Ein selbstfahrendes Auto oder ein Haushaltsroboter kommt auf den Markt. Aber was dann? Unklar ist zum Beispiel, wer bei Unfällen haftet oder welche Rolle Datenschutz spielt. Die rechtlichen Ungewissheiten führen zu ökonomischen Ungewissheiten: Sie beeinflussen, ob Hersteller überhaupt in die Entwicklung smarter Produkte einsteigen und wie stark sie in die Sicherheit der Produkte investieren. „In der Entwicklung und Markteinführung neuer Produkte oder Technologien gibt es immer Unsicherheiten, die unter anderem beeinflussen, zu welchem Zeitpunkt das Produkt auf den Markt soll“, sagt Professor Dr. Herbert Dawid von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Bielefeld.
„Mit der Verbreitung smarter Produkte entstehen neue Unsicherheiten. In einem gewissen Sinn ist die Unsicherheit schon in den Produkten enthalten, weil die Algorithmen meist intransparent sind: Wir wissen gar nicht, warum ein autonomes Auto eine bestimmte Entscheidung trifft“, sagt Dawid.
Mit mathematischen Modellen Unsicherheit verstehen
Dawid, der die Arbeitsgruppe „Wirtschaftstheorie und Computational Economics“ leitet, interessiert sich für ökonomische Unsicherheiten. Mit mathematischen Methoden entwickeln die Wissenschaftler*innen Modelle, um unsichere wirtschaftliche Szenarien zu simulieren. „Wir versuchen zu verstehen, wie sich Ungewissheit auswirkt und wie sie von verschiedenen Akteuren genutzt wird“, so Dawid.
Welche Rolle Unsicherheiten im Kontext smarter Produkte spielen, untersuchte Dawid zum Beispiel in einer Forschungsgruppe am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld. Die ZiF-Forschungsgruppe „Ökonomische und rechtliche Herausforderungen im Kontext von intelligenten Produkten“ leitete Dawid gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Universitäten Basel und Hamburg. Die Zusammenarbeit lief bis Mitte 2022.
Ungewissheit eröffnet Chancen
Unsicherheit hat eine wichtige wirtschaftliche Funktion: Sie eröffnet neuen oder kleinen Unternehmen die Chance, ihre etablierten Konkurrenten zu verdrängen, und motiviert alle Unternehmen zu mehr Innovationen. Dadurch treibt sie technologischen Wandel und die Entstehung neuer Märkte und Industrien an. „Uns beschäftigt, wie Unternehmen Unsicherheit strategisch nutzen. Dieser Fokus ist neu: Bisher ging es in der ökonomischen Forschung meist primär darum, wie Unsicherheiten eliminiert werden können“, sagt Dawid.
Ein Beispiel ist die Autoindustrie. Auf einmal werden dort Eigenschaften wichtig, die vorher gar keine Rolle gespielt haben, etwa wie gut die Steuerungsprozesse für autonome Autos sind. „In diesem Fall gibt es große Ungewissheiten über die zukünftige Markt- und Industrieentwicklung. Die Unsicherheiten nutzen Unternehmen. Google kann zum Beispiel ankündigen, ein Auto zu entwickeln, weil unklar ist, was die entscheidende Kompetenz der Zukunft ist: Kommt es darauf an, dass man einen guten Motor bauen kann, so wie die etablierten deutschen Hersteller? Oder kommt es darauf an, über die Daten zu verfügen, um Steuerungsprozesse entwickeln zu können?“, sagt Dawid.
Dies führt auch zu Ungewissheiten darüber, in welche Region sich wirtschaftliche Aktivität in Zukunft verschiebt, und kann schwächeren Regionen die Chance bieten aufzuholen. Solche Szenarien modellieren Dawid und seine Kolleg*innen im Projekt Growinpro. Die Europäische Union fördert Growinpro im Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020. Gemeinsam mit Forschenden von 13 anderen europäischen Universitäten und Instituten untersuchen Dawid und sein Team, warum sich das Wirtschaftswachstum in Europa verlangsamt hat, und schlagen Maßnahmen für die Politik vor.
Mit Marktunsicherheit zu besseren Krediten
Mit der Ebene einzelner Unternehmen beschäftigt sich Dawid im Sonderforschungsbereich (SFB) 1283 der Universität Bielefeld. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert den mathematisch ausgerichteten SFB in einer zweiten Förderperiode bis 2025. In einem Teilprojekt untersucht Dawid, wie Firmen Marktunsicherheit nutzen können, um optimal zu investieren: „Für Investitionen brauchen insbesondere kleinere Firmen Kredite. Unsere Modelle zeigen, unter welchen Bedingungen mehr Unsicherheit dazu führen kann, dass Firmen Kredite mit einem niedrigeren Zinssatz bekommen. Es ist also nicht immer von Vorteil, Unsicherheiten zu beseitigen.“
Spannend findet Dawid auch Fälle, in denen Unternehmen die Intransparenz von Algorithmen nutzen. „Algorithmen werden zum Beispiel eingesetzt, um Preise festzulegen. Ökonomische Studien zeigen, dass diese Preise oft zu hoch sind – und das können Unternehmen ausnutzen, da sie wegen der Intransparenz der Algorithmen keine Kartellstrafen fürchten müssen“, sagt Dawid. „Eine interessante Frage ist dann, ob es den gleichen Effekt auch auf dem Arbeitsmarkt gibt: ob also die Gefahr besteht, dass Algorithmen zu niedrige Löhne festlegen.“
Solche Arbeiten sind wichtig, um Unsicherheit zu bewerten, so Dawid – und um besser regulieren zu können, wie viel Unsicherheit zugelassen werden soll. „Den Fokus auf den Nutzen von Unsicherheit zu lenken, ist ein spannender nächster Schritt, für den es an der Universität Bielefeld viel Expertise gibt“, sagt Herbert Dawid.