Virtuelle Grashüpfer fangen: Das ist die Aufgabe an einer der interaktiven Medienstationen. Die Grashüpfer in dem Computerspiel verfolgen unterschiedliche Fluchtstrategien. Foto: Fachhochschule Münster/Jana Schiller Spielerisch lernen die Besucher*innen auch, wie sich Temperatur, Nahrungsmenge und Anzahl der Artgenossen in einer ökologischen Nische auf die Menge der Eier individueller Fliegen auswirken. Foto: Fachhochschule Münster/Jana Schiller Wie wirkt sich bei Seebären die Populationsdichte auf das Überleben des Individuums aus? Das wird in der Ausstellung an einer der Medienstationen veranschaulicht. Foto: Fachhochschule Münster/Jana Schiller
Ob Blattwespen, Meerschweinchen oder Bussarde: Tiere gehen individuell mit ihrer Umwelt um. Wie sie ihre eigene ökologische Nische wählen, sich daran anpassen und sie verändern, zeigt der Transregio-Sonderforschungsbereich NC³ in einer Ausstellung im LWL-Museum für Naturkunde.
Jeder Bussard baut sein Nest anders – zum Beispiel indem er es mit grünen Kiefer-, Tannen- oder Lärchenzweigen auskleidet, die verschiedene Duftstoffe enthalten. Wie unterschiedlich die Zweige und damit auch einzelne Nester riechen, können Besucher*innen in der Sonderausstellung „Tierisch individuell – Wie Tiere mit ihrer Umwelt umgehen“ selbst erschnuppern – und herausfinden, warum sich Forschende der Universität Bielefeld und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster für den Geruch von Bussardnestern interessieren.
Mit der Ausstellung zeigen Wissenschaftler*innen des Transregio-Sonderforschungsbereichs NC³ (SFB-TRR 212), der an den beiden Universitäten angesiedelt ist, ihre Arbeit. Der Sonderforschungsbereich untersucht, wie Lebewesen individuell auf ihre Umwelt reagieren und so ihre eigene ökologische Nische finden und für sich nutzen. „Jedes Tier hat einzigartige Eigenschaften. Feuersalamander unterscheiden sich etwa an ihrem Muster, Mäuse an ihrer Erwartungshaltung. Wir untersuchen bei einer Vielzahl von Tierarten, was ihre Individualität ausmacht und welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen“, sagt Professor Dr. Oliver Krüger, Verhaltensforscher an der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld und Sprecher des Sonderforschungsbereichs.
Zu diesen Lebewesen zählt auch der Mäusebussard, den Krüger selbst erforscht: „Ein Nest ist ein gutes Beispiel für eine individualisierte Nische. Wir untersuchen, wie Bussarde ihre Nester bauen und welche Vorteile sie von einer bestimmten Bauweise haben könnten.“ Dabei kommt der Geruch ins Spiel: Eine der Hypothesen ist, dass die Duftstoffe der grünen Zweige eine Strategie gegen Parasitenbefall sind.
Gemeinsam mit den Wissenschaftler*innen entdecken und erforschen
Die Ausstellung im LWL-Museum für Naturkunde in Münster ermöglicht Besucher*innen einen Blick über die Schulter der Forschenden. Verschiedene Stationen stellen jeweils Teilprojekte des Sonderforschungsbereichs vor, daneben sind Comic-Figuren von Wissenschaftler*innen zu finden – von der Verhaltensendokrinologin bis zum Philosophen der Biologie. Besucher*innen können nicht nur etwas über Tiere und ihre ökologischen Nischen lernen, sondern auch herausfinden, wie DNA sequenziert wird oder wie eine chemische Analyse mit einem Gaschromatographen funktioniert.
„Normalerweise dauerte es Jahre, bis aktuelle Erkenntnisse der Wissenschaft Eingang in Lehr- und Schulbücher finden. Das Besondere der Ausstellung ist, dass hier wichtige Erkenntnisse aus der Biologie ohne Zeitverzögerung in die Gesellschaft getragen werden – und zwar von den Forschenden selbst“, sagt Professor Dr. Norbert Sachser vom Fachbereich Biologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. „Wir wollen eine breite Öffentlichkeit an unseren wissenschaftlichen Fortschritten teilhaben lassen und zeigen, warum unsere Forschung relevant ist, etwa für den Tier- und Naturschutz.“
Im Sonderforschungsbereich NC³ untersucht Sachser mit seinen Kolleg*innen das Verhalten von Meerschweinchen. Im Museum sind die Verhaltensweisen der Tiere auf Videoaufnahmen zu sehen: Jungtiere, die miteinander spielen, oder männliche Tiere, die um ein Weibchen werben. Dabei interessiert die Wissenschaftler*innen, ob sich Meerschweinchen auch im Erwachsenenalter noch hormonell und in ihrem Verhalten an eine neue soziale Umwelt anpassen können – zum Beispiel, wenn ein Männchen aus einer Meerschweinchen-Kolonie zu einem fremden Weibchen gesetzt wird.
Nischenanpassung bei Blattwespen
Wie sich Tiere an eine individualisierte Nische anpassen, zeigt auch die Blattwespen-Station. Manche Blattwespenarten knabbern an bestimmten Pflanzen, von denen sie Clerodanoide aufnehmen. Diese chemischen Verbindungen beeinflussen, wie Blattwespen mit ihren Artgenossen interagieren: zum Beispiel, ob sie sich paaren oder miteinander kämpfen. Die Ausstellung demonstriert das mit Blattwespen-Modellen aus dem 3D-Drucker. „Die Aufnahme von Clerodanoiden steuert das individuelle chemische Erscheinungsbild und damit potentiell auch die soziale Umwelt der Blattwespen“, sagt Professorin Dr. Caroline Müller von der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld, die sich im Sonderforschungsbereich mit chemischen Anpassungsmechanismen beschäftigt.
„Es war eine spannende Aufgabe, die Ausstellung so zu gestalten, dass sich alle Altersstufen angesprochen fühlen und der Inhalt allgemeinverständlich ist“, sagt Müller. Nachdem die Wissenschaftlerin eine Ausstellung von Kolleg*innen aus Jena gesehen hatte, kam ihr die Idee, auch für den Sonderforschungsbereich NC³ eine Museumsausstellung zu konzipieren. Vor rund eineinhalb Jahren begann die Planung, die Umsetzung der Ausstellung wurde von Dr. Ruth Jakobs von der Universität Bielefeld koordiniert und inhaltlich begleitet.
Studierende entwickeln interaktive Medienstationen
Für die Entwicklung der einzelnen Stationen haben die NC³-Forschenden mit Wissenschaftlerinnen der Fachhochschule Münster zusammengearbeitet. Unter der Leitung von Professorin Tina Glückselig vom Fachbereich Design und Professorin Dr. Kathrin Ungru vom Fachbereich Elektrotechnik und Informatik haben Studierende in einem Seminar interaktive Medienstationen entworfen: Spiele zu Fluchtstrategien von Grashüpfern, zum Konzept der individualisierten Nische und zur Populationsdichte von Seebären. Weitere Stationen wurden von Bachelor-Studierenden des Fachbereichs Design gestaltet.
„Zusammen mit den Studierenden zum Gelingen der Ausstellung beizutragen, hat viel Freude gemacht. Wir können mit unserer Expertise dabei helfen, komplexe Themen erlebbar und begreifbar zu machen“, sagt Glückselig. Ungru ergänzt: „Es war toll zu sehen, wie die Beteiligten der verschiedenen Fachbereiche gemeinsam die Projekte umgesetzt haben. Wir hoffen, auf diese spielerische Weise einen Beitrag zum Naturschutz leisten zu können.“
Die Sonderausstellung ist für alle Altersgruppen geeignet. Voraussichtlich bis Oktober 2021 ist sie im LWL-Museum für Naturkunde in Münster zu sehen, ab dem Frühjahr 2022 soll sie im Naturkunde-Museum Bielefeld gezeigt werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert die Ausstellung als Teil des SFB-TRR 212.