Eine neue Unternehmensform macht von sich reden: das Unternehmen in Verantwortungseigentum. Hier stellt sich die Frage neu, wem ein Unternehmen eigentlich gehört, womit klassischen Vorstellungen widersprochen wird. Gemeinsam erforschen die Rechtswissenschaftlerin Professorin Dr. Anne Sanders und die Wirtschaftswissenschaftlerin Professorin Dr. Christina Hoon den neuen Typus.
Als der Hamburger Gewürzhändler Ankerkraut vor wenigen Wochen mitteilte, künftig unter dem Dach des Nestlé-Konzerns zu firmieren, erntete das Unternehmen einen Shitstorm. Viele Kund*innen fühlten sich verraten und sahen das, wofür Ankerkraut steht, ebenfalls verkauft. Wäre der 2013 als Startup gegründete Gewürzhändler ein „Unternehmen in Verantwortungseigentum“ gewesen, hätte es diesen Verkauf nicht geben können. Denn das Vermögen wäre gebunden gewesen – wie es bei aktuell etwa 200 deutschen Unternehmen der Fall ist.
„Das Konzept der Unternehmen in Verantwortungseigentum knüpft an Traditionen in deutschen Unternehmen an“, sagt Anne Sanders von der Fakultät für Rechtswissenschaft. Eine solche Tradition seien die Familienunternehmen, deren Inhaber sich als Treuhänder ihres Unternehmens verstehen. „Sie ziehen heraus, was sie benötigen, ohne es zu gefährden“, so Sanders. Aber sie behalten alle Rechte – Verkauf inklusive. Die Juristin arbeitet unter anderem mit ihrem Bielefelder Kollegen Professor Dr. Simon Kempny daran, Vorschläge für eine neue Rechtsgrundlage für die neue Unternehmensform zu schaffen. Über diese Arbeit erhielt sie erste Einblicke in die Besonderheiten dieser Unternehmen. Nun erforscht sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Christina Hoon von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften diese „Purpose-Economy“, die mitunter auch als Sinnökonomie bezeichnet wird.
Zugrunde liege die Idee eines sich selbst gehörenden Unternehmens, dessen Zweck nicht sei, Vermögen für den Privatbesitz anzuhäufen, erklären die Wissenschaftlerinnen.
Auf Werte verpflichtet
Bei der Unternehmensform Verantwortungseigentum haben die Eigentümer*innen Stimm- und Teilhaberechte, können jedoch keine Gewinne aus dem Unternehmen ziehen oder es womöglich zum eigenen finanziellen Vorteil verkaufen, erläutert die Juristin Sanders. Das Vermögen ist im Unternehmen gebunden, die Gesellschafter*innen haben keinen persönlichen Zugriff auf Gewinne oder Verkaufserlöse.
Hoon stellt klar, dass auch diese Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich seien und durchaus Gewinne machen wollen und sollen. „Die aber werden reinvestiert, an die Mitarbeiter*innen ausgeschüttet oder gespendet.“
Die Idee, auf diese Weise ein Wirtschaftsunternehmen anderen Zielen als der Profitmaximierung zu verpflichten, ist das eine. „Zum anderen kann so eine Nachfolgeregelung, die dem Erhalt des Unternehmens dient, getroffen werden“, erklärt die Betriebswirtin. „Der Nachfolger oder die Nachfolgerin ist aber nicht unbedingt durch Erbe bestimmt und muss sich auf bestimmte unternehmensinterne Werte verpflichten“, ergänzt Sanders. „Ansonsten darf er oder sie aber unternehmerisch frei agieren.“ Selbst wenn er oder sie einen Schlachthof in ein Unternehmen für vegane Nahrung umwandele. Denn der Purpose – die Mission der Firma – dient zwar als Leitstern der Unternehmenswerte, ist aber nicht notwendig rechtlich unveränderlich.
Eine Art Labor für die Zusammenarbeit der Zukunft
„Das Besondere an diesen Unternehmen in Verantwortungseigentum ist nicht nur die rechtliche Ausgestaltung, sondern die Haltung“, sagt Sanders. „Zugrunde liegt ein anderes Unternehmertum mit häufig transparenten Einkommens- und Lohnsystemen, sehr partizipativen Strukturen und flacher Hierarchie“, führt Hoon aus. Mit Sanders hat sie Unternehmer*innen, die sich diesem Prinzip verschrieben haben, befragt und erfahren, dass bei ihnen allen die Gewinne lediglich die Mittel zum Zweck seien.
Eine Purpose-Orientierung, erklärt Hoon, erwarte man heute ohnehin von allen Unternehmen. Die Entscheidung für Verantwortungseigentum verlange jedoch große Konsequenz, sagt Sanders. „Diese Unternehmen sind eine Art Labor für eine mögliche Zusammenarbeit der Zukunft“, sagt sie. „Hier probieren mutige Menschen neue Dinge aus.“ Dabei gab und gibt es durchaus Widerstand und Widerspruch und die Vorstellung, dass letztlich das Gewinnstreben Einzelner der Antrieb für unternehmerisches Handeln sei. Das aber sehen beide Wissenschaftlerinnen kritisch.
Ebenso weisen sie zurück, dass dem Modell sozialistische Ideen zugrunde liegen. „Weder Staatskonstruktionen noch Kollektive funktionieren unternehmerisch wirklich, und Sozialismus ist Zwang“, sagt Hoon. „Diese Unternehmen in Verantwortungseigentum wollen frei und flexibel am Markt agieren – allerdings mit der Freiheit, sich für den Purpose und im Extremfall damit auch für oder gegen Lieferant*innen oder Kund*innen zu entscheiden.“ Diese Freiheit könnten sich rechtlich gesehen zwar alle Unternehmen nehmen, so Sanders. Jedoch könne es schwierig werden, wenn die Zahlen für den Shareholder Value, also die Dividende für die Aktionär*innen, stimmen müssten. Um seinem Purpose gerecht zu werden, habe beispielsweise das Unternehmen Waschbär, Versandhandel für Naturprodukten, ein „Haltungsgremium“, das sich anstehende unternehmerische Entscheidungen genau anschaue.
Da ist es wieder das Wort Haltung. „Bei Unternehmen in Verantwortungseigentum geht es um Sinnorientierung als Leitstern und nicht als zwanghaftes Gesetz“, so Hoon. „Es geht um Fragen der Nachhaltigkeit und der sozialen Verantwortung.“ Wichtige Kriterien sind laut Hoon für diese Unternehmen ein langfristiges Commitment, eine langfristige Perspektive und Vertrauen in die Bindung, in die Wahrung der Werte und in die übergeordneten Unternehmensziele. „Die Vermögensbindung offenbart ein anderes Eigentumsverständnis: Sie ist kein ‚Greenwashing‘, sondern belegt die Ernsthaftigkeit“, ergänzt Sanders.
Zwar gibt es auch die Möglichkeit, über eine Stiftung Vermögen dauerhaft einem bestimmten Zweck zu widmen. Das aber, so die Sanders, könne ein sehr aufwändiges Verfahren, teilweise mit Doppelstiftungs-Konstruktion und einer das Unternehmen haltenden Gesellschaft, bedeuten – wenig geeignet für kleine und mittlere Unternehmen. Dafür soll es bald eine eigene Rechtsform geben, die auch im Koalitionsvertrag stehe. Die Ampelregierung will dem Modell eine Chance geben, wobei Steuersparmodelle ausgeschlossen sein sollen. Das sei in der Tat ein wichtiges Ziel, betont Sanders.
Es sind wenige, aber sie sind laut
Dabei sieht Hoon auch Grenzen des Rollenmodells des Verantwortungseigentums. „Diese Grenzen haben aber nicht etwas mit den Branchen, sondern mit der Größe zu tun. Große Unternehmen müssen Kapitalgesellschaften werden, um sich zu finanzieren, sie müssen sich Geld besorgen können“, so Christina Hoon. „Und auch für Global Player ist das Modell nichts.“ Ob es sich dauerhaft trägt, werde man sehen. Hoon: „Derzeit jedenfalls sind die Unternehmen sehr erfolgreich.“ Einige immerhin seit Jahrzehnten – auch ohne spezielle in Form gegossene Rechtsform.
Anne Sanders und Christina Hoon werden sie wissenschaftlich weiter begleiten, ebenso wie Kolleg*innen aus der Soziologie, die sich für die gesellschaftliche Auswirkungen interessieren. Ende Juni werden sie im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld einen Workshop leiten, in dem erarbeitet werden soll, wie diese Unternehmen analysiert, erforscht und geregelt werden können.
Einig sind sich Juristin und Betriebswirtin darin, dass die neue Unternehmensform die Wirtschaft bunter mache und dass eine Vielfalt der Rechtsformen einen Gewinn bedeute. „Das sind nicht die kleinen Gallier, die gegen die großen Römer kämpfen.“ sagt Christina Hoon. „Wir brauchen sie in einer diversen Gesellschaft auch.“