Die Universitätsgesellschaft Bielefeld (UGBi) hat gestern (07.09.2021) die Preise für die besten Doktorarbeiten der Universität Bielefeld verliehen. Die Themen reichen von der Stadtgrenze des antiken Roms über Algorithmen, die Onlinetexte erkennen, bis hin zur Verbreitung von Fadenwürmern. Aus 13 Fakultäten wurde je mindestens ein*e Doktorand*in ausgezeichnet, außerdem ging ein Preis an eine Doktorandin der Bielefeld School of Education (BiSEd).
© Universitätsgesellschaft Bielefeld/S. Sättele
Vor der Preisverleihung kamen die Preisträger*innen und Vertreter*innen der UGBi sowie der Rektor der Universität Bielefeld für das Erinnerungsfoto zusammen (hinten v.li.) Dr. Birgit Vemmer (UGBi), Ralf Rapior, Dr. Giuseppe Gagliardi, Dr. Malte Bödeker, Dr. Rudi Ruks, Dr. Robert Schippa, Rektor Prof. Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, Dr. Stefanie Albus, Dr. Simon Betz, Dr. Alessa Hinzmann, Dr. Soufian Jebbara, Dr. Rainer Wend (UGBi), (vorne v.li.) Dr. Jana-Elisa Rüth, Dr. Nadine Großmann, Dr. Birgit Gansfort, Dr. Kristin Weiser-Zurmühlen, Dr. Marius Ötting und Dr. Daniel Emmelius.
Ausgezeichnet wurden die jeweils besten Dissertationen, die im Jahr 2020 abgeschlossen wurden. Alle Doktorarbeiten wurden mit der Bestnote „summa cum laude“ (hervorragende Leistung) bewertet.
Die Universitätsgesellschaft Bielefeld (UGBi) verleiht die Preise für die besten Doktorarbeiten seit 1983. Sie werden mit jeweils 1.000 Euro honoriert, gefördert von namenhaften Unternehmen aus der Region Ostwestfalen-Lippe sowie Einzelpersonen.
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Dr. Birgit Gansfort (Fakultät für Biologie):
„Eine fundamentale Frage in der Ökologie lautet: Warum kommt eine Art zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Standort vor? Und, was vielleicht noch schwieriger zu beantworten ist: Warum manchmal nicht? In meiner Dissertation bin ich dieser Frage auf den Grund gegangen, indem ich mich mit der Verteilung der weltweit häufigsten mehrzelligen Tiergruppe beschäftigt habe, den Nematoden, auch bekannt als Fadenwürmer. Ich habe Faktoren untersucht, die ihre Verteilung beeinflussen. Dafür habe ich große Flussnetzwerke sowie kleinste Sedimentbereiche untersucht und sogar Würmer aus der Luft auf dem Universitätsdach beim Langstreckenflug eingefangen. Momentan untersuche ich in einem Projekt an der Universität Bielefeld, inwiefern sich Nematoden aktiv und zielgerichtet verbreiten können.“
Title der Dissertation: Metacommunity processes of freshwater nematodes – Insights on local and regional scales
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Dr. Alessa Hinzmann (Fakultät für Chemie):
„Der Fokus meiner Doktorarbeit lag auf der Forschung nach einem alternativen Herstellungsweg für Nitrile und Amine. Nitrile und Amine sind Ausgangsstoffe zum Beispiel für Kunstfasern aus Polyamid, dem Hauptmaterial für Feinstrumpfhosen. Klassische Herstellungsmethoden sind energieintensiv und verwenden oft toxische Chemikalien. In meiner Doktorarbeit konnte ich die Welten der Bio- und Chemokatalyse vereinigen, um so einen nachhaltigeren Zugang zu Nitrilen und Aminen zu schaffen. Nun bin ich als Laborleiterin bei OQ Chemicals angestellt und forsche dort mit einem eigenen kleinen Laborteam an Prozessoptimierungen und nachhaltigeren Reaktionsführungen.“
Title der Dissertation: Chemoenzymatische Kaskadenreaktionen zur Synthese von aliphatischen Nitrilen und Aminen ausgehend von nachwachsenden Rohstoffen
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Dr. Stefanie Albus (Fakultät für Erziehungswissenschaft):
„Die sozialpolitischen Forderungen nach wirksameren und teilhabeorientierten Angeboten der Jugendhilfe haben in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass in den darauf bezogenen Diskursen Standardisierungen, Disziplinierung und Aktivierung forciert wurden. In meiner Dissertation konnte ich aufzeigen, dass dies in der Praxis kontraproduktive Effekte nach sich ziehen kann. Ausgehend von sozialpädagogischen und gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen habe ich alternative Vorschläge entwickelt, wie eine professionelle sozialpädagogische Jugendhilfe wirksam die selbstbestimmte Teilhabe von Kindern, Jugendlichen und Eltern unterstützen kann.“
Titel der Dissertation: Teilhabe als Leitmotiv wirkungsorientierter Jugendhilfe
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Dr. Daniel Emmelius (Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie):
„In meiner Dissertation habe ich eine bestimmte Art von Stadtgrenze erforscht, die es so nur im antiken Rom gab: das Pomerium. Nachgewiesen ist diese Grenze sowohl in der antiken Literatur als auch durch Inschriften auf Grenzsteinen. Ich habe zu zeigen versucht, dass das Pomerium nicht primär, wie meist angenommen wird, konkrete Regeln betraf, etwa zum Tragen von Waffen. Vielmehr diente es als mehrdeutiges Monument der Ursprünge Roms und veranschaulichte zudem – durch seine Erweiterbarkeit – imperiale Expansion. In meinem neuen Projekt forsche ich an der Universität Duisburg-Essen zum Umgang der Griechen und Römer mit den Wüsten Nordafrikas und des Nahen Ostens.“
Titel der Dissertation: Grenzen schreiben. Das Pomerium und die Konstitution von Stadtgrenzen im antiken Rom
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Dr. Malte Bödeker (Fakultät für Gesundheitswissenschaften):
„Hat unsere Wohnumgebung Einfluss darauf, wie viel wir uns im Alter bewegen? In meiner Dissertation haben sich Zusammenhänge zwischen baulichen Merkmalen im Umfeld von Senior*innenwohnanlagen in Bielefeld und der körperlichen Aktivität ihrer Bewohner*innen bestätigt. Im Fokus standen unterschiedliche Ortsdefinitionen sowie Abweichungen zwischen objektiven Daten und subjektiven Wahrnehmungen zur Wohnumgebung. Zur praktischen Umsetzung konnte ich zudem eine Brücke zu meiner Tätigkeit im Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit schlagen. Dort begleite ich seit 2016 den Aufbau kommunaler Netzwerke zur Gesundheitsförderung und -versorgung.“
Titel der Dissertation: Einfluss der Wohnumgebung auf die körperliche Aktivität im dritten Lebensalter – Subjektive Raumdefinitionen als Erklärungsansatz für Unterschiede zwischen der subjektiv versus objektiv bestimmten Fußgänger*innenfreundlichkeit der Wohnumgebung und ihren Beiträgen zur Erklärung körperlicher Aktivität
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Dr. Simon Betz (Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft):
„Menschliche Sprache ist nicht perfekt, und das ist auch gut so. Wenn wir sprechen, ist das kein perfektes Vorlesen, sondern Spontansprache mit vielen kleinen Verzögerungen, sogenannten Häsitationen. Es hat sich herausgestellt, dass diese enorm hilfreich für die Zuhörer*innen sind, um das Gesagte zu verarbeiten. In meiner Dissertation habe ich untersucht, ob sich diese kommunikativen Vorteile auf die Mensch-Maschine-Kommunikation übertragen lassen. Kurzfassung: Ja, auch Häsitationen von sprechenden Maschinen sind nützlich. Zurzeit arbeite ich als Postdoc in der Arbeitsgruppe Phonetik der Universität Bielefeld. Ich beschäftige mich neben der Lehre weiterhin mit Häsitationen und befasse mich mit Themen wie Mouse-Tracking und Gamification als Bereicherung für empirische Methoden in der Linguistik.“
Titel der Dissertation: Hesitations in Spoken Dialogue Systems
© Thomas Hermann
Dr. Kirstin Weiser-Zurmühlen (Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft):
„Ich habe anhand von Videodaten analysiert, wie Schüler*innen über TV-Serien und deren Rezeption sprechen. Konkret habe ich gesprächslinguistisch herausgearbeitet, wie sie sich selbst und andere in Bezug auf Serien positionieren: Im Gespräch nutzen die Schüler*innen unter anderem gesellschaftlich und medial vermittelte Bewertungen von und Wissen über Serien – Stichwort: Spoileralarm –, um sich mit anderen Gruppenmitgliedern zu vergemeinschaften oder sich von ihnen abzugrenzen. Aktuell arbeite ich an der Bergischen Universität Wuppertal und forsche an einem Projekt zum Umgang mit Verschwörungstheorien im deutschen und englischen Sprachunterricht.“
Titel der Dissertation: Vergemeinschaftung und Distinktion. Eine gesprächsanalytische Studie über Positionierungspraktiken in Diskussionen über TV-Serien.
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Dr. Robert Schippa (Fakultät für Mathematik):
„In meiner Dissertation habe ich Methoden der Fourier-Analysis auf Partielle Differentialgleichungen angewendet. Die betrachteten Gleichungen werden genutzt, um Wellenbewegungen, etwa von Wasser, zu erklären. Dabei habe ich die Ausbreitung von räumlich-periodischen Wellen mit rauen Profilen behandelt. Als Doktorand des Internationalen Graduiertenkollegs (IRTG) 2235 der Universität Bielefeld verbrachte ich mehrere Monate an der Seoul National University. Das gab mir Gelegenheit, meine Studien der Harmonischen Analysis zu vertiefen. Derzeit arbeite ich am Karlsruher Institut für Technologie zu Maxwellgleichungen, die Elektromagnetismus beschreiben.“
Titel der Dissertation: Short-time Fourier transform restriction phenomena and applications to nonlinear dispersive equations
© Giuseppe Gagliardi
Dr. Giuseppe Gagliardi (Fakultät für Physik):
„In my dissertation, I worked on finding an alternative representation for the lattice formulation of Quantum Chromodynamics (QCD). QCD is the fundamental quantum theory that describes quarks and their interactions. Understanding its behavior as a function of density is a difficult task due to the so-called sign problem. I have developed, together with my supervisor, an exact dual representation for lattice QCD, based on the strong coupling expansion, which can reduce the severity of the sign problem and improve our knowledge of the phase structure of QCD. I am currently a postdoctoral researcher in Rome at the National Institute of Nuclear Physics (INFN).”
Titel der Dissertation: The QCD Phase Diagram from Strong Coupling Expansion
© Pia Skiba Photography
Dr. Jana-Elisa Rüth (Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft):
„In meiner Dissertation habe ich mich mit der Regulation und der bewussten Wahrnehmung von Emotionen im Kindes- und Jugendalter beschäftigt. Ich bin der Frage nachgegangen, welche Rolle das emotionale Familienklima, zum Beispiel die Mutter-Kind Beziehung, sowie Alter und Geschlecht für die Entwicklung dieser Aspekte der emotionalen Kompetenz und die psychische Gesundheit spielen. Aktuell forsche ich an der Universität Bielefeld zu verschiedenen Aspekten der emotionalen Kompetenz und arbeite an der Veröffentlichung eines theoriebasierten Fragebogens zur Erfassung von Emotionsregulationsfähigkeiten im Kindes- und Jugendalter, den ich maßgeblich mitentwickelt habe.“
Titel der Dissertation: Entwicklung und Sozialisation von emotionaler Bewusstheit und Emotionsregulation in der Adoleszenz: Die Rolle des emotionalen Familienklimas
© Vanessa Esau
Dr. Rudi Ruks (Fakultät für Rechtswissenschaft):
„Meine Dissertation befasst sich mit der Frage, auf welche Weise die Haftung für außergewöhnliche Umstände wie etwa Pandemien im europäischen Pauschalreiserecht verteilt wird. Wer trägt die Risiken für derartige Ereignisse vor oder während der Reise, was sind die Konsequenzen und wer muss was beweisen? Zudem macht die Arbeit einen Brückenschlag zu den europäischen Rechten von Eisenbahn-, Schiffs- und Flugreisenden. Ist die Haftung dort identisch geregelt? Wo gibt es Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten? Aktuell lebe ich in Düsseldorf und bin Referendar in Duisburg. Ab Oktober absolviere ich die Verwaltungsstation beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin.“
Titel der Dissertation: Die Haftung für außergewöhnliche Umstände innerhalb der Pauschalreiserichtlinie und ihr Zusammenspiel mit den europäischen Passagierrechten
© Lotte Reimann
Ralf Rapior (Fakultät für Soziologie):
„Ausgehend von der postkolonialen Kritik, Imperien seien in der Soziologie vergessen worden, untersucht meine Dissertation ihre Begriffs- und Strukturgeschichte vom römischen Reich bis zu den modernen Empires und ihrer Dekolonisierung, bestimmt ihre sozialgeschichtliche Bedeutung neu und schlägt eine soziologische Theorie des Imperiums als einer historischen Herrschaftsform und des Reichs als einer historischen Gesellschaftsform weiter vor. In meiner Arbeit setze ich die Tradition Historischer Soziologie in Auseinandersetzung mit dem Postkolonialismus und der Globalgeschichte kritisch fort. Aktuell forsche ich zum Deutschen Kaiserreich.“
Titel der Dissertation: Imperien. Zur Soziologie einer vergessenen Gesellschaftsform
© Natascha Jebbara
Dr. Soufian Jebbara (Technische Fakultät):
„Heutzutage gibt es im Internet zu beinahe allen Themen Unmengen an Kommentaren, Blogeinträgen oder Rezensionen. In meiner Dissertation habe ich Algorithmen untersucht, die lernen können, worüber in solchen Texten geschrieben wird und welche Meinungen geäußert werden. Dies kann sehr hilfreich sein, um riesige Datenmengen zusammenzufassen und so besser zugänglich zu machen. Heute arbeite ich als AI & Machine Learning Lead bei dem Start-up Semalytix an sehr ähnlichen Lernverfahren. Wir analysieren Online-Patientenberichte, um besser zu verstehen wie Patienten unter ihrer Krankheit und vielleicht sogar deren Behandlung leiden und wie ihnen zu einer Besserung verholfen werden kann.“
Titel der Dissertation: Neural Approaches to Relational Aspect-Based Sentiment Analysis
© Marius Ötting
Dr. Marius Ötting (Fakultät für Wirtschaftswissenschaften):
„In meiner Dissertation habe ich mich mit zwei Themen befasst. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Analyse von Wettbetrug im Fußball. Dafür habe ich Einsätze und Wettquoten eines Wettanbieters statistisch modelliert, um manipulierte Spiele zu identifizieren. Im zweiten Teil wird das Hot-Hand-Phänomen untersucht – die Glückssträhne. Hier geht es darum, ob Menschen zum Beispiel im Sport für kurze Zeit einen Zustand überdurchschnittlicher Leistungsfähigkeit erreichen können, oder ob Leistungen im Zeitverlauf keine Korrelation aufweisen. Aktuell beschäftige ich mich in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt an der Universität Bielefeld erneut mit dem Thema Wettbetrug.“
Titel der Dissertation: Sports statistics in the data age: betting fraud detection and performance evaluation
© PicturePeople, Bochum
Dr. Nadine Großmann (Bielefeld School of Education, BiSEd):
„In meiner Dissertation habe ich zunächst autonomieförderliche Maßnahmen als Mittel zur Förderung der Motivation und des Interesses von Schüler*innen im Biologieunterricht untersucht. Darauf aufbauend habe ich einen Workshop für Lehramtsstudierende im Fach Biologie entwickelt, der einen Transfer meiner Befunde zur Autonomieförderung in die Praxis ermöglichen kann. Der Workshop kann die professionelle Entwicklung angehender Lehrkräfte unterstützen und sie befähigen, die Motivation und das Interesse ihrer Schüler*innen zu fördern. Aktuell bin ich als Postdoktorandin in der Biologiedidaktik und der Qualitätsoffensive Lehrerbildung tätig. Neben meiner schulischen und universitären Forschung gestalte ich hier auch Fortbildungen für Lehrkräfte.“
Titel der Dissertation: Holding on to strings that ought to be loosened – Empirische Untersuchungen zur Bedeutung der Autonomieförderung aus der Perspektive des Biologieunterrichts und der universitären Lehramtsausbildung im Fach Biologie