Die Universität Bielefeld gehört zu den zehn Gewinnern bei der diesjährigen Ausschreibung „Eine Uni – ein Buch“. Sie bewarb sich mit dem Titel „Achtung Zensur! Über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen“ der Kasseler Literaturwissenschaftlerin Nikola Roßbach. Mit dem Programm „Eine Uni – ein Buch“ wollen der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Klaus Tschira Stiftung in Kooperation mit der ZEIT-Stiftung Diskussionsprozesse quer über alle Statusgruppen in ausgewählten deutschen Hochschulen anregen. Das Projekt wird mit 10.000 Euro gefördert.
Die Coronakrise führt die Aktualität des Themas „Zensur“ gerade vor Augen: Fake News-Erfinder und Verschwörungstheoretiker sind schnell mit dem Zensur-Vorwurf bei der Hand, wenn seriöse Medien es ablehnen, ihre Ansichten zu verbreiten. Zwar steht im Grundgesetz, eine Zensur finde in Deutschland nicht statt, schränkt dies aber sofort mit Hinweis auf gesetzliche Regelungen wie den Jugendschutz oder Persönlichkeitsrechte wieder ein.
„‘Zensur‘ ist ein schillernder Begriff, der sich weniger in Schwarz-Weiß-Schemata einordnen lässt, als viele das erwarten dürften, und seine Definition ist ein dynamischer, nicht endender Prozess, dem sich die Gesellschaft permanent zu stellen hat“, sagt Dr. Hans-Martin Kruckis, Programmleiter des Zentrums für Ästhetik der Universität Bielefeld, das bei der Ausarbeitung des Konzepts für „Eine Uni – ein Buch“ federführend war. „Bei Zensur geht es immer um Grenzziehungen, etwa zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung oder der Freiheit im Netz und berechtigten Urheberinteressen wie im Zusammenhang mit Upload-Filtern. Wo solche Grenzen zu ziehen sind, entscheidet über die Offenheit einer Gesellschaft und im Zweifel auch über die Stabilität einer Demokratie. Natürlich spielen dabei auch Tabuvorstellungen und Political Correctness eine wichtige Rolle – nicht zuletzt in den Wissenschaften.“
Nikola Roßbachs „Achtung Zensur!“ sei eine ideale Grundlage für eine Diskussion, an der möglichst alle in der Universität teilhaben sollen. „Das Buch erfasst das Phänomen ‚Zensur‘ in seiner ganzen Bandbreite“, erläutert Kruckis, „und es kommt ganz unakademisch daher, ist spannend zu lesen ist und argumentiert zugleich fundiert und differenziert.“
Bis Ende nächsten Jahres will man sich an der Universität Bielefeld in unterschiedlichsten Formaten dem Thema „Zensur“ widmen. Allerdings: Durch die Corona-Krise lassen sich viele der ursprünglich geplanten Veranstaltungen bis auf weiteres nicht realisieren. „Wir versuchen, zunächst einmal möglichst viel ins Digitale zu verschieben“, heißt es dazu aus dem Zentrum für Ästhetik. Dort hofft man auf bessere Rahmenbedingungen im nächsten Jahr. Unbedingt soll es dabei auch einen nicht nur virtuellen Austausch mit Nikola Roßbach über ihr Buch geben.
Nikola Roßbach ist Professorin für Neuere deutsche Literatur in Kassel und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Kontrolle und Normierung literarischen Wissens. Seit 2016 konzentriert sie sich in Forschung und Lehre verstärkt auf das Thema Zensur.
In der vierten Ausschreibungsrunde haben der Stifterverband und die Klaus Tschira Stiftung zehn Ideen und Aktionen ausgezeichnet. Ausschlaggebend für die Förderung der Projekte war nicht das Werk selbst, sondern die Begründung, warum das Werk ausgewählt wurde und der Plan, wie die Kommunikation darüber erfolgen soll. Außergewöhnliche Kommunikationsformate sollen die Auseinandersetzung mit einem Thema über alle Hierarchiegrenzen hinweg fördern, die Kommunikationskultur in den Hochschulen weiterentwickeln sowie die Verbindung zwischen Hochschulen und Gesellschaft stärken. Die Auswahl der Hochschulen hat im März 2020 eine Jury aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Zivilgesellschaft getroffen. Die Projektförderung beginnt mit dem Sommersemester 2020.