Wenn komplexe Systeme sich selbst zerstören


Autor*in: Universität Bielefeld

Es geschieht immer wieder, in der Natur wie in menschlichen Gesellschaften: Plötzlich brechen Systeme zusammen, die man für stabil gehalten hatte. Zwei Beispiele: Organismen sterben an selbst-hervorgerufenen Krankheiten, Staaten zerbrechen. Ob es Parallelen zwischen diesen Phänomenen gibt, wollen Forschende am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld herausfinden. Im Workshop „Selbstzerstörung in Systemen mit dezentraler Steuerung. Autoimmunität, Inflation, Signalstörungen“ („Self Destruction in Distributed Systems: Autoimmunity, Inflation, Noisy Signaling“) am 2. und 3. August versuchen Forschende Selbstzerstörungsprozesse genauer zu bestimmen und zu vergleichen.

„Komplexe Systeme arbeiten oft dezentral. Wir vermuten, dass dies ein Schlüssel zum besseren Verständnis solcher Selbstauflösungs- und Selbstzerstörungsprozesse bilden könnte“, sagt der Soziologe Privatdozent Dr. Kay Junge von der Universität Bielefeld. Er leitet die Tagung zusammen mit dem Bielefelder Historiker Dr. Kirill Postoutenko und dem Physiker Dr. Fernao Vistulo de Abreu von der Universität Aveiro in Portugal. „Solche Systeme haben keine zentrale Steuerung. Untereinheiten passen sich an die lokalen Gegebenheiten an und entwickeln Besonderheiten, die dann in Konkurrenz zueinander geraten können. Manchmal hilft eine solche Dezentralisierung Systemen zu überleben, manchmal ist sie eine Bedrohung für ihre innere Stabilität. Für die Fälle der Selbstauflösung interessieren wir uns“, so Junge.

Zum interdisziplinären Workshop sind Forschende aus den Geistes-, Wirtschafts- und Naturwissenschaften eingeladen. „Unser Ziel ist langfristig eine allgemeine Theorie der Selbstzerstörung in komplexen Systemen“, erklärt Kay Junge. „Allerdings ist der Forschungsstand sehr uneinheitlich: In den verschiedenen Disziplinen gibt es ganz unterschiedliche Ansätze und es fehlt an guten empirischen Studien und Übersichtsarbeiten. Es geht erst einmal darum, dieses Forschungsfeld und mögliche Methoden zu sortieren.“ 

Dazu wollen die Forschenden bei dem Workshop so unterschiedliche Phänomene wie die Französische und die Russische Revolution, das Immunsystem der Wirbeltiere und das Finanzsystem betrachten. Sie werden diskutieren, ob Begriffe wie Autoimmunreaktion oder Signalstörung, die aus der Medizin und der Informatik bekannt sind, auch in anderen Bereichen sinnvoll verwendet werden können.

Die Tagung findet in hybridem Format statt. Für Interessierte ist eine Online-Teilnahme möglich. Dazu wird um Anmeldung im ZiF-Tagungsbüro bei marina.hoffmann@uni-bielefeld.de gebeten. Journalist*innen sind herzlich eingeladen, über die Tagung zu berichten. Die Tagungssprache ist Englisch.