomen entgegen zu wirken, bietet die Medizinische Fakultät OWL der Universität Bielefeld erstmals „Female Clinician Scientist Fellowships“ an. Die Fellowships ermöglichen kontinuierliche und planbare Zeiträume für die Forschung der Ärztinnen. Die Förderung ist damit eine wichtige Gleichstellungsmaßnahme, um dem Drop-out von Frauen auf dem Weg zur Habilitation entgegenzuwirken.
Drei Ärztinnen wurden für die neue Förderung ausgewählt. „Die drei Fellows haben uns durch eine vielversprechende Kombination aus wissenschaftlicher Vorerfahrung und qualitativ hochwertigen Forschungsvorhaben überzeugt“, sagt Dr. med. Sabine Oertelt-Prigione Professorin für Geschlechtersensible Medizin an der Medizinischen Fakultät OWL und Mitglied der Auswahlkommission für das Female Clinician Scientist Fellowship. Die ausgewählten Ärztinnen sind am Universitätsklinikum OWL in der Patient*innenversorgung tätig, sind promoviert und haben ihre fachärztliche Weiterbildung bereits abgeschlossen oder werden diese bald abschließen.
Die Fellows sind:
Dr. med. Anna-Maria Addicks
© Klinikum Lippe/Christian Ritterbach
Sie arbeitet im Klinikum Lippe in der Klinik für Neurologie. Hier bietet die überregional zertifizierte Stroke-Unit Raum für Addicks’ Forschungsvorhaben: Sie identifiziert Risikofaktoren für Depressionen nach einem Schlaganfall. Dabei erforscht sie insbesondere den Einfluss von Gendereffekten und psychosozialer Unterstützung im ambulanten Verlauf und fokussiert auf die häusliche Versorgungs- und Betreuungssituation nach einem Schlaganfall. Die Ärztin betont, dass sowohl die anschließende ambulante Nachversorgung als auch die Herausforderungen für die Personen innerhalb des Angehörigenkreises nicht zu unterschätzen sind. „Eine Depression nach einem Schlaganfall tritt bei rund einem Drittel aller Betroffenen auf – eine Herausforderung für Patient*innen, Angehörige und die ambulante Versorgung.“ Für ihr Forschungsprojekt kooperiert Anna-Maria Addicks mit Professorin Dr. Katja Werheid und Dr. Simon Ladwig von der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft der Universität Bielefeld, Experten für Post-Stroke-Depression, sowie mit Professorin Dr. med. Christiane Muth von der Arbeitsgruppe für Allgemein- und Familienmedizin der Medizinischen Fakultät OWL. Die klinische Begleitung übernimmt Professor Dr. med. Christoph Redecker vom Klinikum Lippe.
Dr. med. Anna Höink
© Klinikum Lippe/Christian Ritterbach
Sie ist seit 2022 Oberärztin im Universitätsinstitut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Campus Klinikum Lippe. Bevor sie an das Universitätsklinikum OWL kam, arbeitete sie als Oberärztin im Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Uniklinik Köln und leitete dort die Sektion Thoraxradiologie. Sie identifiziert in ihrem Forschungsvorhaben Risikofaktoren für das Auftreten von Long Covid, die bei betroffenen Patient*innen gegebenenfalls bereits in Computertomographie-Untersuchungen der Lunge zum Zeitpunkt der Erstinfektion mit SARS-CoV-2 entdeckt werden können. „Bislang lag der wissenschaftliche Fokus auf der Diagnostik, Therapie und Prävention einer Covid-19-Infektion. Um jedoch auch die Mechanismen, die zu Long Covid führen, besser verstehen zu können, ist eine Intensivierung der radiologischen Forschung unerlässlich“, sagt Höink. Die klinische Begleitung übernimmt Professor Dr. Dr. med. Michel Eisenblätter, Leiter des Universitätsinstituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Klinikum Lippe. Die wissenschaftliche Begleitung übernimmt Professorin Dr. med. Sabine Oertelt-Prigione, Leiterin der Arbeitsgruppe Geschlechtersensible Medizin an der Medizinischen Fakultät OWL.
Dr. med. Haang Jeung-Maarse
© Bethel/ Thomas Richter
Sie ist seit 2015 Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und seit 2022 als Psychiaterin, Psychotherapeutin und Neurowissenschaftlerin im Evangelischen Klinikum Bethel tätig. Ihre Expertise liegt in der Forschung von zwischenmenschlichen Entscheidungen bei Patient*innen mit einer Persönlichkeitsstörung. Sie forscht zu der Frage, ob sich bei Individuen mit psychopathischen Persönlichkeitseigenschaften die Fähigkeit zur Empathie beeinflussen lässt und ob eine höhere Empathiefähigkeit zu einer weniger starken Verfolgung von Eigeninteressen führt. „Persönlichkeitsstörungen sind nicht in Kategorien zu denken, sondern Persönlichkeitsmerkmale bestimmen je nach Ausprägung den individuellen Charakter eines Menschen. Aus diesem Grund erforsche ich – anstelle von einzelnen Diagnosen – die Ausprägungen von Persönlichkeitsmerkmalen und deren Auswirkungen auf unser Miteinander.“ Ihre Beobachtungen stützen sich auf Experimente aus den Verhaltenswirtschaftswissenschaften (behaviorale Ökonomie) in Kombination mit Methoden der klinischen Psychologie und Psychiatrie sowie den Neurowissenschaften. Professor Dr. med. Martin Driessen vom Evangelischen Klinikum Bethel begleitet das Forschungsvorhaben aus klinischer Perspektive. Professor Dr. Frank Neuner aus der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft übernimmt die wissenschaftliche Begleitung.