„Mit den Erfolgen im Wettbewerb um die Sonderforschungsbereiche sind wir sehr gut für die Exzellenzstrategie aufgestellt“


Autor*in: Jörg Heeren

Die Zahl der Sonderforschungsbereiche an der Universität Bielefeld ist von vier auf fünf gestiegen. In diesem Monat nimmt der neue Transregio-Sonderforschungsbereich 318 „Konstruktion von Erklärbarkeit“ (SFB/TRR 318) seine Arbeit auf. Der Verbund der Universitäten Bielefeld und Paderborn befasst sich mit der Erklärbarkeit von Künstlicher Intelligenz (KI). In ihre zweite Förderphase gehen der mathematisch ausgerichtete Sonderforschungsbereich 1283 zu Unsicherheit, Zufall und Unordnung sowie der Transregio 211 zu stark-wechselwirkender Materie. Im Interview erläutert Professor Dr. Martin Egelhaaf, Prorektor für Forschung der Universität Bielefeld, was die Sonderforschungsbereiche (SFBs) für die Universität bedeuten.

Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass in der jüngsten Förderrunde alle drei SFB-Anträge bewilligt worden sind, an denen die Universität Bielefeld beteiligt war?

Martin Egelhaaf: Ich habe mich riesig gefreut. Dass sich alle drei SFB-Anträge durchsetzen konnten, ist ein großartiger Erfolg. Es zeichnete sich zwar vorher schon ab, dass die zwei SFBs, für die es um die Verlängerung ging, hervorragende Bewertungen für ihre Teilprojekte bekommen würden. Jeder SFB hatte dafür seine Arbeit internationalen Gutachter*innen vorgestellt. Doch auch bei ausgezeichneter Bewertung gibt es keine Garantie, dass ein SFB auch tatsächlich verlängert wird. Die Universitäten stehen in einem harten Wettbewerb um die Sonderforschungsbereiche. Dass neben den zwei bestehenden Verbünden ein neuer Transregio genehmigt wurde, ist auch vor diesem Hintergrund eine besondere Leistung. Ich freue mich mit allen Wissenschaftler*innen, die über Monate an den Anträgen gearbeitet und die Präsentationen zu den Teilprojekten vorbereitet haben.

Sonderforschungsbereiche befassen sich mit Grundlagenforschung, oft verbunden mit der Orientierung an mögliche Anwendungen. Welche Perspektiven sehen Sie bei dem neuen SFB und den beiden jetzt verlängerten SFBs?

Martin Egelhaaf: Alle Sonderforschungsbereiche an der Universität Bielefeld befassen sich mit Herausforderungen, für die Wissenschaft und Gesellschaft differenzierte Antworten und Lösungskonzepte brauchen. Der Transregio 318 greift Künstliche Intelligenz als zukunftsträchtiges Thema auf, befasst sich aber nicht einseitig mit der Informatik für KI, sondern fördert die aktive Teilnahme von Menschen an soziotechnischen Systemen. Es geht darum, die Mensch-Maschine-Interaktion zu verbessern und die zugrunde liegenden Algorithmen verständlich zu machen. Den Sonderforschungsbereich 1283 macht besonders, dass er mathematisch ausgerichtet ist und Konzepte und Theorien zu Unsicherheit, Zufall und Unordnung entwickelt. Damit sollen bislang ungelöste Probleme in den Wirtschafts- und Naturwissenschaften angegangen werden. Der Transregio 211 widmet sich einer großen Frage der Physik: Wie interagiert Materie unter Extrembedingungen? Durch die Forschung des SFB lassen sich etwa Vorhersagen für die Astrophysik und Kosmologie machen.

„Dass jetzt fünf Sonderforschungsbereiche zu unserer Universität gehören, zeigt, wie forschungsstark wir sind“, sagt Prof. Dr. Martin Egelhaaf, Prorektor für Forschung und Transfer. Foto: Universität Bielefeld/M. Adamski

Und wie ordnen sie beiden weiteren SFBs der Universität Bielefeld ein?

Martin Egelhaaf: Beide SFBs kommen zu Ergebnissen, die dazu beitragen, aktuelle wie auch frühere Entwicklungen besser zu verstehen. Der Sonderforschungsbereich 1288 greift ein Phänomen auf, das unser Leben mitbestimmt: Es geht um Praktiken des Vergleichens. Diese Forschung klärt zum Beispiel auf, wie Rankings wirken oder was es bedeutet, wenn die Coronapandemie als unvergleichlich dargestellt wird. Der Transregio 212, Kurzname NC³, erforscht, warum Tiere individuell ihre unverwechselbare Nische im Ökosystem wählen. Diese Analysen machen verständlich, wie Prozesse der Individualisierung bei Lebewesen verlaufen – ein Aspekt, der nicht nur Tiere, sondern auch Menschen betrifft. Im Übrigen wirkt die Bielefelder Forschungsgruppe Neuroinformatik noch an einem weiteren Sonderforschungsbereich, dem SFB 1320 der Universität Bremen, mit. Der SFB arbeitet daran, autonome Roboter zu befähigen, Alltagsaktivitäten auszuführen und abstrakte Anweisungen selbstständig umzusetzen.

Welche Bedeutung haben die aktuellen Sonderforschungsbereiche für die Universität Bielefeld?

Martin Egelhaaf: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft richtet SFBs ein, um die Spitzenforschung und die Forschungsprofilbildung von Universitäten zu fördern. Dass jetzt fünf Sonderforschungsbereiche zu unserer Universität gehören, zeigt wie forschungsstark wir sind. SFBs sind immer interdisziplinär angelegt – ein Merkmal, das die Universität Bielefeld seit ihrer Gründung ausmacht. Beispielsweise arbeiten in dem neuen Transregio Linguist*innen, Psycholog*innen, Medienforscher*innen, Soziologen*innen, Ökonom*innen und Informatiker*innen. Auch Forschende der neu gegründeten Medizinischen Fakultät der Universität Bielefeld sind unter ihnen. Neugründungen von SFBs sind das Ergebnis herausragender Forschung – sie werden nur dann gefördert, wenn sie unter anderem auf erstklassige Fachpublikationen aufbauen und in ein Netzwerk international renommierter Partner*innen eingebunden sind. Sonderforschungsbereiche sind für unsere Universität auch wichtig, weil sie als Forschungsverbünde mit internationaler Strahlkraft wissenschaftliche Exzellenz nachweisen und so eine Basis für Anträge im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder darstellen. Ein Beispiel ist der Exzellenzcluster CITEC der Universität Bielefeld, der von 2008 bis 2019 zu Kognitiver Interaktionstechnologie forschte. Der Cluster knüpfte unter anderem an zwei frühere Sonderforschungsbereiche an – den SFB zu Situierten Künstliche Kommunikatoren und an den SFB zur Ausrichtung in der Kommunikation.

Das bedeutet, dass auch jetzige Sonderforschungsbereiche der Universität Initiativen für Exzellenzcluster hervorbringen können?

Martin Egelhaaf: So ist es. Mit den Erfolgen im Wettbewerb um die SFBs sind wir sehr gut für die Exzellenzstrategie aufgestellt. Die SFBs zu Unsicherheit, Zufall und Unordnung sowie zu den Praktiken des Vergleichens stellen ebenso wie der Transregio NC³ hervorragende Ausgangspunkte für die Entwicklung neuer Forschungsansätze und -themen dar, die sich zu Exzellenzclustern entwickeln können.

Die Universität Bielefeld erhielt ihren ersten Sonderforschungsbereich „Polarisation und Korrelation in atomaren Stoßkomplexen“ (SFB 216) im Jahr 1983. Bei dem Transregio 318 zur Konstruktion von Erklärbarkeit handelt es sich inzwischen um den 17. Sonderforschungsbereich an der Universität Bielefeld. Sonderforschungsbereiche (SFBs) sind langfristig angelegte Forschungseinrichtungen der Universitäten, in denen Wissenschaftler*innen innerhalb eines meistens fächerübergreifenden Forschungsprogramms zusammenarbeiten. Sie werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert. Transregio-Sonderforschungsbereiche sind SFBs, für die zwei oder mehr Universitäten gleichberechtigt kooperieren. Die Dauer der Förderung eines SFB beträgt im Idealfall zwölf Jahre, wobei eine Förderphase vier Jahre umfasst.