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„Schutz der Privatsphäre ist für viele nachrangig“


Autor*in: Universität Bielefeld

Globale Herausforderungen brauchen globale Perspektiven. Um die Vielfalt der Sichtweisen in den ZiF-Forschungsgruppen zu erhöhen und afrikanische Forschende sichtbarer zu machen, bietet das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld jährlich zwei Stipendien für Wissenschaftler*innen aus Afrika an: die von der VolkswagenStiftung geförderten Norbert-Elias-Fellowships. Seit Oktober wirken zwei Stipendiatinnen in der ZiF-Forschungsgruppe „Ökonomische und rechtliche Herausforderungen im Kontext smarter Produkte“ mit. Dr. Sarah Mansour ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kairo in Ägypten und Dr. Adekemi Omotubora ist Dozentin für Rechtswissenschaft an der Universität Lagos in Nigeria. Sarah Mansour und Adekemi Omotubora sprechen im Interview über ihre Forschung und die Vorteile der Arbeit in einer interdisziplinären Gruppe.

Wie hängt Ihre eigene wissenschaftliche Arbeit mit der aktuellen ZiF-Forschungsgruppe zusammen?

Sarah Mansour: Meine Forschung konzentriert sich auf die Untersuchung menschlichen Verhaltens in Übergangssituationen. Ich verwende Laborexperimente und Feldversuche, um meine Hypothesen zu testen. Insbesondere entwickle und evaluiere ich Verhaltensinterventionen, die darauf abzielen, das Sozialkapital der Menschen in Ägypten zu erhöhen. Seit meiner Ankunft am ZiF habe ich verschiedene Perspektiven – wirtschaftliche, rechtliche und technische – in Bezug auf die Einführung intelligenter Produkte kennengelernt.
Mein Mitarbeit in der ZiF-Forschungsgruppe hat mich auf neue Ideen gebracht, um die Auswirkungen des Umgangs mit neuen Technologien – wie zum Beispiel Künstlicher Intelligenz (KI) ¬– auf die das Verhaltens von Menschen in Entwicklungsländern zu untersuchen. In jüngerer Zeit hat KI große Fortschritte gemacht und spielt bei zahlreichen Dienstleistungen eine Rolle. Daher ist es äußerst wichtig, zu untersuchen, inwieweit die Menschen eine solche Entwicklung akzeptieren: Wie reagieren sie auf die smarte Technik ? Wird der Einsatz von KI ihr Vertrauen in ein technisches System erhöhen? In der ZiF-Forschungsgruppe haben wir auch die Frage des Datenschutzes im Zusammenhang mit intelligenten Produkten diskutiert. Ich glaube, dass der Schutz der Privatsphäre für die Menschen in den Entwicklungsländern ein nachrangiges, ein postmaterialistisches Ziel ist – es geht ihnen erst einmal darum, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen. Deshalb sind sie oft leicht bereit, einen Teil ihrer Privatsphäre gegen einen höheren Lebensstandard zu tauschen.

Adekemi Omotubora: Ich beschäftige mich mit Entwicklungen an der Schnittstelle von Recht und Technologie, insbesondere mit dem Schutz der Privatsphäre und dem Datenschutz, und mit den Auswirkungen der Einführung dieser Technologien auf die Menschenrechte. Wir untersuchen Fragen wie: Welche Folgen haben intelligente Produkte für den Arbeitsmarkt, für die Menschenrechte und für die Demokratie? Außerdem habe ich mich mit der Diskriminierung von Frauen aufgrund von Vorurteilen befasst, die in KI-Algorithmen eingebettet sein können: Was bedeuten sie dafür, wie intelligente Produkte entwickelt und genutzt werden? Denn wenn Frauen diese Technologie nicht nutzen, bleiben sie ein marginalisierter Teil der Gesellschaft. Das ist ein wichtiges Thema, das wir auch in meiner eigenen Forschungsgruppe diskutiert haben.
Ich engagiere mich zu dem Thema auch gesellschaftlich: Ich beschäftige mich mit digitaler Inklusion, insbesondere mit Blick auf marginalisierte und ausgegrenzte Gemeinschaften, zum Beispiel Frauen, Menschen mit Behinderungen und Analphabet*innen – sie werden häufig von der digitalen Wirtschaft ausgeschlossen. Ich gehe der Frage nach, was wir tun müssen, um sicherzustellen, dass jede*r so viel wie möglich von den neuen Technologien profitiert.

Bild der Person: Adekemi Omotubora, Dozentin für Rechtswissenschaften an der Universität von Lagos in Nigeria
Dr. Adekemi Omotubora ist Dozentin für Rechtswissenschaften an der Universität von Lagos in Nigeria. Sie forscht an der Schnittstelle von Recht und Technologie und befasst sich insbesondere mit dem Schutz der Privatsphäre und dem Datenschutz.

What Welche neuen Impulse ziehen Sie aus Ihrem Forschungsaufenthalt am Zentrum für interdisziplinäre Forschung?

Adekemi Omotubora: Ich habe schon früher in interdisziplinären Teams gearbeitet, aber nicht in so einer großen Gruppe wie der ZiF-Forschungsgruppe. Ich habe hauptsächlich mit Informatiker*innen, Software-Entwickler*innen und -designer*innen zusammengearbeitet. Die Mitglieder der ZiF-Forschungsgruppe kommen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen. Das zwingt mich, darüber nachzudenken, wie ich arbeite, wie ich erklären kann, was ich tue, und wie ich das, was ich weiß, mit dem, was ich gelernt habe, zusammenbringen und bessere Entscheidungen treffen kann, vor allem, was die Methoden angeht. Die Einführung smarter Produkte wird massive Auswirkungen auf die Entwicklungsländer haben und kann zu neuen Problemen führen. Das zu berücksichtigen, ist auch für die anderen Mitglieder der Gruppe wichtig. Darüber hinaus ist es entscheidend zu zu sehen, wie sich unser kultureller Hintergrund auf die Einführung und Akzeptanz intelligenter Produkte auswirken könnte.

Sarah Mansour: Als Verhaltensökonomin und experimentelle Ökonomin versuche ich, das Verhalten des Einzelnen und die Faktoren, die eine Änderung dieses Verhaltens begünstigen könnten, zu verstehen, um die Vorhersagekraft unserer Wirtschaftsmodelle zu erhöhen. Wirtschaftswissenschaftler*innen alleine können das nicht. Wir brauchen Perspektiven aus verschiedenen Disziplinen, aus Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft, Psychologie, Neurologie – all das zusammen ergibt ein umfassenderes Bild des Themas und vertieft die Wirtschaftsforschung. Die Interdisziplinarität, wie sie am ZiF praktiziert wird,  ist also sehr wichtig und nützlich für meine Forschung.

Bild der Person: Dr. Sarah Mansour, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kairo, Ägypten.
Dr. Sarah Mansour forscht zu verhaltensorientierter und experimenteller Wirtschaft. Sie ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kairo, Ägypten.

Sie sind vor sieben Monaten in Bielefeld angekommen. Wie haben Sie die Stadt und das ZiF kennengelernt?

Adekemi Omotubora: Als ich im Internet nach Bielefeld gesucht habe, um mir eine Vorstellung von der Stadt zu machen, stieß ich auf die seltsame Behauptung, dass es Bielefeld nicht gibt. Das fand ich verwirrend. Der Aufenthalt hier ist einfacher, als ich dachte. Ich hatte befürchtet, dass die Sprache das größte Hindernis sein würde – aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es immer einen Weg gibt, sich zu verständigen, wenn ich jemanden treffe, der kein Englisch spricht.

Sarah Mansour: Vielleicht haben wir mehr Glück als die Stipendiat*innen vom vergangenen Jahr, weil wir nicht mit einem Lockdown konfrontiert waren … Das Leben hier ist ziemlich normal, seit wir im Oktober angekommen sind. Ich mag die Universität Bielefeld und besonders das ZiF, weil es die beste Umgebung zum Arbeiten und Leben bietet. Von unseren Apartments aus ist das Hauptgebäude des ZiF in 30 Sekunden zu Fuß zu erreichen, was sehr praktisch ist. Wenn man sich auf seine Forschung konzentrieren möchte, ist das ZiF der richtige Ort.

Das Norbert-Elias-Fellowship

Das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) hat die Norbert-Elias-Fellowships zum zweiten Mal vergeben. Dieses Stipendium greift das Problem auf, dass Forschende aus afrikanischen Ländern in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft unterrepräsentiert sind. Die Fellowships sollen die Perspektivenvielfalt in den ZiF-Forschergruppen erhöhen und die Arbeit afrikanischer Forschender in der Wissenschaft sichtbarer machen. Die Norbert-Elias-Fellowships werden von der Volkswagenstiftung unterstützt.