Wenn es um die Folgen der Corona-Pandemie für das Schulsystem geht, richtet sich der Blick bislang vor allem auf Schüler*innen und Lehrkräfte. Doch die Pandemie belastet und beansprucht auch die Schulleitungen. Eine Studie der Hochschule Fulda, der Universität Bielefeld und der Universität Trier liefert nun Ergebnisse zu arbeitsbedingten Stressbelastungen, zu gesundheitsriskanten Strategien der Arbeitsbewältigung und zur gesundheitlichen Beanspruchung der schulischen Führungskräfte. Dringenden Handlungsbedarf sehen die Wissenschaftler*innen vor allem für weibliche Schulleitungen und Grundschulleitungen.
Die Wissenschaftler*innen befragten insgesamt 2.187 Schulleitungen und Schulleitungsmitglieder aus vier Bundesländern (Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen) in Form eines Online-Surveys in der Zeit vom 9. März bis 13. April 2021.
Arbeitsstress: Nervosität und Kontrollverlust
Die Studie zeigt: Ein hoher Anteil der schulischen Führungskräfte leidet coronabedingt unter Arbeitsstress. 73 Prozent der Befragten geben an, ziemlich oder sehr oft in den vergangenen Monaten aufgewühlt gewesen zu sein, weil aufgrund der Pandemie etwas Unerwartetes im Schulbetrieb passiert ist. 70 Prozent berichten, sich ziemlich oder sehr oft über Dinge geärgert zu haben, über die sie infolge der Corona-Pandemie keine Kontrolle hatten. Ein Drittel gibt an, sich in den Monaten zuvor im Arbeitskontext ziemlich oder sehr oft nervös oder gestresst gefühlt zu haben.
Gesundheitsriskante Formen der Arbeitsbewältigung
„Die Mehrheit der Schulleitungen greift zu gesundheitsriskanten Formen der Arbeitsbewältigung: Sie arbeiten länger und in der Freizeit, verzichten auf Pausen, erhöhen das Arbeitstempo“, sagt Professor Dr. Kevin Dadaczynski von der Hochschule Fulda, Erstautor der Studie. Drei Viertel der Befragten, vor allem die Grundschulleitungen, geben an, dass ihre Arbeitszeit seit der Corona-Pandemie gestiegen ist. 90 Prozent melden zurück, innerhalb der vorausgegangenen drei Monate oft oder sehr oft in der Freizeit für Kollegium, Schüler*innen oder Eltern erreichbar gewesen zu sein. Fast 70 Prozent berichten zudem, in einem für sie belastendem Arbeitstempo zu arbeiten, das sich nicht dauerhaft durchhalten ließe.
Geringe Zufriedenheit und Erschöpfung
Mehr als 40 Prozent der Befragten weisen bezüglich ihrer aktuellen Arbeitssituation eine geringe Zufriedenheit auf. Der Anteil jener, die ein höheres Ausmaß an physischer und psychischer Erschöpfung berichten, liegt zwischen 30 und 45 Prozent. Muskelbeschwerden (47 Prozent) und Kopfschmerzen (20 Prozent) sind die häufigsten psychosomatischen Beschwerden.
Mehr Belastung, mehr Beanspruchung
„Wir können einen Zusammenhang zwischen Belastungssituation und Arbeitsbeanspruchung feststellen“, so Professor Dadaczynski. „Schulleitungen, die über häufigen Arbeitsstress berichten, weisen ein höheres Maß an physischer und psychischer Erschöpfung auf. Und es sind vor allem weibliche Schulleitungen und Führungskräfte in Grundschulen, die sowohl von höheren Stressbelastungen als auch einem höheren Maß an selbstgefährdender Arbeitsbewältigung und Erschöpfung berichten.“
Leistungsfähigkeit und Gesundheit hängen zusammen
„Wir wissen insbesondere aus der Bildungsforschung, wie enorm wichtig Schulleitungen für ein funktionierendes Bildungssystem sind und dass hinter einer guten Schule eine erfolgreiche Schulleitung steht“, sagt Dr. Orkan Okan von der Universität Bielefeld. „Umso wichtiger ist es, die Gesundheit von Schulleitungen viel stärker in den Fokus von Forschung, Praxis und Politik zu rücken. Denn mittlerweile ist hinlänglich nachgewiesen, dass Leistungsfähigkeit, Bildungsqualität und Gesundheit zusammenhängen.“
Dringender Handlungsbedarf
Die drei Studienautor*innen sehen vor dem Hintergrund der Studienergebnisse einen dringenden bildungs- und gesundheitspolitischen Handlungsbedarf, um Gesundheit und Wohlbefinden von Schulleitungen in Deutschland zu verbessern. Das sei wichtig, um eine hohe Bildungs- und Schulqualität zu gewährleisten. „Dazu gehört auch, die bestehenden Modellprojekte zur Einbindung von Schulgesundheitsfachkräften wie School Nurses auszubauen und zu verstetigen“, so Professorin Dr. Melanie Messer von der Universität Trier. „Die Erfahrungen haben gezeigt, dass sie die Gesundheitsversorgung, -förderung und Prävention bei Kindern und Jugendlichen erfolgreich fördern und das Schulpersonal zu gesundheitsrelevanten Themen und auch zu Fragen des Infektionsschutzes unterstützen können.“
Zur Studie
Die Studie entstand im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts COVID-19 Health Literacy (COVID-HL), das vom Public Health Zentrum Fulda (PHZF) an der Hochschule Fulda, dem Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung an der Universität Bielefeld (IZGK) und der Abteilung Pflegewissenschaft II an der Universität Trier koordiniert wird. Dem Forschungsnetzwerk gehören inzwischen Wissenschaftler*innen aus mehr als 60 Ländern an. Übergreifende Ziele sind:
- Etablierung eines globalen Forschungs- und Praxisnetzwerks in den Bereichen Gesundheitskompetenz, Gesundheitsinformationen, Gesundheitsförderung/Prävention und Gesundheit
- Umsetzung von internationalen wissenschaftlichen Untersuchungen in den genannten Bereichen einschließlich der Realisierung länderübergreifender und -vergleichender Auswertungen
- Unterstützung von Entscheidungsträgern aus Praxis und Politik durch wissenschaftliche Erkenntnisse
Finanziert wurde die Studie durch Eigenmittel der Hochschulen.