Sie können vor Hochwasser schützen, erzeugen Energie, greifen aber auch stark in natürliche Kreisläufe ein, wie etwa die Bewegungen von Fischen oder die Entwicklung der Gewässer selbst. Staudämme werden weltweit gebaut und sind durchaus umstrittene Bauwerke. Allein die Tatsache, dass sie so weit verbreitet und zahlreich sind, hat ein Geflecht von global agierenden Institutionen und Firmen hervorgebracht. Die komplexe Gemengelage um Staudämme und ihre Geschichte wird in einer interdisziplinären Tagung am 28. und 29. November im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld analysiert. Für den Workshop kommen Forschende aus Geschichtswissenschaft, Geographie, Anthropologie, Politologie, Regionalstudien, Literatur- und Kunstwissenschaft zusammen.
Im 20. Jahrhundert wurde der Dammbau ein globales Phänomen. Er stand für Fortschritt und technologische Errungenschaften. „Staudämme sind eine der zentralen Infrastrukturen der Globalisierung und des Anthropozäns und haben die Erde und ihre Flusssysteme nachhaltig verändert“, sagt Privatdozent Dr. Frederik Schulze von der Universität Bielefeld. Der Historiker leitet den Workshop am ZiF gemeinsam mit seinem Fachkollegen Dr. Vincent Lagendijk von der Universität Maastricht (Niederlande).
© Universität Bielefeld, Universität Maastricht
Die weltweite Präsenz von Staudämmen eröffnet nach Ansicht der beiden Tagungsleiter ein Spannungsfeld mit dem Potential, die Vormachtstellung des globalen Nordens oder die Dynamik der internationalen Zusammenarbeit in Frage zu stellen. Das hänge auch mit den vielen beteiligten internationalen Akteur*innen zusammen, unter ihnen Ingenieur*innen, Banken, Bauunternehmen oder Behörden.
„In der aktuellen Forschung zu Staudämmen findet sich zum einen ein starker Fokus auf den globalen Norden und den Ostblock als Wissenszentren“, sagt Frederik Schulze. „Zum anderen konzentriert sie sich auf den so genannten globalen Süden als eine Region, die unter dem Bau von Staudämmen leidet. Dazu gehören Studien über Vertriebene oder Umweltzerstörung durch Staudämme. Wir möchten diese vorherrschenden Perspektiven hinterfragen und die globalen Verflechtungen in den Mittelpunkt rücken.“
Anhand von Fallstudien aus Europa, Asien, Afrika, Nord- und Lateinamerika soll mit der inhaltlichen Ausrichtung der Tagung ein neuer Blick auf Wasserinfrastrukturen geworfen werden. Insbesondere die vielen unterschiedlichen Disziplinen und Expertisen, die benötigt werden, um Staudämme zu planen und zu bauen, sind ausschlaggebend für die vernetzte Vielstimmigkeit, die aus der Praxis des Dammbaus hervorgegangen ist.
Marginalisierte Länder und Akteur*innen haben die Möglichkeit, auf diesem Feld hör- und sichtbar zu werden und eigene politische und sozioökonomische Ziele zu verfolgen. Politiker*innen, Anthropolog*innen oder zivilgesellschaftliche Akteur*innen könnten somit herrschende Machtverhältnisse anfechten und den Staudämmen neue Bedeutungen und Erfahrungen zuschreiben.
Das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld ist eine unabhängige, thematisch ungebundene Forschungseinrichtung und steht Wissenschaftler*innen aller Länder und aller Disziplinen offen.
Weitere Informationen:
Website der Tagung